Im GesprächProf. Roland Koch und Prof. Thomas Weck

„Selbst Beteiligte haben den Überblick verloren“

Die beiden Hochschulprofessoren Roland Koch und Thomas Weck plädieren für eine Selbstbeschränkung der Regulierer. Und sie bringen den in den USA etablierten Ansatz der No-action Letters ins Gespräch.

„Selbst Beteiligte haben den Überblick verloren“

Im Gespräch: Roland Koch und Thomas Weck

„Selbst Beteiligte haben den Überblick verloren“

Die beiden Professoren der Frankfurt School über EU-Gesetzgebung, delegierte Rechtsakte und No-Action Letters als Lösungsansatz

Von Detlef Fechtner, Frankfurt

EU-Gesetzgebung löst delegierte Rechtsakte aus – und deren mittlerweile große Zahl führt zur Überforderung. Vor diesem Hintergrund plädieren die beiden Hochschulprofessoren Roland Koch und Thomas Weck für eine Selbstbeschränkung der Regulierer. Und sie bringen den in den USA etablierten Ansatz der No-action Letters ins Gespräch.

Europas Gesetzgeber müssen nach Überzeugung der Hochschulprofessoren Roland Koch und Thomas Weck umsteuern, um einen „Regulierungsinfarkt“ vorzubeugen, der droht, weil Hunderte delegierte Rechtsakte nicht umgesetzt werden können. „Die gut 50 EU-Gesetzgebungsverfahren zur Finanzmarktregulierung in den vergangenen Jahren machen es notwendig, dass die EU-Behörden EBA, ESMA und EIOPA mehr als 400 delegierte und andere Rechtsakte erlassen müssen", erläutert Koch im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Der ehemalige hessische Ministerpräsident fügt lakonisch an: "Selbst Beteiligte haben den Überblick verloren.“

Delegierte Rechtsakte dienen der Ergänzung oder Änderung von EU-Richtlinien oder EU-Verordnungen. Sie werden erlassen, wenn Rat und EU-Parlament die Befugnis dazu übertragen haben. Koch mahnt, dass EU-Gesetzgebung delegierte Rechtsakte der EU-Instanzen und zugleich „Goldplating“ auf nationaler Ebene auslöse, also Erweiterungen über die eigentlichen EU-Vorgaben hinaus. Das führe zu einem unzufriedenstellenden Ergebnis: „Auf vielem steht Binnenmarkt drauf, aber es ist nicht Binnenmarkt drin“, moniert der Professor of Management Practices in Regulated Economy. Denn erstens seien die Regeln durch Durchführungsverordnungen oft administrativ kompliziert und zweitens durch Goldplating unterschiedlich von Land zu Land.

Kochs Kollege Weck, Associate Professor für Öffentliches Recht, Regulierungsrecht und Rechtsvergleichung, argumentiert: „Um dem ständigen Aufwuchs von Durchführungsverordnungen Einhalt zu gebieten, müssen die EU-Gesetzgeber insgesamt weniger im Detail regulieren." Denn je mehr sie detailliert auf Ebene eins regelten, desto mehr Lücken entstünden, in die dann auf Ebene zwei zusätzlich reguliert werden müsse. Es dürfe nicht die Antwort sein, „alles mit Regulierung zu überziehen, um Eventualitäten vorzubeugen.“ Die EU-Gesetzgeber, so fordert Weck, müssten sich entscheiden, was ihnen wichtig ist. "Darauf müssen sie sich selbst beschränken.“

Erprobtes Instrument in den USA

Koch und Weck beschränken sich jedoch nicht auf eine kritische Bestandsaufnahme, sondern bieten auch einen Lösungsvorschlag an. „Der Vorschlag, der am meisten Aufmerksamkeit erzielt hat, sind die No-Action Letters", berichtet Koch über seine Gespräche mit EU-Gesetzgebern. Auch, weil er kurzfristig umsetzbar sei – und als gängiges Instrument in den USA erprobt ist.

Weck erläutert deren Prinzip: Wenn gesetzliche Vorgaben starr seien oder keine Ausnahmen vorsähen, sollten die Aufsichtsbehörden dort, wo sie Ermessen haben, die Durchsetzung von Regeln und Sanktionierung von Nichtbefolgung aussetzen. „No-Action Letters kündigen eine entsprechende Aufsichtspraxis an und sind da überaus hilfreich.“ „Die Überlegung", ergänzt Koch, „auch in Europa No-Action Letters zu nutzen, haben wir intensiv mit Europaabgeordneten diskutiert.“ Das Interesse der Parlamentarier sei groß, denn die Hunderte delegierte Rechtsakte, die noch ausstehen, seien nicht umsetzbar.

Die beiden Professoren an der Frankfurt School of Finance & Management werben zudem für eine stärkere Berücksichtigung des Kriteriums Wettbewerbsfähigkeit in der Regulierungspraxis. „Es wäre mein Rat, Wettbewerbsfähigkeit als expliziten Auftrag für die EU-Behörden zu verankern“, unterstreicht Koch. „Behörden müssen ihren Auslegungsspielraum so nutzen, dass der Beitrag der Finanzindustrie zur Realwirtschaft ein Teil ihrer Aufgabenstellung ist.“ Weck schließt sich inhaltlich an: "Die EU-Regulierer müssen die Ziele gegeneinander abwägen, also einerseits Risikominimierung, andererseits Marktdynamik und Innovationsfähigkeit – oder allgemeiner: Wettbewerbsfähigkeit.“

Kritisch beäugt Weck in diesem Zusammenhang die aktuelle Praxis der EU Impact Assessments, deren Ziel es ist, einen Eindruck von den Auswirkungen geplanter Gesetze zu gewinnen. „Es gibt in der EU-Gesetzgebung zwar Folgeabschätzungen. Aber man wird den Verdacht nicht los, dass manche Abschätzung genau zum politisch gewünschten Ergebnis gelangt“, sagt Weck.

Ein besonderes Augenmerk des Strategiepapiers, das Koch und Weck im Rahmen ihrer Tätigkeit für das Frankfurt Competence Center for German and Global Regulation verfasst haben, gilt den Nachhaltigkeitsvorgaben in der Finanzmarktregulierung. „Nehmen Sie als Beispiel die Taxonomie", erläutert Koch. Sie sei Teil der Bankenaufsicht geworden. Man müsse die Frage stellen, ob die Bankenaufsicht zur Umweltbehörde werden soll. „Finanzmarktregulierung darf nicht in erster Linie Umweltregulierung sein, auch wenn Bank- und Kapitalmarktgeschäft selbstverständlich Auswirkungen auf Klima und Umwelt hat“, lautet Kochs Credo. Die Europäische Union könne durchaus ambitionierter als andere in Sachen Nachhaltigkeit agieren. Aber sie müsse aufpassen, dass sie sich nicht auf einen einsamen Posten begebe.

Potenzielle Probleme

Schließlich erinnert Weck daran, dass keine Unwucht zwischen den Vorgaben für Unternehmen und denen für ihre finanzierenden Banken entstehen dürfe. Der EU-Gesetzgeber wolle aktuell die Regulierungslast bei der nicht-finanziellen Berichterstattung von Unternehmen durch die Omnibus-Initiative zurückfahren. Aber die Bankenaufsicht fordere trotzdem von den Banken, dass sie weiterhin die ökologische Transformation aufseiten ihrer Kreditkunden im Auge behalten. „Das führt zu Problemen.“