EU-Taxonomie

Stop-and-go statt grüne Welle?

Wird sich die EU-Taxonomie als Heilsbringer erweisen oder mutiert sie stattdessen zum Bürokratiemonster? Angesichts der Vielzahl an ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten, die allein im Rahmen von zwei der insgesamt sechs Umweltzielen,...

Stop-and-go statt grüne Welle?

Wird sich die EU-Taxonomie als Heilsbringer erweisen oder mutiert sie stattdessen zum Bürokratiemonster? Angesichts der Vielzahl an ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten, die allein im Rahmen von zwei der insgesamt sechs Umweltzielen, namentlich Klimaschutz sowie Anpassung an den Klimawandel, erfasst sind, fällt ein pauschales Urteil zum jetzigen Zeitpunkt schwer. Der mit erheblicher Verspätung am 21. April 2021 veröffentlichte Delegierte Rechtsakt liefert aber mit seinen beiden Anhängen über insgesamt 500 Seiten einen ersten Eindruck. Und zumindest mit Blick auf den Immobiliensektor steht zu befürchten, dass die EU-Taxonomie nicht für eine grüne Welle sorgen wird.

Die streng wissenschaftliche Orientierung an der Erreichung der beiden Umweltziele sorgt bei Immobilien für mitunter komplexe und nicht wirklich praktikable Anforderungen, insbesondere aus dem Blickwinkel einer finanzierenden Bank. Dies gilt insbesondere für die so­genannten „Do No Significant Harm“-Kriterien (DNSH). Dahinter verbergen sich die Anforderungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Wirtschaftstätigkeit keines der fünf anderen Umweltziele erheblich beeinträchtigt. Um das Umweltziel nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen nicht zu gefährden, muss beim Neubau von Nicht-Wohngebäuden, neben der Einhaltung von Energieeffizienzvorgaben, beispielsweise sichergestellt sein, dass Waschbecken einen Wasserfluss von maximal sechs Litern pro Minute, Duschen von acht Litern und Toiletten von 3,5 Litern aufweisen. Entsprechende gesetzliche Anforderungen an Bauwirtschaft oder Hersteller gibt es nicht, und so muss davon ausgegangen werden, dass finanzierende Banken nicht über diese Informationen verfügen.

Neben den DNSH-Kriterien müssen natürlich die technischen Bewertungskriterien erfüllt sein. Damit der Erwerb und Besitz von Bestandsgebäuden als eine ökologisch nachhaltige Transformationstätigkeit im Sinne des Klimaschutzes eingestuft werden kann, müssen die Gebäude entweder der Energieeffizienzklasse A angehören, oder in Bezug auf den Primärenergiebedarf zu den top 15% des nationalen bzw. regionalen Bestands gehören. Doch wie soll dieser Nachweis erbracht werden? Hier ist die Industrie gefragt, Lösungen zu entwickeln.

Erschwert wird ein solches Vorhaben durch die mangelnde Datenverfügbarkeit in Deutschland. Im Gegensatz zu vielen anderen EU-Staaten fehlt es hierzulande sogar an einer zentralen Erfassungsstelle für Energieausweise, über die die erforderlichen Daten zugänglich sind. Es wird höchste Zeit, dass Deutschland hier nachzieht.

Mangelnde Vergleichbarkeit

Beim Blick auf Energieausweise wird ein weiteres Dilemma deutlich: Es mangelt an einer Vergleichbarkeit in Europa. So enthalten die Ausweise nicht immer eine Einteilung in Energieeffizienzklassen, und wenn doch, ist die Skalierung der Energieeffizienzklassen oft nicht einheitlich, um nur zwei Beispiele zu nennen. Es ist dringend geboten, die anstehende Überarbeitung der EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden für eine weitergehende Harmonisierung zu nutzen.

