FINANZTRANSAKTIONSSTEUER - GASTBEITRAG

Rechtlich auf dünnem Eis

Börsen-Zeitung, 16.4.2013 Ein Lamm steht an einem Bach und trinkt. Wenig später erscheint etwas oberhalb des Bachlaufs ein Wolf und trinkt ebenfalls. Nach kurzer Zeit ruft der Wolf zum Lamm: "He Lamm, du trübst mir das Wasser!". Das Lamm antwortet:...

Rechtlich auf dünnem Eis

Ein Lamm steht an einem Bach und trinkt. Wenig später erscheint etwas oberhalb des Bachlaufs ein Wolf und trinkt ebenfalls. Nach kurzer Zeit ruft der Wolf zum Lamm: “He Lamm, du trübst mir das Wasser!”. Das Lamm antwortet: “Wolf, das ist Unsinn, du stehst doch oberhalb von mir. Wie kann ich da dein Wasser trüben?” Der Wolf erwidert: “Das ist mir egal”, springt zum Lamm und verschlingt es. Eine Vielzahl von Ökonomen, die gesamte Finanzindustrie, die mittelständische Wirtschaft und manch anderer halten die geplante Finanztransaktionssteuer (FTS) für Unsinn. Vielen Politikern scheint dies egal zu sein; sie sind fixiert auf die Idee, eine solche Steuer einzuführen. Sind die Erstgenannten das Lamm und die Politiker der Wolf in der vorstehenden Parabel?Auf verschiedenste ökonomische Verwerfungen, die eine FTS mit sich brächte, haben schon viele Autoren hingewiesen. Rechtsfragen, die sich insbesondere stellen, wenn nunmehr lediglich ein begrenzter Kreis von Mitgliedsstaaten im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit eine global wirkende FTS einführt, wurden wesentlich seltener erörtert. Diesem Aspekt sind die nachstehenden Ausführungen gewidmet.Vorbehalte gegen die FTS ergeben sich schon aus dem Europarecht. So verbietet Artikel 5 Abs. 2 Buchst. a der Kapitalverkehrsrichtlinie den Mitgliedstaaten die Erhebung einer indirekten Steuer auf den Handel mit Aktien und anderen Wertpapieren gleicher Art. Dass es sich bei der geplanten FTS um eine indirekte Steuer handelt, ist unstreitig und wird im aktuell vorliegenden Kommissionsvorschlag zur Einführung der FTS auch ausdrücklich hervorgehoben. Der genannten Einschätzung steht auch Artikel 6 Abs. 1 Buchst. a der Kapitalverkehrsrichtlinie nicht entgegen. Dort wird den Mitgliedsstaaten zwar die Möglichkeit einer Steuererhebung auf die Übertragung von Wertpapieren eingeräumt. Dies bezieht sich jedoch ausweislich der Erwägungsgründe der Richtlinie nur auf sog. Gesellschaftssteuern, wie sie im Zuge von Einbringungen (hier: von Wertpapieren) in Kapitalgesellschaften erhoben werden könnten. Mit dem gewöhnlichen Wertpapierhandel hat dies nichts zu tun. Voraussetzungen nicht erfülltDaraus folgt, dass es zunächst einer Änderung der Kapitalverkehrsrichtlinie bedarf, bevor die geplante FTS-Richtlinie verabschiedet werden kann. Eine solche Änderung müsste aber mit dem EG-Vertrag bzw. dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) im Einklang stehen. Artikel 113 AEUV sieht vor, dass gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen über indirekte Steuern einstimmig und harmonisiert ergehen (formaler Aspekt) und das Funktionieren des Binnenmarktes sowie die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zum Ziel haben müssen (materieller Aspekt). Sowohl formal als auch materiell werden diese Voraussetzungen aber eben nicht erfüllt, wenn die Änderung der Kapitalverkehrsrichtlinie dazu führt, dass nur ein begrenzter Kreis von Mitgliedsstaaten eine bestimmte indirekte Steuer (FTS) einführt und dies von den übrigen Mitgliedsstaaten zwar gebilligt, aber eine solche Steuer dort nicht auch normiert wird. Dies würde zu einem steuerrechtlichen “Flickenteppich” führen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedsstaaten geradezu heraufbeschwören. Einseitige AbflüsseIm Übrigen widerspräche ein solches Vorhaben auch dem Grundgedanken der Kapitalverkehrsrichtlinie, den freien Kapitalverkehr in der EU zu fördern. Dass das Kapital ein scheues Reh ist und dorthin springt, wo man es nicht zu erschießen droht, hat nicht zuletzt die schwedische Steuer auf Finanztransaktionen Ende der 80er-Jahre deutlich gezeigt, die zu erheblichen einseitigen Abflüssen vom dortigen Kapitalmarkt geführt hat, die auch nicht zurückgeholt werden konnten, als die Steuer in Schweden wieder abgeschafft wurde. Die kürzlich in Frankreich und Italien eingeführte FTS zeigt ersten Analysen zufolge ein ähnliches Bild.Auch hiesiges Recht steht der FTS entgegen. So ist es ein anerkannter Grundsatz des deutschen Steuerrechts, dass eine lückenlose Erhebung gesichert sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Gleichheitssatz in Artikel 3 des Grundgesetzes. Eine Steuer, die