Datenerhebung

Schweiz findet weniger russische Gelder als gedacht

Die Schweiz ist das erste Land, das die Höhe der nach Maßgabe der EU-Sanktionsverordnung erfassten russischen Vermögenswerte offenlegt. Die Summe ist geringer als erwartet, die Datenlage jedoch lückenhaft.

Schweiz findet weniger russische Gelder als gedacht

dz Zürich

Wie viel russisches Geld verwaltet der Schweizer Finanzplatz? Die Schweizerische Bankiervereinigung schätzte die Summe im März auf 150 Mrd. bis 200 Mrd. sfr. Seither werden die Zahlen systematisch erfasst. Die Datenerhebung ist Bestandteil der Anfang März revidierten Sanktionsverordnung der EU, die von der Schweiz praktisch vollständig umgesetzt wird. Erhoben werden nicht nur die (gesperrten) Vermögenswerte von Oligarchen und anderen sanktionierten Personen, sondern auch die Gelder von nicht sanktionierten russischen Bürgerinnen und Bürgern, die mehr als 100000 sfr auf einem Schweizer Bankkonto halten. Ziel der Erhebung sei es, den Zufluss russischer Gelder zu überwachen und zu bremsen, erklärte der Schweizer Botschafter Erwin Bollinger am Donnerstag auf einer Medienkonferenz die von seinem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) umgesetzte EU-Maßnahme.

7,5 Mrd. Franken sanktioniert

Gemäß den Auswertungen des Seco liegen auf Schweizer Bankkonten russische Gelder im Umfang von 46,1 Mrd. sfr. Diese Zahl setzt sich aus Einlagen von 7548 Geschäftsbeziehungen zusammen. Auch Konten von belarussischen Staatsangehörigen im Wert von 400 Mill. sfr führen Schweizer Banken. Daneben hat der Bund Vermögenswerte über 7,5 Mrd. sfr von sanktionierten russischen Personen oder Firmen gesperrt. Dazu gehören auch 15 Liegenschaften in diversen Landesteilen.

Die Diskrepanz zur der Schätzung der Bankiervereinigung ist frappant. Der Verband sagt, er habe sich auf Einschätzungen aus der Branche gestützt und den so ermittelten Wert mit verschiedenen Marktexperten plausibilisiert. Ein Grund für den vergleichsweise niedrigen Wert, den das Seco ermittelt, ist offenbar schlicht der Geltungsbereich der Datenerhebung. Was die Vermögensbestände nicht sanktionierter Personen von über 100000 sfr anbelange, habe man im Einklang mit den EU-Bestimmungen nur Bareinlagen, aber keine Wertpapierbestände erhoben, er­klärte Bollinger. Die Höhe von Wertpapierbeständen sei aufgrund der marktbedingten Wertschwan­kungen ungeeignet, den effektiven Zu- oder Abfluss von Vermögenswerten zu messen, sagte der Botschafter.

Zudem findet die Meldepflicht laut EU-Verordnung nur Anwendung auf russische Staatsangehörige. Ausgenommen sind z. B. russische Personen, die auch einen Pass eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) besitzen. „Damit ist ein großer Teil der von Banken in der Schweiz verwalteten Vermögen russischer Kunden von den Einlage-Restriktionen sowie der Meldepflicht an das Seco ausgenommen“, heißt es auf der Webseite der Bankiervereinigung. Es fehlt dort auch nicht der Hinweis, dass die Schweiz die Maßnahme analog zur EU umsetze.

Als erstes Land veröffentlicht

Die Schweiz ist nach Angaben des Seco das erste Land in Europa, das die umfassenden Bestände an russischem Vermögen auf dem eigenen Finanzplatz publik gemacht hat. Vor allem die überraschend geringe Höhe der Vermögenswerte nicht sanktionierter Personen dürfte auf behördlicher Ebene auch außerhalb der Schweiz für Diskussionen sorgen. Weniger überraschend erscheint dagegen der Vermögensbestand sanktionierter Personen, den das Seco mit 7,5 Mrd. sfr angibt. Doch auch diesen Betrag hatten in den vergangenen Monaten manche Beobachter nicht zuletzt mit Blick auf die Stellung der Schweiz als großen Rohstoffhandelsplatz um einiges höher eingeschätzt. Was sagt die Zahl über die Effizienz der Schweizer bei der Jagd nach Oligarchen-Geldern? „Die Höhe der gesperrten Vermögenswerte ist kein direkter Gradmesser dafür, wie effektiv die Sanktionen umgesetzt werden“, relativiert Botschafter Bollinger. Zudem handele es sich bei der Höhe der gesperrten Vermögenswerte um eine Momentaufnahme, wobei der Wert in beide Richtungen schwanken könne.

Die Höhe der Vermögenswerte sanktionierter russischer Personen haben verschiedene Länder in Europa bereits publik gemacht. In Großbritannien wurde gemäß Seco ein Bestand von 18 Mrd. Pfund ermittelt. In der EU belaufe sich dieser auf 17 Mrd. Euro, davon 2,2 Mrd. Euro in Deutschland. Diese Vermögenswerte sind den Sanktionsbestimmungen zufolge zwar gesperrt, bleiben aber im Eigentum der sanktionierten Personen. Für die in der EU unlängst vorgebrachte Idee, die sanktionierten Gelder zu konfiszieren und für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden, sehe man in der Schweiz derzeit keine ausreichende rechtliche Grundlage, selbst dann nicht, wenn zwischen staatlichen und privaten Vermögen unterschieden werde, sagte Bollinger.