Politik und Bankenaufsicht sollten die Stabilität der Banken nicht überschätzen
Die größeren deutschen Banken haben in den vergangenen Jahren beim Abbau von Risiken und beim Aufbau von Kapital materielle Fortschritte erzielt. Sie gehen in besserer Verfassung als noch vor einigen Jahren in die aktuelle Covid-19-Krise, deren medizinische wie ökonomische Auswirkungen sich noch kaum verlässlich abschätzen lassen. Selten waren die Prognosen zur volkswirtschaftlichen Entwicklung in den großen Industrieländern so breit gestreut wie derzeit und Bankvorstände so einstimmig in der Aussage, keine seriöse Orientierung für die Finanzkennzahlen ihrer Häuser geben zu können.Einerseits ist die medizinische Entwicklung der Pandemie und damit die Länge und Stärke des Nachfrageschocks unsicher. Anderseits kompensieren staatliche Fiskal- und Arbeitsmarktpolitik und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und anderer Notenbanken die negativen Effekte zumindest partiell und temporär. Die Bankenaufsicht zeigt vorläufig Entgegenkommen bei der prozyklischen Wirkung von IFRS 9 und den damit verbundenen Belastungen des Eigenkapitals, der Definition von Problemkrediten und Wertberichtigungserfordernissen sowie anderen belastenden regulatorischen Initiativen. Sie entlastet so die Banken bei Kapitalquoten und Liquidität.So verliert etwa die Deutsche Bank im ersten Quartal 2020 zwar 40 Basispunkte ihrer harten Kernkapitalquote infolge der Pandemie. Gleichzeitig sinkt aber auch die regulatorische Anforderung an ihre harte Kernkapitalquote (CET 1) um 120 Basispunkte. Ist das nun eine gute Nachricht für Gläubiger der Bank? Solche gegenläufigen Entwicklungen verdeutlichen das Dilemma der Banken und ihrer Gläubiger. Die Banken sollen und wollen Teil der Lösung sein und die Unternehmen mit Liquidität versorgen. Noch Ende 2019 identifizierte die EZB Korrekturen von Vermögenspreisen, die Verschuldung öffentlicher Haushalte und Unternehmen mit schwachen Finanzprofilen sowie die mangelnde Rentabilität der Banken als wesentliche Risiken für die Finanzstabilität und forderte von den Banken Anpassungen bei Geschäftsmodellen und Risikosteuerung. Jetzt wird die Kreditausweitung erwartet und subventioniert. Bedenken hinsichtlich der Qualität des neuen Geschäfts und des steigenden Verschuldungsgrads mancher Unternehmen scheinen für Politik und Aufsicht derzeit von nachrangiger Bedeutung. Gemäß der jüngsten Umfrage der EZB erwarten die Banken für das zweite Quartal 2020 eine erheblich lockerere Vergabe von Unternehmenskrediten dank der Stützungsmaßnahmen und Darlehensgarantien.Die für die Geschäftsbanken verbleibende Haftung scheint nur auf dem ersten Blick ein gut kalkulierbares Risiko zu sein. Denn die Kreditrisiken im Unternehmenssektor haben schon vor der Pandemie zugenommen. Emittenten von High-Yield-Anleihen, sogenannten Junk Bonds, wie auch die bonitätsschwächsten Schuldner im Investment-Grade-Segment weisen historisch schwache Finanzkennzahlen auf. Der Kreditzyklus ist bereits in der Spätphase. Dennoch hat sich das Verhältnis von Nettoschulden zum Betriebsergebnis Ebitda bei den schwächsten Unternehmen, mit einem Agenturrating von “BBB-“, seit 2007 von 1,7 auf 3,2 massiv erhöht. Angesichts dieses Schönwetter-Ratings lautete schon Ende 2019 die Frage nicht, ob der Markt korrigieren wird, sondern wann.Die Korrektur im Jahr 2020 ist aber nicht nur wegen ihrer Ursache und Wirkung keine “normale”. Die Bundesbank warnte bereits, dass regulatorische Ausnahmeregelungen und Erleichterungen kein neuer Normalzustand sind. Kreditgarantien und Erleichterungen bei Rechnungslegung und Aufsichtsrecht sind zeitlich auf die Krise begrenzt, ohne dass die zeitliche Komponente klar definiert ist. Die stellt für die Banken und ihre Mitarbeiter angesichts ihrer treuhänderischen Sorgfaltspflichten ein erhebliches Risiko dar.Derzeit werden auch Schuldner unterstützt, die in einer normalen Rezession den Marktkräften zum Opfer fielen. Das Problem wird für die Banken damit nur aufgeschoben. Die Lockerungen bestärken sie in ihrem natürlichen Drang, niedrige Problemkreditquoten auszuweisen, und potenziert auf diese Weise absehbar zukünftige Kreditausfälle. Die