ersichtlich nicht bei allen Abgabenschuldnern durchgesetzt werden kann, die das Gesetz erfassen will, ist daher verfassungswidrig. Das im ersten Richtlinienentwurf Ende 2011 enthaltene “Ansässigkeitsprinzip” soll nach Maßgabe des nunmehr vorliegenden Richtlinienvorschlags zum Zwecke der globalen Reichweite der Besteuerung um das “Ausgabeprinzip” erweitert werden. Dieses besagt, dass weltweit alle Personen, die eine Finanztransaktion mit Aktien, Anleihen oder Derivaten tätigen, die in einem der Mitgliedsstaaten der Verstärkten Zusammenarbeit emittiert wurden, unabhängig von ihrem (Wohn-)Sitz im Mitgliedsstaat der Emission des Produkts die FTS zu entrichten haben. Die Umsetzung dieses Prinzip dürfte schon innerhalb der EU erhebliche Probleme bereiten; geradezu abwegig erscheint es, dass eine Beitreibung der Steuer in weit entfernt liegenden, namentlich ostasiatischen Finanzzentren auch nur in Ansätzen eine realistische Chance zur Verwirklichung hätte. Ist danach eine umfängliche Vollzugsfähigkeit der Steuerbeitreibung höchst unrealistisch, ist auch die Normierung einer solchen Steuer nicht statthaft.Hinzu kommt: Die FTS hat ausweislich der Kommissionsbekundungen neben ihrem fiskalischen Zweck auch einen Lenkungscharakter. Ziel der Steuer soll danach u. a. sein, die für die Finanzmarktkrise verantwortliche Finanzindustrie an den Kosten der Krise zu beteiligen und die Finanzmarktstabilität zu erhöhen. Auch im politischen Raume werden diese Erwägungen zugunsten einer FTS gebetsmühlenartig vorgebracht. Erreichbarkeit zweifelhaftDas Bundesverfassungsgericht lässt eine solche Lenkungsfunktion grundsätzlich zu – jedoch mit der Einschränkung, dass die angestrebten Ziele eine realistische Chance haben müssen, auch erreicht zu werden. Dies ist bei der geplanten FTS mehr als zweifelhaft. Hinsichtlich des ersten Zieles (Beteiligung der Finanzindustrie) ist zu fragen, welche hiesigen Finanzinstitute – als potenzielle Abgabenschuldner der FTS – im Rahmen der Finanzmarktkrise den Staat tatsächlich finanziell belastet und zu der Krise beigetragen haben. Dies sind neben den Landesbanken, für die der Staat als (Mit-)Eigentümer ohnehin verantwortlich ist, soweit ersichtlich nur die Hypo Real Estate und vielleicht noch die Commerzbank. Soweit von der FTS aber alle Marktteilnehmer – also auch Privatanleger! – betroffen werden, die in irgendeiner Form am Wertpapier- und Derivatehandel beteiligt sind, stellt dies ein weit über das eigentliche – zudem höchst populistisch propagierte – Ziel der Steuer hinausgehendes Ergebnis dar. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch das (deutsche) Steuerrecht durchzieht und an dem sich die Erreichbarkeit des angestrebten Ziels zu messen hat, ist daher grob verletzt.Auch das zweite Ziel der FTS (Erhöhung der Finanzmarktstabilität) hat keine Chance, erreicht zu werden. Die Marktqualität wird durch die Einführung der Steuer keineswegs verbessert. Das Gegenteil ist der Fall. Zum einen wird, wie erwähnt, Liquidität aus den betreffenden Märkten abfließen, und Ausweichstrategien vom überwachten Börsenhandel in den ungeregelten OTC-Markt werden sich Bahn brechen. Zum anderen werden Intermediäre (Market Maker, Spezialisten, Skontroführer u. Ä.), die als hiesige Liquiditätsspender in nahezu allen Marktsegmenten eine volkswirtschaftlich tragende Rolle für die Aufrechterhaltung und Integrität dieser Märkte ausfüllen, im Rahmen ihrer Funktionserfüllung als Bindeglied zwischen Verkäufer und Käufer durch die Steuererhebung doppelt belastet. Rechenmodelle haben ergeben, dass diese Doppelbelastung so erheblich ist, dass die Intermediäre ihre Aufgaben nicht erfüllen können. Und schließlich ist auch nicht erkennbar, auf welchem Wege mit der Einführung der geplanten Steuer systembelastende Finanzprodukte aus dem Markt verdrängt werden können. Näher liegt, dass “der Markt” neue Produkte im außerbörslichen Bereich hervorbringt, mit denen sich die Steuer umgehen ließe – eine besonders unerwünschte Folge angesichts des erklärten Bestrebens, den börslichen Markt zu Lasten des außerbörslichen Markts zu stützen.Zurück zur Parabel: Das Motiv des Wolfs für sein Handeln ist – mühsam verbrämt – sein Hunger. Das Interesse der Mitgliedsstaaten bzw. der insoweit handelnden Politiker an der FTS ist ebenfalls deren Appetit, nämlich der auf fiskalische Einnahmen. Auch dies wird mühsam verbrämt. Warum? Es gibt sicherlich bessere und auch rechtlich einwandfreiere Wege, diesen – angesichts der Finanzkrise der EU-Staaten verständlichen – Appetit zu stillen.