Liquidität ist der Dreh- und Angelpunkt
In Europa gibt es Exchange Traded Funds (ETF) seit 15 Jahren, und der Markt legt jedes Jahr mehr zu. Angesichts des starken Wachstums der Branche ist die Funktionsweise von ETF zuletzt verstärkt in den kritischen Fokus geraten. Dies gilt insbesondere für den Liquiditätsaspekt, der ein zentrales Leistungsversprechen von ETF darstellt. Anleger erwarten zu Recht liquide Märkte, auf denen sie Indexfonds jederzeit, schnell und zu geringen Kosten handeln können. ETF-Forschung fördernMit der Bedeutung und dem Zustandekommen von Liquidität bei ETF und mit der Frage, welchen Einfluss passiv gemanagte Indexfonds auf die Finanzmärkte haben können, befassen sich verschiedene aktuelle Studien der ETF Research Academy. Diese gemeinsam vom Paris-Dauphine House of Finance und Lyxor Asset Management gegründete Initiative verfolgt das Ziel, die Forschung auf dem Gebiet der ETF zu fördern. Anerkannte Wissenschaftler von renommierten, internationalen Hochschulen werden hierfür mit Forschungsarbeiten beauftragt. Denn während die ETF-Industrie stetig und stark wächst, sind Quantität und Qualität der Forschung auf diesem Gebiet noch begrenzt. Flash Crash als AuslöserDass die Wissenschaft sich zuletzt stark dem Thema Liquidität zuwandte, ist kein Zufall. Erst im Sommer vergangenen Jahres hatte ein sogenannter Flash Crash an den amerikanischen Aktienmärkten für entsprechende Aufmerksamkeit gesorgt und Fragen aufgeworfen. Ist die Liquidität von ETF unter bestimmten Umständen nicht gegeben? Und können ETF die Liquidität des Referenzmarktes beeinflussen?Um die Liquiditätsthematik von ETF zu begreifen, ist das Verständnis des Creation-Redemption-Prozesses erforderlich. Aufgabe dieses Prozesses ist es, ausreichend Liquidität für den ETF bereitzustellen und die Ströme in beide Richtungen, nämlich Kauf und Verkauf, zu gewährleisten. Hierbei muss sich ein Market Maker an den Kapitalmärkten zunächst mit den Papieren des entsprechenden ETF eindecken, um diese dann an den ETF-Anbieter weiterzugeben. Im Gegenzug erhält der Market Maker ETF-Anteile, die er nach der Kursstellung am Sekundärmarkt, also an der Börse oder im Over-the-Counter-Handel (OTC) verkauft. Alternativ kann er anstelle der Lieferung der im Index enthaltenen Aktien auch gegen Cash ETF-Anteile erhalten. Großer Einfluss der AnbieterDiesem Entstehungsprozess (Creation) steht der Rücknahmeprozess (Redemption) gegenüber. Der Market Maker gibt hierbei ETF-Anteile an den Emittenten zurück und erhält dafür wiederum den monetären Geldwert oder die entsprechenden im ETF enthaltenen Wertpapiere.Mit dem Creation-Redemption-Prozess wird also der Grundstein für die Liquidität und damit auch für die Qualität eines ETF gelegt. Dass auf beides auch der ETF-Anbieter einen maßgeblichen Einfluss haben kann, darauf weisen Anna Calamia von der Universität in Rom, Laurent Deville, Professor an der EDHEC Business School, und Fabrice Riva, Professor an der Université Lille, in ihrer Studie “Understanding Liquidity” ausdrücklich hin, wenn sie schreiben: “Der ETF-Provider ist kein passiver Beobachter, sondern hat vielmehr eine Schlüsselrolle inne. Indem er möglichst viele Market Maker durch Incentivierung motiviert, einen ETF mit Liquidität zu versorgen, verbessert er bereits beim Creation-Redemption-Prozess die Handelsqualität.”Darüber hinaus kommen die Wissenschaftler nach der Analyse von europäischen Aktien-ETF im Zeitraum von 2000 bis 2012 zu folgendem Ergebnis: Die Liquidität des zugrunde liegenden Wertpapierkorbs beeinflusst zwar die Liquidität eines ETF – und das war auch zu erwarten. Allerdings ist sie nicht der einzige Einflussfaktor. So spielen neben der Größe des ETF, den Kosten der Market Maker für das Funding und der Verfügbarkeit von Hedging-Instrumenten, mit denen sich der Market Maker absichert, auch die Handelsaktivitäten im ETF sowie die Volatilität im Index eine Rolle. Das Zusammenspiel dieser Größen bestimmt die Liquidität und erklärt auch, warum sich selbst ETF auf ein und denselben Index in puncto Liquidität und damit auch in der Handelsqualität unterscheiden können.Als Praxisbeispiel