Mehr als nur der EU-Austritt Großbritanniens

Hohe Dynamik in der Mainmetropole bei Stellenausschreibungen

Mehr als nur der EU-Austritt Großbritanniens

Das Jahr 2020 wird Banken und Finanzdienstleistern eine aufregende Zeit bescheren. Mit Beginn der neuen Dekade ist der EU-Austritt Großbritanniens beschlossene Sache, der Fachkräftemangel wird sich aufgrund des demografischen Wandels weiter zuspitzen und Berufsbilder wandeln sich im Zuge der Digitalisierung. Wirtschaftsexperten sind sich einig: Technik, Personal und Organisation des deutschen Bankenmarktes werden sich weiter verändern.Der Finanzplatz Frankfurt rückt dabei im internationalen Kontext vermehrt in den Blickpunkt. Große Herausforderungen und interessante Projekte erwarten die Bankangestellten in der Stadt am Main. Internationale Kreditinstitute verlagern neue Standorteinheiten nach Frankfurt, um näher am europäischen Kunden zu sein. Der Aufbau eines solchen Standorts sowie einer entsprechenden Organisationsstruktur steht im Mittelpunkt der strategischen Maßnahmen. Frankfurt als zentral gelegener Verkehrsknotenpunkt mit internationaler Anbindung ist für viele Auslandsbanken attraktiv geworden – ausgelöst durch, aber mittlerweile unabhängig von der Brexit-Debatte.Durch die Entscheidung für den Brexit und somit zum Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) zum 31. Januar hat der deutsche Bankenmarkt mit seinem führenden hessischen Finanzstandort die lang ersehnte Gewissheit. Plädierten viele Institute in der Vergangenheit für einen Verbleib in der EU, um große Umstrukturierungen zu vermeiden, so begrüßen sie nun die finale Entscheidung und Planungssicherheit. Bemerkbar macht sich dieser Umstand durch eine deutliche Zunahme an Stellenausschreibungen.Neben Investment-Banking-Analysten stehen derzeit vor allem Risk-Manager und Manager im Compliance-Bereich hoch im Kurs. Dabei konzentriert sich die Suche auf Mitarbeiter zur Bekämpfung von Geldwäsche (Anti-Money Laundering Compliance Officer), Capital-Markets-Spezialisten und MaRisk-Experten (Mindestanforderungen an das Risikomanagement). Auch brexitbedingte Einstellungen werden weiterhin eine große Rolle spielen, bei Auslandsbanken und bei international agierenden Kreditinstituten, die schon in Frankfurt ansässig sind – respektive es noch werden. Um den strenger werdenden Regularien der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gerecht zu werden, benötigt auch der Fachbereich Regulatory-Reporting hochqualifizierte Fachkräfte. Nahezu jede Bank in der Mainmetropole hat auf diesem Gebiet Positionen besetzt – von Analysten über Associates und Vice Presidents bis hin zum Director-Level.Gleichzeitig vollzieht sich ein Strukturwandel hinsichtlich der Berufsanforderungen im Bank- und Finanzwesen. Der Trend geht weg von Mitarbeitern mit konventioneller Bankausbildung, hin zu mehr Spezialisten mit akademischem Abschluss. Klassische Stellenangebote werden reduziert und vermehrt Fach- und Führungskräfte mit ausgeprägtem technischem Verständnis und Know-how gesucht: Softwareingenieure, IT-Experten und IT-Berater.Im vergangenen Jahr verzeichnete Frankfurt das größte Stellenwachstum in der IT & Telekommunikation (plus 31 % im Jahresvergleich). Auch Kandidaten aus den MINT-Bereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) sind stark nachgefragt. Inländische Banken, vor allem Retailbanken, aber auch die Großbanken, suchen zudem vermehrt Digitalisierungs- und Transformationsexperten.Die gesuchten Fach- und Führungskräfte sollten sich neben schneller Verfügbarkeit, vor allem flexibel und anpassungsfähig zeigen. Deswegen greifen Banken und Finanzdienstleister verstärkt auf Interim