Der Neubau von Gebäuden gilt wiederum als ökologisch nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie, wenn dessen Primärenergiebedarf mindestens 10% niedriger ist, als es die nationale Anforderung an ein Niedrigstenergiegebäude (Nearly Zero Energy Building, NZEB) verlangt. Hier ist die EU-Kommission den Be­denken der Industrie ein wenig entgegengekommen. Dennoch offenbart diese Anforderung, dass die nationalen NZEB-Definitionen nicht im Einklang mit dem Ziel der Gebäuderichtlinie stehen, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95% im Vergleich zum Jahr 1990 zu reduzieren. Der konsequente Weg wäre, die nationalen NZEB-Definitionen so zu gestalten, dass sie den Klimazielen gerecht werden.

Indirekte Verknüpfung

Was heißt das nun für die Emission grüner Pfandbriefe und grüner unbesicherter Anleihen? Es besteht kein direkter Zusammenhang zwischen der EU-Taxonomie und der Emission grüner Anleihen. Die Taxonomie-Verordnung gilt für Finanzprodukte, die als ökologisch nachhaltig vermarktet werden, und Anleihen fallen in diesem Zusammenhang nicht unter die Definition von Finanzprodukten. Auch das Kreditgeschäft gehört nicht dazu. Vielmehr ist die Anwendung auf das Kreditgeschäft freiwillig. Gleichwohl sorgt der angekündigte EU Green Bond Standard für eine indirekte Verknüpfung der EU-Taxonomie mit grünen Anleihen, denn es ist zu erwarten, dass dieses Label nur dann vergeben wird, wenn alle Aktivitäten, die mit einer grünen Anleihe (re-)finanziert werden, die Taxonomie-Kriterien erfüllen; und zwar sowohl die technischen Bewertungskriterien als auch die DNSH-Kriterien.

Angesichts der Komplexität der DNSH-Kriterien muss davon ausgegangen werden, dass im Immobiliensektor zunächst kaum Anleihen emittiert werden können, die die Taxonomie-Konformität für 100% aller (re-)finanzierten Assets erfüllen können. Eine Studie europäischer Ge­bäudezertifizierer unterstützt diese Vermutung. In dem von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) federführend betreuten Projekt wurden 62 Gebäude in Europa auf ihre Taxonomie-Konformität überprüft. Bei gerade einmal einem einzigen Gebäude kamen die Experten zu dem Ergebnis, dass die Taxonomie-Anforderungen vollumfänglich erfüllt seien. Auch wenn die Analyse auf Basis der Empfehlungen der Technical Expert Group on Sustainable Finance durchgeführt wurde, wären die Ergebnisse vermutlich kaum anders ausgefallen, wenn die nun geltenden Kriterien zugrunde gelegt worden wären.

Die Konsequenzen, die sich daraus für die Emission grüner Anleihen ergeben können, werden wesentlich vom Verhalten der Investoren abhängen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Investoren künftig bevorzugt grüne Anleihen nachfragen, die den EU-Green-Bond-Standard erfüllen, weil sich dadurch die Taxonomie-Konformität nachweisen ließe. Denn Investoren werden ihrerseits Bericht erstatten müssen, welcher Anteil ihrer Investments taxonomiekonform ist. Da aber im Immobiliensektor zunächst kaum solche Anleihen emittiert werden können, könnten Anleger diesen Sektor künftig meiden.

Technische Kriterien

Viel geholfen wäre schon, wenn zunächst der Fokus auf die technischen Bewertungskriterien der Taxonomie gelegt werden würde. Zudem könnten Anleger verstärkt auf Industrieinitiativen setzen wie die VDP-Mindeststandards für grüne Pfandbriefe oder das Energy Efficient Mortgage Label (EEML) des European Covered Bond Councils (ECBC). Dadurch ließe sich für eine Übergangsphase eine Brücke schlagen zwischen den Anforderungen der EU-Taxonomie und den derzeit umsetzbaren Kriterien in der Praxis, um so dafür zu sorgen, dass die grüne Welle weiter rollen kann und die Märkte nicht im Stop-and-go stecken bleiben.