Robin Brooks

„Die Fed steuert auf ein Dilemma zu“

Der Frankfurter Robin Brooks, Managing Director und Chefvolkswirt beim Institute of International Finance (IIF), erwartet für das zweite Quartal einen massiven Wachstumsschub. Die Fed wird ihre Anleihenkäufe wohl trotzdem erst 2022 verringern.

„Die Fed steuert auf ein Dilemma zu“

Peter De Thier.

Herr Brooks, der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers hält das von Präsident Joe Biden vorgelegte 1,9 Bill. Dollar teure Paket für zu groß, Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sagt hingegen, es sei in diesem Umfang sogar notwendig. Was meinen Sie?

Wir dürfen nicht vergessen, dass es um mehr als nur das neue Konjunkturpaket geht. Bereits im Dezember wurde ein Paket im Wert von 900 Mrd. Dollar verabschiedet, das auch jetzt noch die Konjunktur stützt. Dazu kommen 1,6 Bill. Dollar an privaten Ersparnissen, die sich während der Pandemie angehäuft haben, und wir rechnen damit, dass, sobald die Wirtschaft richtig auf Touren kommt, Konsumenten die Hälfte ihrer Ersparnisse ausgeben werden, also 800 Mrd. Dollar. Kombiniert man diese Komponenten mit 1,9 Bill. Dollar an neuer staatlicher Hilfe, dann liegen wir bei insgesamt 3,6 Bill. Dollar an Stimulus. Das ist deutlich mehr, als man braucht, um die etwa 900 Mrd. Dollar große Outputlücke zu füllen. So gesehen bin ich der Meinung, dass das Paket in seiner jetzigen Form zu groß ist, auch wegen der Inflationsrisiken.

Wie akut ist die Inflationsgefahr?

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Märkte eine deutlich höhere Inflation erwarten. Das sieht man sowohl an der höheren Break-even-Inflationsrate von inflationsindexierten Anleihen gegenüber herkömmlichen Anleihen als auch an den höheren Realzinsen, die beide über dem Niveau in der Eurozone liegen. In der Debatte um Stimulusmaßnahmen und das neue Konjunkturpaket wird das Inflationsrisiko oft übersehen. Die Märkte bewegen sich eindeutig in eine Richtung, die auf eine Überhitzung der Konjunktur hindeutet, und ich zähle zu jenen, die das ebenfalls befürchten.

Was bedeutet das für die Anleihekäufe der Notenbank?

Die Fed hat klar gesagt, dass es kein Tapering, also kein Zurückfahren der Anleihekäufe, geben wird, ohne dass vorher entsprechende Signale ge­setzt werden. Wir rechnen damit, dass die Anleihekäufe wie angekündigt nicht vor 2022 reduziert werden. Fed-Chef Jerome Powells steuert auf ein Dilemma zu: Die Wirtschaft wird extrem stark sein, sobald die meisten Impfungen verabreicht sind und die Lockdowns enden. Dann könnten Rufe laut werden, der ultralockeren Geldpolitik früher ein Ende zu setzen und mit dem Abbau der Bilanzsumme zu beginnen.

Sie scheinen besonders zuversichtlich zu sein, was die Entwicklung der US-Wirtschaft betrifft.

Wir sind durchaus optimistisch und rechnen in den USA dieses Jahr mit einer Wachstumsrate von 6,5%. Die meisten Institute erwarten ein Plus um die 5% und die Fed geht von 4,2% Wachstum aus. Insbesondere rechnen wir damit, dass im zweiten Quartal das Bruttoinlandsprodukt um annualisierte 10% zulegen wird und einen sehr positiven Effekt für das gesamte Jahr entfalten wird.

Wie bewerten Sie die Zusammensetzung der Maßnahmen in dem Konjunkturpaket: Sind diese ausreichend zielgerichtet?

Die USA stehen häufig in der Kritik, weil wir angeblich zu viel konsumieren und nicht genug investieren. So wie sich das Konjunkturpaket jetzt darstellt, mit massiven Zahlungen an private Haushalte, Steuererleichterungen sowie Zuschüssen für die einzelnen Staaten, beschleunigt das Gesetz diesen Trend sogar. Die Hilfsmaßnahmen sind ausgesprochen konsumorientiert. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wäre es meines Erachtens eindeutig vorzuziehen, wenn die Gelder mehr in Richtung Investitionen gehen würden, beispielsweise in erneuerbare Energien und Infrastruktur.

