Sanierungsstau bei Wohnungseigentümergemeinschaften

Rechtliche, organisatorische und finanzielle Herausforderungen - Ohne flächendeckende Modernisierung kann die Klimawende nicht gelingen

Sanierungsstau bei Wohnungseigentümergemeinschaften

Private Haushalte sind nach Verkehr und Industrie der drittgrößte Energieverbraucher in Deutschland. Immobilien verursachen mehr als ein Drittel des CO2-Ausstoßes. Der Grund: Die Mehrzahl der Bestandsgebäude kann nicht mit aktuellen Standards mithalten und benötigt bis zu fünfmal mehr Energie für Heizung und Warmwasser als ein modernes Effizienzhaus. Hier liegt erhebliches Potenzial in Sachen Klimaschutz. Das gilt für Einfamilienhäuser ebenso wie für Mehrfamilienhäuser. Eine Studie des Instituts für Stadt- und Regionalentwicklung (IfSR) im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen wirft einen Blick auf die besondere Situation von Wohneigentümergemeinschaften (WEG).Fast drei Viertel der Wohneigentumsanlagen in Baden-Württemberg sind älter als 30 Jahre und weisen gravierende Modernisierungsrückstände auf. Bundesweit sind mehr als 1,7 Millionen der insgesamt 19 Millionen Wohngebäude im Besitz von Wohnungseigentümergemeinschaften. Bei ihnen ist nicht nur die Entscheidung für oder gegen Sanierungsmaßnahmen komplex und langwierig; es gibt auch rechtliche und finanzielle Hürden, die Veränderungen hinauszögern. Wie lässt sich Abhilfe schaffen?Eigentlich sollten dauerhaft niedrige Zinsen und eine Vielzahl öffentlicher Fördermaßnahmen Sanierungsprojekte im bundesdeutschen Immobilienbestand befördern. Warum geht es trotzdem so langsam voran? Förderangebote etwa der KfW entfalten oft nur eine geringe Impulswirkung, da sie teilweise kaum günstiger sind als normale Bankdarlehen. Einige Banken finanzieren nur ungern Wohneigentümergemeinschaften, weil sich unterschiedliche Interessen und Handlungsmöglichkeiten der Eigentümer gegenüberstehen und die Haftungsfragen komplexer sind.Ein wesentlicher Aspekt ist die häufig unzureichende Höhe der Rücklagen in Wohneigentumsgemeinschaften. Hier werden die unterschiedlichen Interessenlagen privater und institutioneller Eigentümer besonders deutlich: Letztere entscheiden sich eher für steuerlich wirksame Sonderumlagen. Privaten Eigentümern wiederum fehlt oft die erforderliche Liquidität, um ausreichend Instandhaltungsrücklagen zu bilden. Außerdem führt die unterschiedliche finanzielle Leistungsfähigkeit von Eigentümern oft dazu, dass erforderliche Sonderumlagen nicht zustande kommen und dadurch die gesamte Sanierungsmaßnahme scheitert.Viele Akteure, unterschiedliche Interessen – das erschwert die Abstimmung innerhalb einer WEG. Schon die diversen Kaufmotivationen – von selbst nutzen über vermieten bis hin zu vorsorgen – führen zu unterschiedlichen Positionen, wenn es um die Entscheidung über eine Investition geht. Bevor eine Sanierungs- oder Modernisierungsmaßnahme angegangen wird, sollten die Interessen durch die Hausverwaltung systematisch und transparent aufgearbeitet und möglichst ausgeglichen werden. Der Staat muss nachhelfenKlimaschutz beginnt im Kleinen, und verschiedene Beispiele zeigen die Schwierigkeiten von WEG bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen. Viele, vor allem ältere Wohnanlagen haben noch Ölheizungen. Für den Austausch dieser Heizungen beispielsweise durch Wärmepumpen oder Holz-Pellet-Heizungen hat die Bundesregierung eine attraktive Förderung geschaffen: Wer bis zum 31. Dezember 2020 einen Antrag beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) stellt, kann eine Förderung von bis zu 45 % der gesamten Investitionskosten für den