Manager zurück. Diese sind meist sehr kurzfristig verfügbar, können Engpässe gut überbrücken und innovative Geschäftsprozesse zügig im Unternehmen einführen. Gerade wenn es um Innovationen geht, hat ein externer Manager mit unabhängigem Blick einen entscheidenden Vorteil: Er kann Spezialwissen einbringen, das im Unternehmen nicht vorhanden ist oder nur bedingt zur Verfügung steht. Zudem behalten sich die Institute mit diesem Schritt eine große Flexibilität bei, um auf kurzfristige Veränderungen im Markt zu reagieren.Eine weitere immer öfter zu beobachtende Strategie der Bank- und Finanzhäuser ist das Verknüpfen von interner Erfahrung mit externen Digitalisierungsspezialisten. Diese projektbasierte Arbeit rückt bei vielen Unternehmen in zunehmendem Maße auf die Agenda, schult das hauseigene Personal in digitalen Angelegenheiten und zahlt somit nachhaltig auf die strategische Ausrichtung ein. Interne Weiterbildungsmaßnahmen werden aufgrund der zunehmenden Technologisierung ohnehin immer wichtiger.Ein Blick auf die Gehaltsentwicklungen im Bereich Banking & Financial Services zeigt, dass diese relativ stabil bleiben. Nur hochspezialisierte Fachkräfte, zum Beispiel aus den Bereichen Compliance, Accounting, Tax und Regulatory, können mit einem Zuwachs bei ihren Jahreshältern von rund 10 % rechnen. In den übrigen Bereichen sind Erhöhungen von 5 % zu erwarten.Nicht zuletzt sollten die Banken und Finanzinstitute den Wettbewerb im Blick behalten. Tech-Konzerne wie Apple und Google sowie aufstrebende Finanz-Start-ups expandieren aufgrund der stabilen Wirtschaftslage nach wie vor sehr stark und möchten ihren Marktanteil weiter ausbauen. Sie versuchen, potenzielle Bewerber mit Innovationen, zukunftsfähigen Technologien sowie neuen und spannenden Konzepten zu überzeugen. Damit stehen sie in direkter Konkurrenz zu den großen Bankhäusern, die für den digitalen Wandel etwas mehr Zeit benötigen.Noch immer ist es so, dass begehrte IT-Kandidaten sich eher für das Jungunternehmen als für das etablierte Geldhaus entscheiden. Diese gelten vielfach als zu unattraktiv, auch aufgrund einer überkommenen Infrastruktur und IT-Altsystemen.Ein besseres Image würde den meisten Banken gut zu Gesicht stehen. Dafür bedarf es aber an sinnvollen Investitionen in das Employer Branding. Was nach außen versprochen wird, sollte aber intern auch mit Leben gefüllt werden. Das glaubhaft zu transportieren, ist eine große Herausforderung. Denn falsche Versprechungen hinsichtlich agiler Arbeitsmethoden und hoher Eigenverantwortung führen dazu, dass neu gewonnene Fach- und Führungskräfte das Unternehmen schnell wieder verlassen.Ein weiteres Problem für die Bankenbranche sind die sich schnell verändernden Kundenerwartungen. Um ihre Customer Experience zu verbessern, werden Banken und Finanzdienstleister nicht umhinkommen, ihre Filialmodelle grundlegend zu überdenken, neue Technologien anzubieten und verstärkt auf BDAI-Anwendungen (Big Data und Künstliche Intelligenz) zu setzen.Das könnte neue Bankmodelle auf den Plan rufen. Sprich: Die Branchengrößen müssen sich wohl oder übel überlegen, ob sie nicht vermehrt auf ein Zusammenspiel mit der Konkurrenz setzen sollten. Auf diese Weise könnte der Kosten- und Wettbewerbsdruck etwas eingedämmt, Ressourcen geteilt und dem Kunden bessere Services angeboten werden. Ob solche strategischen Partnerschaften in naher Zukunft zu erwarten sind, bleibt fraglich. Aber wer den Umbruch erfolgreich bewältigen will, muss sich zumindest Gedanken darüber machen und entsprechende Teams und Fähigkeiten im Unternehmen aufbauen. Stefan Stieger, Manager bei der internationalen Personalberatung Robert Walters in Frankfurt