Finanzen und TechnikKünstliche Intelligenz

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KI-Agenten kommen zunehmend in der Finanzbranche und beim E-Commerce zum Einsatz. Neue Umsatzfelder und Effizienzgewinne winken. Die Citigroup etwa testet seit kurzem KI-Agenten auf der eigenen Plattform „Citi Stylus Workspaces“.

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KI-Agenten kommen zunehmend in Finanzbranche und E-Commerce zum Einsatz – Citigroup startet Test mit Plattform „Citi Stylus Workspaces“

Von Franz Công Bùi, Frankfurt

Das Zeitalter der digitalen Mitarbeiter ist eingeläutet: KI-Assistenten, die nicht nur Texte formulieren oder Bilder erzeugen, sondern selbstständig Entscheidungen treffen, ganze Prozesse steuern und eigenständig komplexe Vorhaben umsetzen, kommen zunehmend zum Einsatz. „Agentische KI“ gilt vielfach als nächste Evolutionsstufe der künstlichen Intelligenz nach Chatbots und Copiloten. Die Finanzbranche erhofft sich davon enorme Effizienzgewinne – jedoch wirft sie zugleich Fragen nach Kosten, Zuverlässigkeit und den Folgen für Beschäftigte auf.

Während klassische KI-Anwendungen auf einzelne Befehle reagieren, sollen agentische Systeme komplette Prozessketten abbilden, indem sie Aufgaben in Einzelschritte zerlegen, Zwischenergebnisse evaluieren sowie koordinieren und so komplexe Ziele verfolgen: vom Schadenmanagement bis zur Anlageberatung. Die MLP-Tochter Domcura etwa nutzt seit Juli 2024 einen KI-Agenten, der kleine Versicherungsschäden bearbeitet.

Agentic Payments ist Thema der Stunde

Bei der von Swift organisierten Fachmesse Sibos, die kürzlich in Frankfurt stattfand, kristallisierte sich hierbei ein Trend besonders heraus: Agentic Payments als KI-gesteuerte Systeme für Internet-Zahlungen. Mastercard und PayOS präsentierten die erste Transaktion des „Mastercard Agentic Token“, während Visa ihren „AI-Powered Commercial Solutions Hub“ vorstellte. Coinbase/Cloudflare und Google hatten bereits kurz vor der Messe x402 und das Agent Payments Protocol (AP2) vorgelegt. Derweil verkündete Stripe-CEO Patrick Collison per Twitter/X, dass Stripe zusammen mit OpenAI das Agentic Commerce Protocol entwickelt habe, einen offenen Standard, „Instant Checkout“, der Einkäufe direkt aus ChatGPT heraus ermöglicht. Nutzer in den USA sollen innerhalb der ChatGPT-Oberfläche Produkte direkt kaufen können, über Etsy sowie später über Shopify. Der Einkaufsprozess soll damit von Suchmaschinen oder Marktplätzen in KI-Umgebungen verlagert werden, die ohnehin zunehmend zum Ausgangspunkt für Produktsuchen geworden sind.

Auch andere Anbieter arbeiten an Systemen, die den Einkauf mit Hilfe von KI-Agenten ermöglichen, die nach entsprechender Eingabe ohne weiteres Zutun nach Produkten suchen, Preisvergleiche anstellen, oder sogar am Ende die Kaufentscheidung treffen und bezahlen. Amazon hatte im April einen Test mit einem „Buy for me“ genannten KI-Assistenten gestartet. Und Amazon-Chef Andy Jassy sprach in einem Memo von „Milliarden dieser Agenten, in jedem Unternehmen und in jedem Lebensbereich“. Auch beim Protokoll AP2 sind Optionen für die Personalisierung für Kaufgelegenheiten bereits angelegt: das Produkt zu einem bestimmten Preis oder dann zu kaufen, wenn es mit 15% Discount erhältlich ist.

Baukastensystem für Agenten

Vor wenigen Tagen hat OpenAI zudem mit AgentKit ein Baukastensystem für KI-Agenten mit einer graphischen Entwickleroberfläche vorgestellt. Und kürzlich hat das Berliner Startup N8n, das mit einer Workflow-Automatisierungsplattform KI-gestützte Programmierhilfe bietet und damit als Gegenentwurf zu OpenAIs AgentKit gilt, in einer Finanzierungsrunde 180 Mill. Dollar eingesammelt. Die Bewertung ist dabei auf 2,5 Mrd. Dollar geklettert – den europäischen Branchen-Star Lovable hat N8n damit überholt.

Außerhalb der Finanzwelt wird ebenfalls an Einsatzfeldern für agentische KI gearbeitet. Bosch etwa entwickelt selbstlernende Assistenzsysteme für Baumaschinen. Und Alexander Wallner, Deutschland-Chef von Salesforce, bezeichnete Agenten in einem Interview als „Evolution“ der bisherigen KI-Modelle: Sie sollen nicht nur Antworten geben, sondern selbst Schlüsse ziehen und Entscheidungen treffen.

