Christian Senitz

WebID zieht es nach Spanien

Der Identifizierungsdienstleister WebID plant die Expansion nach Süden. Als Nächstes werde Spanien angepeilt, berichtet der neu angetretene CFO Christian Senitz, dessen Posten eigens geschaffen wurde.

WebID zieht es nach Spanien

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Der Anbieter für Online-Identitätsprüfungen, WebID, strebt nach Südeuropa. „Spanien ist das nächste Land, das wir uns anschauen“, sagt Christian Senitz, seit gut zwei Monaten Chief Financial Officer (CFO) des Berliner Unternehmens. Für eine Expansion im Blick seien zudem Italien, Portugal und Frankreich. „In den nächsten sechs Monaten durchlaufen wir mit unseren Kunden zusammen, die nach Spanien gehen, eine Testphase“, sagt er. „Wir bewerten noch genau die regulatorischen Anforderungen.“

Der Kapitalmarktspezialist Senitz ist vom Berliner E-Commerce- und Social-Media-Dienstleister Social Chain zu WebID gestoßen, um den Expansionskurs der Gesellschafter auch mit „wachstumsbeschleunigenden M&A-Transaktionen“ zu begleiten, wie es vom Unternehmen anlässlich des Wechsels hieß. Nach dem Mehrheitseinstieg der britischen Private-Equity-Gesellschaft Anacap bei WebID im vergangenen Jahr sind Senitz und Michael Weinreich, der im Juni als Chief Growth Officer angefangen hat, angetreten, um das globale organische und anorganische Wachstum voranzutreiben.

WebID-Mitgründer und Vorstandschef Frank Stefan Jorga hatte bereits vor gut zwei Jahren im Gespräch mit der Börsen-Zeitung gesagt, auch über Zukäufe wachsen zu wollen (vgl. BZ vom 8.10.2020). „Es gibt keinen Druck für Zukäufe“, sagt Senitz, „aber es werden sich Möglichkeiten ergeben“. Die Ressourcen seien jedenfalls vorhanden, um dies zu stemmen, und zwar personell wie finanziell. „Jetzt muss man schauen, was zu unserer ­Strategie und von den Preisen her passt.“ In Betracht kämen aber auch strategische Partnerschaften, betont Senitz. Ebenso wenig Druck bestehe, dass weitere Investoren hinzukommen: „Wir sind offen und führen Gespräche, aber es herrscht keine Notwendigkeit.“

Servicecenter im Bergischen

Über kleinere Auslandsstandorte verfügt die vor zehn gegründete WebID bereits in Österreich, der Schweiz, den USA und in Indien. Im Inland ist das Unternehmen neben dem Hauptsitz in Berlin in Hamburg, Kiel, Frankfurt und Solingen vertreten, wobei in der Stadt im Bergischen Land der Großteil der rund 1000 Mitarbeiter beschäftigt ist. Dort steht das Videoident-Center, ein Hochsicherheitstrakt, in dem WebID-Mitarbeiter, sogenannte Live-Agents, die Identität einer Person für Kontoeröffnungen oder Darlehensverträge online überprüfen, um so Betrug und Geldwäsche zu verhindern. Das schreibt das Geldwäschegesetz (GwG) vor. Die Erfahrungen mit dem Videoident-Center seien gut, die Prozesse Teil der Wachstumsstrategie, sagt Senitz. Somit sei es nicht nötig, in jedem Land, in das WebID zu expandieren gedenke, ein vergleichbares Video-Servicecenter aufzubauen.

WebID bezeichnet sich selbst als Erfinder der Videoidentifikation, welche die eigens geschulten Mitarbeiter ausführen, bietet aber etwa auch voll automatisierte Identifikationen via künstliche Intelligenz an. Videoident, sagt Senitz, werde auch weiterhin seine Bewandtnis haben und Nutzer finden. Ein scharenweiser Wechsel zum automatisierten Verfahren sei jedenfalls nicht zu beobachten. Zudem kann WebID bereits verifizierte Daten sicher verwahren, um Kunden so zu ermöglichen, sich mit ihrer digitalen Identität jederzeit beispielsweise im Online-Banking oder in sozialen Medien zu authentifizieren.