verweisen die Wissenschaftler auf den Flash Crash von 2010. Damals konnte man eines erkennen: ETF, die sich auf den gleichen Basiswert beziehen, haben sich unterschiedlich gut geschlagen. Daraus ziehen die Autoren auch den Schluss, dass die Qualität des ETF stark davon abhängt, inwiefern ein Emittent dafür sorgt, dass die Liquiditätsströme gewährleistet werden. Entscheidend sind die Market Maker, die sich verpflichten, Kurse zu stellen und damit die Flexibilität sowie die Handelsqualität eines ETF erst möglich machen. Die Anzahl dieser Liquiditätsgeber ist nicht fix und daher ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Für Lyxor haben sich zum Beispiel 19 Market Maker verpflichtet, fortwährend Preise an den europäischen Börsen zu stellen. Das sorgt für eine überdurchschnittlich hohe Liquidität. Keine lineare BeziehungDass sich mit zunehmendem Volumen der ETF die Risiken für die Finanzmärkte generell erhöhen, konnte von der Wissenschaft nicht bestätigt werden. Im Gegenteil: Der Creation-Redemption-Prozess fungiert sogar als Puffer und verhindert die Übertragung von Nachfrageschocks auf die Börsen. Denn eine höhere Liquidität im ETF-Sekundärmarkt führt nicht automatisch auch zu einer höheren Liquidität im Primärmarkt, wie Semyon Malamud, Professor an der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, in seinem Papier “An Equilibrium Model for ETF Liquidity” hervorhebt. “Die Beziehung ist nicht linear, sondern verläuft konkav.”Das bedeutet, dass Käufe und Verkäufe an der Börse sich nicht eins zu eins auf das Underlying beziehungsweise auf Einzelaktien auswirken. Eine rasant ansteigende Nachfrage bei ETF wird also nicht linear und zeitgleich auf Aktien übertragen. Die einzige Möglichkeit für einen Nachfrageschock sieht Malamud bei einem Sonderfall. Voraussetzung hierfür wäre eine extrem hohe Creation. Allerdings erscheint dies trotz des starken Wachstums der Gesamtbranche immer noch ein theoretisches Problem zu sein. Wie aus den verschiedenen Branchenstudien hervorgeht, machen ETF am gesamten Fondsmarkt in Europa immer noch weniger als 4 % aus. Nur 50 SekundenAuch eine Studie mit einem völlig anderen Ansatz belegt dies. Jinming Xue und Russ Wermers von der University of Maryland haben den Intraday-Handel in den USA über 82 Tage untersucht und sich dabei die Beziehung zwischen ETF und dem S & P 500 in unterschiedlichen Zeitfenstern – von 50 Sekunden bis zu 20 Minuten – angeschaut. Das Ergebnis: Marktteilnehmer, die wegen ihres eingeschränkten Zugangs zu relevanten Marktinformationen eher zu Panikreaktionen neigen, erhöhen zwar über den ETF-Handel die Volatilität im S & P 500. Allerdings nur kurzfristig, für 50 Sekunden. Dieses Ergebnis ist insofern bemerkenswert, weil das monatliche Handelsvolumen der ETF auf den S & P 500 Ende Dezember 2014 bei 1 Mrd. Dollar lag und einem Drittel des Handelsvolumens der enthaltenen Aktien entsprach.Fazit: Die Liquiditätsströme von ETF zwischen Primär- und Sekundärmarkt sind nicht linear. Dies bedeutet, dass extreme Handelsbewegungen bei ETF nicht eins zu eins auf die Märkte übertragen werden. Der Creation-Redemption-Prozess fungiert als Puffer. An der Art und Weise, wie dieser ausgestaltet ist, wird auch der Grundstein für die Qualität eines ETF gelegt. Je mehr Market Maker sich bei einem Emittenten verpflichten, Preise zu stellen, desto höher ist die Qualität. Basiswerte profitierenZudem haben ETF auch positiven Einfluss auf die Basiswerte: Über ETF verbessert sich die Transparenz und Preisstellung von Anleihen, die anders als Aktien vor allem im OTC-Handel als Einzelwert gehandelt werden. Syed Galib Sultan von der University of Washington bestätigt in seiner Studie über Unternehmensanleihen-ETF etwas, das bereits von vielen Emittenten beobachtet wurde: Unternehmensanleihen, die über einen ETF gehalten werden, sind im Schnitt liquider als jene, die nicht in einem ETF-Portfolio enthalten sind.Der Einfluss von ETF auf die Liquidität von hochverzinslichen Unternehmensanleihen ist also vor allem langfristig positiv.—Heike Fürpaß-Peter, Head of Public Distribution bei Lyxor ETF Germany & Austria