IM GESPRÄCH: LUTZ RAETTIG

"Potenzial noch nicht ausgeschöpft"

Finanzplatz als Europas "Regulatory Hub" - "Mister Finanzplatz" Raettig tritt nach zwölf Jahren ab

"Potenzial noch nicht ausgeschöpft"

Einschnitt am Finanzplatz Frankfurt: Nach zwölf Jahren an der Spitze von Frankfurt Main Finance gibt Lutz Raettig heute das Präsidentenamt der Finanzplatzinitiative ab. Sein Rat an den designierten Nachfolger Gerhard Wiesheu: “Geduldig weitermachen.”Von Claus Döring, FrankfurtSeit zwölf Jahren als Finanzplatzverein nicht nur irgendwie zu existieren, sondern als auch international angesehener Gesprächspartner für Finanzplatzthemen zu gelten, ist für Lutz Raettig der eigentliche Erfolg seiner Zeit an der Spitze der Finanzplatzinitiative Frankfurt Main Finance. Eine solche Zukunft schien nicht selbstverständlich, als die Initiative unter erheblicher Geburtshilfe der hessischen Landesregierung auf die Welt kam, hatten sich doch verschiedene vorherige Initiativen zur Förderung des Finanzplatzes als nicht von Dauer erwiesen. “Dass es Frankfurt Main Finance nach zwölf Jahren noch gibt, ist per se schon ein Erfolg angesichts des Schicksals früherer Finanzplatzinitiativen. Und wir haben unser Potenzial sicher noch nicht ausgeschöpft”, ist “Mister Finanzplatz” Lutz Raettig überzeugt. Regulierung als TreiberDoch der Finanzplatz, so der 77-jährige Bankmanager rückblickend, bot der Initiative einen guten Start: “In Frankfurt hat bürgerschaftliches Engagement eine Tradition. Davon hat unsere Arbeit profitiert.” Aus der Taufe gehoben noch vor Ausbruch der Finanzkrise, hat dieser Einschnitt die Arbeit von Frankfurt Main Finance geprägt. Die Entwicklung eines regulatorischen Rahmenwerks für die Finanzbranche in Europa und die Profilierung Frankfurts als Regulierungshauptstadt, insbesondere für die Zeit nach dem Brexit, boten Frankfurt Main Finance ein weites Feld. Nicht ohne Stolz stellt Raettig heute fest: “Beim Ziel, das Regulatory Hub Europas zu werden, sind wir gut vorangekommen. Dieses Ziel werden wir erreichen.” International angesehenDie von Beginn an starke regionale Unterstützung durch Landesregierung, Stadt und ortsansässige Institute sei erst allmählich verbreitert worden. Umso mehr freut sich Raettig, dass Frankfurt Main Finance inzwischen auch in Berlin wahrgenommen wird und vielfältige Unterstützung erfährt. Insbesondere das Außenministerium und die deutschen Botschaften hätten sich bei den Präsentationen an anderen Finanzplätzen sehr engagiert, zuletzt vor allem in der arabischen Welt und in Tokio. Überall auf der Welt, berichtet Raettig, gelte Frankfurt Main Finance als “discussion partner of choice”, wenn es um die Folgen des Brexit und die Positionierung der Banken im EU-Finanzmarkt gehe. Der Verzicht auf nationalistische Töne, wie sie von den konkurrierenden französischen Finanzplatzwerbern zu hören seien, werde honoriert. Auch wenn die allzu ambitionierten Erwartungen an die Brexit-Segnungen für den Platz Frankfurt einer etwas realistischeren Einschätzung weichen mussten, sieht Raettig “gute Ansiedlungserfolge”. Man habe Frankfurt als Standort präsentieren können, an dem man sich mit Regulierung auskennt. Die Zusammenarbeit mit BaFin und auch Bundesbank habe sehr geholfen.Dass das Powerplay des Finanzplatzes in Kontrast zur Stärke der heimischen Banken am Platze steht, bedrückt Raettig. Trotz seiner vielen Jahre in Diensten Morgan Stanleys als Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender der deutschen Tochter treibt ihn der Bedeutungs- und auch Vertrauensverlust der deutschen Banken seit der Finanzkrise um. Daran habe auch die Arbeit von Frankfurt Main Finance wenig ändern können: “Wo wir leider an Grenzen gestoßen sind, war die Begleitmusik zum Vertrauensverlust der Banken in der Öffentlichkeit nach der Finanzkrise”.Den Rückzug vieler deutscher Banken aus dem Kapitalmarktgeschäft sieht Raettig mit Bedauern. Solches Geschäft nicht aufzugeben, da könne Frankfurt Main Finance nur freundlicher Kommentator und Anschieber sein, aber nicht die Geschäftspolitik der einzelnen Häuser beeinflussen. Auf eher verlorenem Posten sieht Raettig den Platz auch beim Thema Aktienkultur. Man versuche durch ständiges Erinnern die Aktie als Anlageinstrument zu fördern. Die Vorzüge verstünden die deutschen Anleger wohl, aber sie wollten das Risiko nicht nehmen. Einen Durchbruch erwartet Raettig nur für den Fall einer regulatorischen Aufwertung der Aktienanlage, wie dies in den USA mit den 401k-Sparplänen für die private Altersvorsorge geschah. Virtuell unterwegsDie Corona-Pandemie hat die Arbeit der Finanzplatzinitiative nicht nur thematisch verändert: Nach dem Lockdown in Frühjahr habe man mit dem Frankfurt Finance Summit im Juni wieder die erste physische Veranstaltung am Platz gewagt, so Raettig, mit 100 Gästen im Saal und zusätzlich 600 Online-Teilnehmern. Erfolgreich als Hybrid-Event sei auch der FinTech Germany Award gemeinsam mit der Börsen-Zeitung gewesen. Aber, so der scheidende Präsident: “Unser Erfolg mit virtuellen Formaten ersetzt nicht den persönlichen Kontakt.”