Das Videoidentifizierungsverfahren ist im Sommer in die Schlagzeilen geraten, nachdem Mitglieder des Chaos Computer Clubs Schwachstellen bemängelten. So sei es ihnen gelungen, die Sicherheitsprüfung zu überlisten und sich unter anderem Zugriff auf die elektronische Patientenakte einer Testperson zu verschaffen. Zur Beantragung einer elektronischen Patientenakte ist das Videoidentverfahren daraufhin verboten worden, aber im Finanzsektor be­stehen keine Beschränkungen. Die Finanzaufsicht BaFin hat jüngst bekräftigt, dass es die nach dem Geldwäschegesetz Verpflichteten, die unter ihrer Aufsicht stehen, weiterhin anwenden dürfen. Die Sicherheit der von WebID praktizierten Verfahren stehe außer Frage, sagt Senitz.

Natürlich beschäftige sich das Unternehmen aber mit sich rapide fortentwickelnden Betrugsmethoden wie Deep Fakes, also mithilfe künstlicher Intelligenz erschaffene Videos, Audio- oder Bildformate, die teils täuschend echt wirkende synthetische Gesichts- oder Sprachimitationen ermöglichen. Und auch klassische Cyberattacken seien, vor allem in diesem Jahr, ein großes Thema. „Sicherheit hat deshalb bei uns höchste Priorität“, so Senitz.

Etwa vier Fünftel der Kunden der Gesellschaft, zu denen unter anderen BNP Paribas, Trade Republic, Solarisbank, DKB, ING, Santander und Allianz zählen, stammen nach Schätzung des Finanzvorstands aus dem Finanzdienstleistungs- und Telekommunikationssektor. Neue Kundengruppen hat Senitz bereits im Blick: „Wir sehen auch bei Anwälten, Notaren und Steuerberatern Wachstumsmöglichkeiten.“ Deren Kunden bzw. Geschäftspartner müssen auch eindeutig identifiziert werden. eGovernance, also digitale Behördendienstleistungen, hat WebID ebenfalls als Betätigungsfeld ausgemacht. So können beispielsweise Heiratswillige in Wiesbaden die Anmeldung zur Eheschließung im Standesamt der hessischen Landeshauptstadt via Videoidentifikation und elektronischer Signatur durch WebID erledigen.

Verimi bleibt Partner

Dass sich die Identitätsdienste Verimi und Yes zusammentun, wie sie Ende November verkündeten, ficht Senitz nicht an. WebID werde ungeachtet dessen auch weiterhin mit Verimi zusammenarbeiten, mit der es eine strategische Partnerschaft im September 2021 verkündete. In der Branche gebe es nicht viele wechselwillige Kunden, berichtet er, von daher fühle man sich nicht unter Druck gesetzt.

Den Zusammenschluss von Verimi und Yes bewertet Senitz jedenfalls nicht als Zeichen dafür, dass eine aktuelle Konsolidierung der Branche im Schwange sei. Bevor es so weit komme, würden sich die Branchenakteure stärker spezialisieren und in neue Märkte eintreten. „Das wird vielleicht auch regionenübergreifende Unternehmen hervorbringen“, sagt Senitz. Irgendwann werde der Wettbewerb aber nicht mehr für alle Platz lassen: „Ich glaube, dass der Verdrängungswettbewerb mittelfristig kommen wird.“

Als größere Akteure im Markt neben WebID zählt Senitz neben Verimi und Yes auch das in München beheimatete Unternehmen IDNow auf. Auch die niederländische Fourthline und Nect aus Hamburg gehörten dazu, auch wenn nicht alle Geschäftsmodelle immer ein zu eins vergleichbar seien.

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