Frank Gehrig

„Insurtechs brauchen Partner“

So wird das nichts: Lemonade müsse ihre Strategie in Europa anpassen und über Partnerschaften und Vergleichswebsites gehen, sagt Assekuranz-Experte Frank Gehrig angesichts dürftiger Prämieneinnahmen. Das US-Insurtech sollte sich Wefox zum Vorbild nehmen und sich für Online-Makler öffnen.

„Insurtechs brauchen Partner“

Von Björn Godenrath, Frankfurt

Mehr als 160 Insurtechs tummeln sich in Deutschland, darunter viele kleine Krauter, die kaum in Erscheinung treten. Von der in Aussicht gestellten Disruption der Assekuranz ist nicht mehr großartig die Rede, einige B2C-Anbieter haben aufgegeben, viele sind auf den Pfad der B2B-Partnerschaften eingeschwenkt. Dabei lockt der deutsche Markt auch ambitionierte ausländische Insurtechs wie den US-Branchenstar Lemonade an, der sich aber schwertut, hierzulande Fuß zu fassen. Im abgelaufenen Geschäftsjahr erzielte Lemonade in Deutschland schlanke 0,39 Mill. Euro an Prämieneinnahmen, denen Schadenzahlungen von 0,43 Mill. Euro gegenüberstanden.

Marke kaum visibel

„Trotz des Wachstums von 2019 auf 2020 ist das im Hinblick auf das Prämienvolumen sehr wenig“, sagt Frank Gehrig, Versicherungsexperte bei der Strategieberatung Simon-Kucher. Nur ein bisschen Online-Werbung zu schalten reiche offenbar nicht. Eine interne Blitzumfrage in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden habe gezeigt, dass nur 5% der 25- bis 50-Jährigen schon einmal von Lemonade gehört hätten oder wüssten, dass es sich um eine Versicherung handele – und von denen, denen Lemonade ein Begriff sei, wüssten die wenigsten, dass das Insurtech in ihrem Heimatland aktiv sei. Zugleich könne man sehen, dass nur 1% glaubt, in den vergangenen sechs Monaten on- oder offline einen Bericht über oder eine Werbung von Lemonade gesehen zu haben.

Die Strategie, keine Partnerschaften einzugehen und die Policen direkt zu vertreiben, sei ohne Markenbekanntheit schwierig umzusetzen, so Gehrig. Was daraus folgt, liegt auf der Hand: „Lemonade muss überlegen, ob sie ihre Strategie in Europa anpassen und über Partnerschaften und Vergleichswebsites gehen.“ Offenbar sei Lemonade sehr auf das US-Geschäft konzentriert, wo sie schon ein vorzeigbares Prämienvolumen von 220 Mill. Dollar erzielt. Der Start des Europa-Geschäfts habe wohl vor allem dazu gedient, die Equity Story für Investoren beim Börsengang breiter aufzustellen. Immerhin habe man aber nun in Deutschland einen Fuß in der Tür, jetzt brauche man „Commitment“ für den Ausbau. „Der Online-Direktvertrieb über Google und Vergleichsportale ist teuer. Aber ohne geht es nicht, denn Aggregatoren wie Check24 fangen viel Traffic ab und Direktversicherer wie Cosmos Direct sind im digitalen Vertrieb gut präsent.“ Was das US-Insurtech ausspielen könnte: „Lemonade hat gegenüber Assekuranz-Konzernen Preisvorteile, die sie weitergeben kann – und die Aggregatoren ranken ja nach Preis.“

Zudem sollte Lemonade sich für Online-Makler öffnen, empfiehlt Gehrig. Man sehe ja, wie Wefox und Ottonova darüber Prämienvolumen generierten. Eine dritte Option wäre es, sich wie Schutzklick in Online-Shops integrieren zu lassen. „Das kann aber nur gelingen, wenn es sehr konsequent gemacht wird, denn da herrscht ein echter Verdrängungswettbewerb.“ Analog zum Oberbegriff „Embedded Finance“ vor allem für digitale Kredite im Format „Buy now, pay later“ gibt es nämlich auch schon die kleine Schwester „Embedded Insurance“.