Wie sieht es mit den Folgen der Konjunkturpakete für die Staatsverschuldung aus, die, gemessen an allen Zahlungsverpflichtungen des Bundes, vergangenes Jahr 130% der Wirtschaftsleistung überstiegen hat?

Ich zähle keineswegs zu jenen, die das Schuldenproblem schönreden. Auch wenn die Fed jeden Monat 80 Mrd. Dollar an Staatsanleihen kauft, also etwa 1 Bill. Dollar im Jahr, klafft nach wie vor eine massive Fi­nanzierungslücke, die private Anleger füllen müssen. Das Interesse ausländischer Investoren an US-Staats­titeln ist nicht mehr so groß, also muss das im Inland geschehen. Das wird langfristige Zinsen nach oben drücken. Staatsschulden von über 20 Bill. Dollar zu bedienen, wenn der Zinssatz nicht mehr bei null liegt, sondern in Richtung 3% geht, das ist ein erheblicher Unterschied.

Wie lange werden die US-Schulden tragfähig sein?

Die USA haben im Gegensatz zu den meisten Ländern das außerordentliche Privileg, sich massive Defizite erlauben zu können. Wie lange wir diesen Luxus noch haben werden, ohne dass es negative Reaktionen an den Märkten gibt, das kann kein Ökonom prognostizieren. Das Argument vieler, dass die Lösung der Schuldenproblematik nicht eilt, weil die Zinsen niedrig sind, ergibt für mich keinen Sinn. Schließlich werden die Schulden ja nicht zum Marktpreis bedient, der Nullzins ist ein künstlicher, den die Fed uns gegeben hat.

Und die Lage am Arbeitsmarkt? Powell hält die offizielle Erwerbslosenquote von 6,3% für „dramatisch untertrieben“. Sollte man vielleicht eine andere Richtgröße anwenden?

Powell sagte, dass die wahre Quote bei etwa 10% liege. Das beinhaltet auch jene, die sich nicht mehr nach einem Job umschauen. Diese Zahl ist natürlich während einer Rezession ungewöhnlich hoch, deswegen sollten wir diese Komponente gerade jetzt nicht überbewerten. Ich denke, dass die wahre Quote bei etwa 8% liegt. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass diese Rezession mit Blick auf den Arbeitsmarkt völlig anders ist als die Weltrezession nach der Finanzkrise.

Können Sie das konkretisieren?

Wegen der Corona-Pandemie wurde uns die Schließung der Wirtschaft künstlich aufgezwungen. Sobald alle Menschen geimpft sind, wird die Wirtschaft wieder boomen und viele der Jobs werden zurückkommen. Natürlich gibt es zahlreiche Opfer des Abschwungs, beispielsweise Warenhausketten und andere Läden. Aber gerade im Gast- und Freizeitgewerbe wird dann richtig gefeiert. Das war vor zwölf Jahren ganz anders, als Branchen wie der Finanzsektor sowie der Häusermarkt und die Bauindustrie kräftig Federn lassen mussten. Damals war die Erholung am Arbeitsmarkt deutlich schleppender.

Was halten Sie von der Idee progressiver Demokraten, den gesetzlichen Mindestlohn mehr als verdoppeln zu wollen?

Es spricht einiges für eine Erhöhung des Mindestlohns, aber es wäre eine unzulässige Vereinfachung, dies für ein Allheilmittel zur Bekämpfung des Wohlstandsgefälles zu halten. Das Problem muss wesentlich differenzierter angepackt werden, etwa über ein gerechteres Steuersystem und bessere Ausbildung. Abgesehen davon ist der höhere Mindestlohn nichts, das man überstürzen sollte. Ich würde lieber ausgeruhtere und vielseitigere Maßnahmen sehen, um das soziale Gefälle zu verringern.

Was erwarten Sie nach Trumps Handelskriegen von Bidens Strategie: Wird er Einfuhrzölle senken oder abschaffen?

Wir sollten das unter dem Gesichtspunkt des Leistungsbilanzdefizits sehen. Dieses ist während der Pandemie relativ konstant geblieben, wird aber deutlich wachsen, sobald Verbraucher mehr konsumieren, weniger sparen und teilweise ihre bestehenden Ersparnisse auflösen. Dann werden wieder Währungsrelationen und Handelspraktiken in den Fokus rücken. Die Biden-Regierung prüft die Zölle und wird von Fall zu Fall Entscheidungen treffen. Wann diese aber fallen werden, das kann ich nicht voraussagen.

Das Interview führte