Doch die Umsetzung ist alles andere als trivial. Aufgaben müssen klar strukturiert sein, damit der Agent sie zuverlässig ausführen kann. Bevor eine KI eine Aktion anstößt, müsse erst eine Qualitätskontrolle stattfinden, mahnen Experten. Ralf Schneider, Allianz Senior Fellow für Cyber Security und Next Generation IT, sieht etwa eine Herausforderung darin, dass Agenten künftig nicht isoliert, sondern in Netzwerken miteinander agieren: „In diesen KI-Ketten werden Problemstellungen wie Performance, also Geschwindigkeit, Verfügbarkeit, aber auch Trustworthiness und Qualität, sehr anspruchsvoll.“

Hoffnungsträger und Kostentreiber

Die Verheißung ist gewaltig. Agenten könnten als digitale Arbeitskräfte fungieren, die theoretisch unbegrenzt ausbaufähig sind. Cohere-Chef Aidan Gomez beschrieb sie jüngst auf einer Konferenz als „extrem skalierbare Talentbasis“. Doch ihr Betrieb kann teuer werden. Je länger und komplexer die Aufgaben, desto mehr Recheneinheiten – sogenannte Token – werden benötigt. Zwar sinken die Kosten für die Modellnutzung, doch Banken müssen strenge Limits einbauen, um die Wirtschaftlichkeit zu sichern. Vor diesem Hintergrund hat die Citigroup einen groß angelegten Praxistest gestartet. Mit der Plattform „Citi Stylus Workspaces“ führt sie derzeit agentische Funktionen in ihr zentrales KI-System ein. 5.000 Mitarbeiter weltweit testen seit Anfang September für bis zu sechs Wochen, wie sich die Technologie im Alltag nutzen lässt. Entwickelt wurde die Plattform, die auf unterschiedliche Modelle zurückgreift, darunter Googles Gemini und Anthropics Claude, in den vergangenen zwei Jahren.

Ein einziger Befehl soll hierbei genügen, um Aufgaben zu erledigen, die bislang mehrere Anweisungen erfordert hätten. Ein denkbares Szenario: ein Kundenprofil aus öffentlichen und internen Daten erstellen, die Ergebnisse zusammenfassen und in eine Fremdsprache übersetzen – in einem automatisierten Ablauf. Auch strategische Analysen sollen möglich werden, etwa die Identifizierung führender Kreditkartenanbieter in den USA samt Übersetzung der Ergebnisse.

„Massive Kapazitätssteigerung“

Die Plattform integriert sich nahtlos in Citis interne Systeme – vom globalen Mitarbeiterverzeichnis bis zu Projektmanagement-Tools – und kann gleichzeitig auf Web-Suchen und Analysefunktionen zugreifen. Für die Bankenbranche könnte dies ein Quantensprung sein: Was heute Mitarbeiterteams längere Zeit beschäftigt, könnte ein Agent in Minuten erledigen. Kein Wunder, dass auch Wettbewerber wie J.P. Morgan oder Goldman Sachs Milliarden in ähnliche Technologien investieren. Ob dies Arbeitsplätze gefährdet, lässt Citi-CTO David Griffiths in einer Mitteilung indes offen: „Bedeutet das, dass wir weniger Personal brauchen? Ich weiß es nicht. Aber wir werden sehen, wie sich die Belegschaft mit dieser massiven Kapazitätssteigerung weiterentwickelt.“

Noch ist die Technologie nicht ausgereift. Frühe Versionen litten unter Unzuverlässigkeiten, zudem bleibt unklar, wie sich die Kosten entwickeln. Komplexe Aufgaben, die über Stunden laufen, könnten teuer werden. Auch stellt sich die Frage, wie vertrauenswürdig die Ergebnisse sind – gerade wenn Agenten auf sensible Finanzdaten zugreifen oder regulatorische Vorgaben einhalten müssen.

Hochfrequente Geldpolitik denkbar

Gleichwohl werden darin enorme Möglichkeiten gesehen. Cyrus de la Rubia, Chefökonom der Hamburg Commercial Bank, hat sich in einem Gastbeitrag in diesem Blatt mit der Frage befasst, ob Zentralbanken künftig gänzlich ohne menschliche Entscheidungsträger auskommen könnten. Agenten, so die Überlegung, könnten bessere, weil datenbasierte geldpolitische Entscheidungen treffen. Dabei könnten sie täglich die Daten verarbeiten und in Reaktion auf bestimmte Entwicklungen die Geldpolitik anpassen. Zinsen würden in einem solchen Szenario der hochfrequenten Geldpolitik nicht mehr in Schritten von 0,25 Prozentpunkten und dessen Vielfaches, sondern von 0,01 Prozentpunkten und Multiplen davon angepasst werden. Letztlich kommt er jedoch zum Schluss, die Spezies der Zentralbanker werde so rasch nicht aussterben, KI zum Trotz. Der Mensch solle zudem stets die Möglichkeit haben, einzugreifen.

Mit Stylus Workspaces testet nun erstmals eine global operierende Bank, wie sich autonome KI-Agenten im Tagesgeschäft einsetzen lassen. Noch sind viele Fragen offen – von Kosten über Zuverlässigkeit bis zu Auswirkungen auf Arbeitsplätze. Doch eines scheint sicher: Das Zeitalter der digitalen Mitarbeiter hat begonnen.