„Ohne Partnerschaften haben es Insurtechs schwer“, sagt der Experte. Erfolgreich seien Insurtechs, die sich auf einzelne Positionen der Wertschöpfungskette fokussierten sowie Partnerschaften eingingen. Ein Beispiel dafür sei Wefox Insurance, das die Maklerwelt mit einbezogen habe und am Vertrieb über Berater festhalten wolle. Wefox unterstütze ihre exklusiven Vertriebspartner mit digitalen Tools und Versicherungsprodukten. Dies reduziere die Kosten im Vertrieb, optimiere die Beratungsqualität und erhöhe die Kundenzufriedenheit. Wefox konnte ihren Umsatz 2020 von 5,6 auf 34 Mill. Euro erhöhen und mit dem Sponsoring von Union Berlin ihre Markenbekanntheit steigern – das illustriere, was für Lemonade möglich wäre.

Lob für Clark und Element

Durchaus angetan ist Gehrig vom Insurtech-Portfolio bei Finleap. „Clark hat ein klares Geschäftsmodell als Online-Makler und hat sich da eine starke Position aufgebaut – auch wenn sich B2B als zu schwierig herausgestellt hat.“ Und Element entwickele im Hintergrund Speziallösungen für andere Versicherer, beispielsweise Policen für Signal Iduna, um Spielausfälle des BVB zu versichern. „Die bauen dann ein sehr spezifisches Produkt.“

Neben Wefox und Element setzt auch Neodigital auf Vertriebspartnerschaften – und die Entwicklung bei den Prämieneinnahmen zeigt, dass kein B2C-Player ohne Vergleichswebsites oder Partnervertrieb auskommt. Dabei müssen sich künftige Neugründungen auf Erschwernisse einstellen, will die BaFin doch die regulatorischen Daumenschrauben anziehen. Die Eigenmittel-Vorgaben sollen dergestalt erhöht werden, dass die Start-ups im Prinzip voll durchfinanziert sind. Künftige Neugründungen sollten „schon am Tag ihres Zulassungsantrags vollständig ausfinanziert sein, damit sie keine ergänzenden Finanzierungsrunden mehr benötigen“, hieß es im Januar. Insurtechs würden ihre Existenz in der Verlustzone starten und hätten dann Schwierigkeiten, diese zu verlassen, sagt die BaFin – und verweist darauf, dass sich die Geschäftspro­gnosen häufig als zu optimistisch erwiesen hätten, was den Bedarf für Nachfinanzierungen erhöht habe.

Das Vertrauen der Finanzaufsicht in die Qualität der Businesspläne hat nicht ohne Grund gelitten. Vor dem Hintergrund ist auch die Forderung zu sehen, dass Insurtechs ihre versicherungstechnischen Rückstellungen (IT, Personal) im Sinne der Bestandskosten erhöhen. „Wenn das von der BaFin Geforderte in Umsetzung geht, wird es herausfordernd für Insurtech-Gründungen, da viel vorfinanziert werden muss, bis alles implementiert und Kundenmasse aufgebaut ist.“ Was Gehrig bei der BaFin außerdem aufgefallen ist: Die Aufsichtsbehörde überprüfe verstärkt, ob im Online-Vertrieb auch alle Hinweispflichten erfüllt würden.

Und wie sieht es mit der Disruption der traditionellen Versicherungswirtschaft aus? Die großen Incumbents würden Stück für Stück auch digitaler und schneller, so der Berater. Die etablierten Player adaptieren die Vorteile der Newcomer. Und kombiniert mit großer Markenbekanntheit und Expertise verfügten die großen Versicherer über eine hohe Schlagkraft – auch wenn sie ihre Geschwindigkeit bei der Digitalisierung und Kundenzentrierung noch steigern sollten.