Heizungstausch als Zuschuss bekommen. Nach der Genehmigung bleiben dann zwölf Monate Zeit, um das Vorhaben zu realisieren. Hier sind natürlich Wohneigentumsgemeinschaften wegen ihrer komplexen Entscheidungsstrukturen unter Zugzwang.Ein weiteres Beispiel: Mitglieder einer WEG brauchten bisher etwa für die Installation einer Elektroladestation zuerst die Zustimmung der Miteigentümer, denn Stellplätze zählen fast immer zum Gemeinschaftseigentum, wenn auch verbunden mit einem Sondernutzungsrecht. Hier stoßen Veränderungswillige nicht selten auf Widerstand. Die Scheu vor kurzfristigen Ausgaben steht dann den mittelfristigen gesellschaftlichen CO2-Zielen im Wege. Experten sehen hier den Staat in der Handlungspflicht.Das Beispiel der Ladestation zeigt, wie das praktisch aussehen kann: Am 23. März 2020 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf für den Anspruch auf private Lademöglichkeiten auf Gemeinschaftsflächen beschlossen. Auf der Grundlage des Wohneigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) kann künftig jeder Wohnungseigentümer die Genehmigung für den Einbau einer Ladevorrichtung in der Tiefgarage oder auf seinem Parkplatz auf dem Gelände der Wohnanlage verlangen. Die Miteigentümer können dann lediglich über die Art der Durchführung mitbestimmen.Aus der Studie lassen sich vier Empfehlungen ableiten, wie Investitionshemmnisse bei WEG langfristig abgebaut werden können. Erstens: Erfolgreiche Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen brauchen Kümmerer. Immobilienverwalter sollten frühzeitig, verständlich und wiederholt zu den Vorteilen von Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen informieren. Geeignete Akteure sowohl bei den Eigentümern als auch seitens der Hausverwaltungen können motivieren, moderieren und organisieren. Ihr Aufwand sollte von der Gemeinschaft leistungsgerecht vergütet werden. WEG-Verwaltungen müssen raus aus der “Hausmeister”-Ecke, viele können schon heute weitaus mehr.Zweitens können klare gesetzliche und zeitliche Vorgaben für Sanierungen Rechts- und Handlungssicherheit bringen. Diskutiert werden muss die Forderung nach gesetzlichen Vorgaben zur Bildung von Rücklagen, differenziert nach Baujahr und Sanierungszustand der Objekte. Damit würden Interessenkonflikte beseitigt und die Finanzierung energetischer Sanierungsprojekte erleichtert.Dem entgegenkommen würden drittens auch weiter ausdifferenzierte Finanzierungsinstrumente für die unterschiedlichen Eigentümertypen, -interessen und -konstellationen. Schließlich sollten viertens versierte Berater, Architekten und Ingenieure sicherstellen, dass die erforderlichen Maßnahmen auch interdisziplinär konzipiert werden, das heißt Heizen, Dämmen, Vertragsgestaltung, Mobilität usw. mitberücksichtigen. Technische Fragen müssen zusammen mit Finanzierungsfragen behandelt werden. Überhaupt gilt: Alle relevanten Themenfelder müssen integrierend bearbeitet werden, wenn Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen in Wohneigentümergemeinschaften erfolgreich durchgeführt werden sollen. Zur Klimawende beitragenEin Großteil der deutschen Wohngebäude liegt in der Hand von Wohnungseigentümergemeinschaften, daher kann ihr Beitrag zum Gelingen der Klimawende besonders groß sein. Alle beteiligten Parteien – private und institutionelle Eigentümer, Gesetzgeber, Finanzdienstleister, Immobilienverwalter und externe Fachleute – sind aufgerufen, bei der Auflösung der beschriebenen Investitionshemmnisse mitzuhelfen. Denn ohne den Immobiliensektor kann die Klimawende nicht gelingen. Reinhard Klein, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen (ARGE)