Brasilien

Bolsonaro-Beben in Brasiliens Wirtschaft

Mit der Absetzung des Chefs des Ölriesen Petrobras verlässt Brasiliens Präsident den Reformkurs. Vor den Präsidentschaftswahlen 2022 zielt er auf kurzfristige Effekte und riskiert die Erholung von der Pandemie.

Bolsonaro-Beben in Brasiliens Wirtschaft

Von Andreas Fink, Buenos Aires

In Brasiliens Wirtschaft herrscht massive Unsicherheit, seitdem Präsident Jair Bolsonaro einen Richtungswechsel vollzogen hat. Nachdem der Rechtspopulist seit Wochen immer lauter den Anstieg der Treibstoffpreise beklagt hatte, entließ er am vorigen Freitag den CEO der halbstaatlichen Ölkompanie Petrobras. Anstelle des in Chicago ausgebildeten und von den Märkten geschätzten Ökonomen Roberto Castello Branco berief Bolsonaro einen Militär für den Job an der Spitze des größten Unternehmens des Landes. Der 71-jährige General der Reserve Joaquim Silva e Luna hatte bislang das zweistaatliche Konsortium des Itaipu-Staudamms geleitet, unter Bolsonaros Vorgänger Michel Temer war er Verteidigungsminister.

Obwohl Bolsonaro diese Entscheidung am Freitag nach Börsenschluss via Facebook verkündete, verloren die Petrobras-Aktien im nachbörslichen Handel etwa 7%. Der Absturz dramatisierte sich zu Wochenbeginn mit einem Abschlag von einem Fünftel, nachdem Bolsonaro weitere Personalrochaden im Elektrizitätssektor angekündigt hatte. Im Januar hatte er bereits die Führung der Staatsbank Banco do Brasil heftig angegriffen. Sie gehörte mit einem Minus von 10% zu den großen Verlierern an der Börse von São Paulo.

Binnen vier Tagen kamen Brasiliens größtem Unternehmen Petrobras 18 Mrd. Dollar Marktkapitalisierung abhanden. Nun fürchten viele eine dauerhafte Verschiebung in Brasiliens Wirtschaftspolitik, 18 Monate vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober kommenden Jahres. Denn der Auslöser des wohl massivsten Eingriffs in der Ära Bolsonaro war kurzfristige Klientelpolitik. Weil die Ölpreise am Weltmarkt stetig zulegen und der Real weiterhin schwächelt, sehen sich Brasiliens Frachtunternehmer mit steigenden Dieselpreisen konfrontiert. Weil die Transporteure zu Bolsonaros treuesten Anhängern zählen, wollte er keinen Zwist riskieren wie sein Vorgänger Michel Temer. 2018 hatte ein Lkw-Streik das Land wochenlang lahmgelegt.

Schon ehe er den Petrobras-Chef feuerte, hatte Bolsonaro die an den Bund zu zahlende Mineralölsteuer auf Diesel und Gas für 60 Tage ausgesetzt. Während Fachleute nun nachrechnen, welche fiskalischen Kosten der Präsident dadurch im von der Pandemie ohnehin massiv belasteten Bundesbudget anrichtet, tragen Leitartikler den Reformkurs von Superminister Paulo Guedes zu Grabe.

Der ebenfalls in Chicago ausgebildete Guedes, der die Kompetenzen für Wirtschaft, Finanzen und Planung unter einem Ministeriumsdach vereint, war Bolsonaros marktwirtschaftliche Garantie gegenüber den Märkten. Doch nun blieb Guedes still und protestierte nicht gegen den Rauswurf seines engen Freundes Castello Branco.

Lange hatte Guedes versprochen, durch ein ehrgeiziges Privatisierungsprogramm 1 Bill. Real einzunehmen. Das war offensichtlich übertrieben, vor allem weil Bolsonaro eine Privatisierung von Petrobras und der Banken Banco do Brasil und Caixa Econômica Federal nie gutgeheißen hat. Doch bis heute ist kein einziges staatliches Unternehmen verkauft.

Die Einmischung bei Petrobras und eine mögliche Intervention im Stromsektor dürften Investitionsentscheidungen verlangsamen. Und ausländische Anleger könnten, trotz der enormen internationalen Liquidität, Brasilien meiden. Für den Real könnte das eine weitere Schwächung bedeuten – inmitten eines erheblichen Inflationsdrucks aufgrund der Kombination aus schwacher Landeswährung und steigenden Rohstoffpreisen. Anders als die meisten Schwellenländer-Währungen hat Brasiliens Währung nach dem Wahlsieg Joe Bidens in den USA nicht aufgewertet. Unsicherheiten über die Staatsfinanzen, neue Corona­virus-Varianten, ein mangelhafter Impfplan und das schwache Wachstum seit 2014 beeinflussten den Real schon vor Bolsonaros Eingriff bei Petrobras.

Sollte der Real nun weiter schwächeln, könnte sich die Zentralbank gezwungen sehen, die Zinssätze stärker als angenommen anzuheben, was die ohnehin schon mauen Wachstumserwartungen weiter dezimieren dürfte. Das Wirtschaftsblatt „Valor“ kommentierte: „Anstatt das Geschäftsumfeld zu verbessern, trägt der Präsident aktiv dazu bei, es zu verschlechtern, indem er die Unsicherheiten erhöht.“