Wirecard

Staatsanwalt­schaft spricht von „Bande“

Zum Auftakt des Mammutprozesses im Wirecard-Betrugsskandal verlas die Staatsanwaltschaft die lange Anklageschrift gegen die drei Angeklagten, darunter Ex-Vorstandschef Markus Braun.

Staatsanwalt­schaft spricht von „Bande“

sck München – Zum Prozessauftakt vor der 4. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München I im Wirecard-Komplex hat Staatsanwalt Matthias Bühring in der Verlesung der 474 Seiten langen Anklageschrift wiederholt von einer „Bande“ gesprochen (Az. 4 KLs 402Js 108194/22). Damit bezeichnete er die drei Angeklagten, die mit ihren jeweils vier Verteidigern vor Gericht anwesend waren. Neben Ex-Vorstandschef Markus Braun (53) handelt es sich um Oliver Bellenhaus (49), den früheren Statthalter der Konzerneinheit in Dubai, sowie Stephan Freiherr von Erffa (48), den ehemaligen Chefbuchhalter und stellvertretenden Finanzchef des im Sommer 2020 zusammengebrochenen Zahlungsabwicklers. Die Strafermittler werfen dem Trio gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, unrichtige Darstellung und Marktmanipulation in mehreren Fällen vor.

Bühring zufolge versuchten die Angeklagten, mit Luftbuchungen und Scheingeschäften über mehrere Jahre die Bilanz und den Umsatz aufzublähen, um die tatsächliche Lage des Unternehmens zu verschleiern. Dadurch hätten sie vorgetäuscht, „dass es sich um ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen handelt“. Ziel sei es gewesen, auf diese Weise den „Kollaps“ von Wirecard „zu verhindern“. Denn den Ausführungen des Anklägers zufolge machte der Konzern „in Wirklichkeit“ Verluste. Braun und seine Komplizen haben nach Darstellung der Staatsanwaltschaft zu verhindern versucht, dass die Betrügereien aufflogen. Das Drittpartnergeschäft vor allem in Asien habe nie existiert. „Mit dieser Vereinbarung legten die Bandenmitglieder das Fundament für die (. . .) ersonnenen, geplanten und ausgeführten Straftaten der unrichtigen Darstellung, der Marktmanipulation, des gewerbsmäßigen Bandenbetruges und der Untreue“, sagte Bühring. Dabei sei es ihnen gelungen, „eine effektive interne Kontrolle der tatsächlichen Vorgänge auszuschalten“.

Teilgeständnisse

In dem Mammutprozess zur juristischen Aufarbeitung des Wirecard-Bankrotts gilt Bellenhaus dem Vernehmen nach als Kronzeuge. Der gelernte Bankkaufmann sitzt nach Angaben des Vorsitzenden Richters Markus Födisch in der Justizvollzugsanstalt München in Untersuchungshaft. Bei Braun, von Beruf Informatiker, ist dies seit dem 22. Juli 2020 der Fall. Im November 2020 wurde Braun im Untersuchungsausschuss des Bundestages zu den Vorgängen befragt. Von dem Trio ist nur Erffa auf freiem Fuß – unter strengen Auflagen der Justiz. Der Betriebswirt befand sich laut Födisch ein Jahr lang bis zum 18. Juli 2021 in Untersuchungshaft.

Erffa soll bereits gestanden haben, im Rahmen einer Sonderprüfung durch KPMG Dokumente gefälscht zu haben. Diese Prüfung hatte der Aufsichtsrat im Herbst 2019 in Auftrag gegeben, nachdem bereits stichhaltige Vorwürfe gegen das damalige Dax-Mitglied in den Medien verbreitet worden waren. Im Frühjahr 2020 flogen in der Sonderprüfung durch die mandatierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die Luftbuchungen auf. Braun hingegen streitet die Tatvorwürfe weiterhin ab. Zuvor be-zeichnete sich dieser als „Opfer“. Er, so Braun, habe von den Machenschaften nichts gewusst.

Zu der Bande zählte Bühring zufolge auch den frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek. Der Österreicher befindet sich seit dem aufgeflogenen Skandal auf der Flucht. Medienberichten zufolge soll er sich in Moskau versteckt halten. Ebenfalls als tatverdächtig gelten zudem externe Geschäftspartner von Wirecard und Ex-Finanzvorstand Burkhard Ley. Dieser bestreitet wie Braun ebenfalls, beteiligt gewesen zu sein. Gegen ihn laufen die Ermittlungen weiter. Als Beschuldigte gelten ebenso weiterhin Leys Amtsnachfolger Alexander von Knoop und die ehemalige Wirecard-Produktvorständin Susanne Steidl. Dem Vernehmen nach wird gegen die beide letzteren Personen seit Monaten aber nicht mehr ermittelt. In ihrer Anklageschrift führt die Staatsanwaltschaft aus, dass Ley bei der Übergabe des CFO-Postens an Knoop diesen nicht über die Machenschaften in Kenntnis setzen ließ. Knoop übernahm das Amt des Finanzvorstands Anfang 2018. Nach einem aufgedeckten Bilanzloch von 1,9 Mrd. Euro ging Wirecard im Juni 2020 pleite. Die Staatsanwaltschaft beziffert den Gesamtschaden für Gläubiger auf 3,1 Mrd. Euro. Für diese sammelte der Insolvenzverwalter Michael Jaffé bislang 1 Mrd. Euro aus der Insolvenzmasse ein.

Zum Prozessauftakt war zwar das Medieninteresse groß, aber nicht so gewaltig wie von der Justiz ursprünglich angenommen. Im Sitzungssaal verfolgten 35 Journalisten die Haupt­verhandlung. Hinzu kamen acht Kameraleute und rund 30 Personen im Zuschauerbereich. Die Strafkammer besteht aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffen. Hinzu kommen vier Ergänzungsrichter und zwei Ergänzungsschöffen.

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