Transparenz über die tatsächliche Qualität des Kreditbuchs leidet.Das ist umso kritischer zu sehen, weil sich gerade die größeren deutschen Banken im Vergleich zu den Instituten in Nord- und Westeuropa oder auch Nordamerika immer noch in einer schwächeren Verfassung befinden. Neben der Struktur des deutschen Bankenmarktes tragen hausgemachte Fehler und Versäumnisse zu dieser Schwäche bei. Wie ehedem gilt: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.Wenn sich die Sorge der Aufsichtsbehörden und Kreditanalysten um die Stabilität des deutschen Finanzsystems im Vergleich zu anderen Krisen in Grenzen hält, dann ist dies dem überwiegend robusten Finanz- und Risikoprofil der Genossenschaftsbanken und Sparkassen geschuldet sowie der Tatsache, dass diese auch die ihnen angeschlossenen Zentralbanken und Spezialfinanzierer mittragen, selbst dann, wenn diese mitunter auch keine Perlen sind. Den ewigen Restrukturierungsfällen, die schon in guten Jahren nur schwache Ergebnisse liefern und zum Teil schon seit Jahrzehnten bessere Zeiten herbeisehnen, stellt diese Krise erneut (und zunehmend lauter) die Frage nach ihrer Existenzberechtigung. Gleiches gilt für diejenigen Banken, deren Geschäftsmodelle auf sehr enge Marktsegmente ausgerichtet sind, oft noch verknüpft mit opportunistisch zusammengestellten, großvolumigen Kreditbüchern. Konzentrationsrisiken drohenFür 2020 und 2021 werden die Großbanken, die Landesbanken sowie die spezialisierten Immobilienfinanzierer erhebliche Belastungen bei Ertrag, Risikokosten und Kapitalquoten hinnehmen müssen. Dies gilt trotz der zugunsten von privaten Schuldnern und Unternehmen ergriffenen Maßnahmen, die helfen, die negativen Effekte in deren Bilanzen kurzfristig zu begrenzen. Kritisch sehen wir Konzentrationsrisiken, etwa auf den Automobilsektor, den Einzelhandel, die Logistik, Luftfahrt, Öl- und Gasindustrie sowie den Tourismus oder auch auf Einzelhandels-, Hotel- und Freizeiteinrichtungen fokussierte Finanzierungen von Gewerbeimmobilien sowie, schon notorisch, die Flugzeug- und Schiffsfinanzierung.Wer von diesen Banken erwartet, jetzt der Kreditvergabe auf Kosten der Rentabilität Priorität einzuräumen, überschätzt die Stabilität ihrer Geschäftsmodelle und Finanzprofile und unterschätzt womöglich die Länge der akuten Krise. Wer verlangt, bei der Kreditwürdigkeitsprüfung “auch mal fünfe gerade sein zu lassen” oder, ergänzend zur EZB, die Einrichtung einer weiteren europäischen Bad Bank fordert, also einer Kreditvergabe ohne risikoadjustierte Bepreisung das Wort redet, verkennt die Gefahr. Eine stringente Allokation von Risiko und Erfolg und ein sauberes kaufmännisches Kalkül sollten auch in der Krise der Maßstab sein. Ein Bankensektor, in dem ein volumenmäßig großer Teil der Mitglieder über den Zyklus hinweg nie seine Eigenkapitalkosten verdient hat, sollte jetzt nicht von aufsichtsrechtlicher Nachsicht und staatlichen Garantien langfristig abhängig gemacht werden. Wollen Politik und Regulierung die Liquiditäts- und Kreditversorgung der deutschen Unternehmen und Haushalte dauerhaft gesichert wissen, müssen sie Eigentümern wie Gläubigern von Banken auch ausreichend Rentabilität für Wachstum, Kapitalaufbau und Ausschüttungen ermöglichen.Doch auch in dieser Krise liegt eine Chance. Als Ende des 19. Jahrhunderts das HGB – immer noch Grundlage für die Rechnungslegung vieler deutscher Banken – konzipiert wurde, konnte wirklich niemand ahnen, dass man sich 2020 derart um die Kreditversorgung der Unternehmen und die Kreditqualität der Banken sorgen würde. Statt Gläubiger und Analysten weiter auf semigeheime Veröffentlichungen zu verweisen, ist es an der Zeit, die Banken zu einer zeitgemäßen, qualitativ wie quantitativ würdigen Darstellung ihres wichtigsten Risikos im testierten Einzelabschluss nach HGB zu verpflichten. Wer sich als Politik oder Aufsicht davor weiter drückt, sendet die falsche Botschaft. Den guten Banken wird es leichtfallen. Die anderen Banken gehören nicht ins Portefeuille verantwortungsvoller Investoren. Michael Dawson-Kropf, Senior Credit Analyst der Independent Credit View AG und Guido Versondert, Senior Credit Analyst der Independent Credit View AG