Regulierung

Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität geht am Ziel vorbei

Einem zweiten Fall Wirecard muss die Politik mit entschiedenen Maßnahmen entgegentreten. Die Corporate Governance, die Systeme, die in den Unternehmen Betrug vorbeugen (Anti-Fraud Management-Systeme) und die Unternehmensüberwachung müssen hierfür...

Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität geht am Ziel vorbei

Einem zweiten Fall Wirecard muss die Politik mit entschiedenen Maßnahmen entgegentreten. Die Corporate Governance, die Systeme, die in den Unternehmen Betrug vorbeugen (Anti-Fraud Management-Systeme) und die Unternehmensüberwachung müssen hierfür fortentwickelt werden. Auch die Abschlussprüfung muss und kann hierzu einen wertvollen Beitrag leisten. Fehlverhalten Einzelner muss streng sanktioniert werden und der hierfür bestehende Rahmen muss genutzt werden. Doch dazu bedarf es zunächst der Sachverhaltsaufklärung und anschließend der rechtlichen Würdigung, wer in welchem Ausmaß seine Pflichten nicht erfüllt und seiner Verantwortung nicht gerecht wurde. Zur erforderlichen Transparenz wird die Entscheidung des BGH beitragen, dass der Insolvenzverwalter den Abschlussprüfer im Fall Wirecard wirksam von seiner Verschwiegenheitspflicht entbinden konnte. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) begrüßt die überfällige Klarstellung der bislang strittigen Rechtslage.

Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) verfolgt zwar die richtigen Ziele, insbesondere das Vertrauen in die Finanzmarktintegrität zu stärken, macht aber leider zur Fortentwicklung der Regeln guter Unternehmensführung und -kontrolle nur unzureichend Vorschläge. Im Bereich der Abschlussprüfung drohen sogar Regelungen, die die Entwicklung einer modernen und leistungsfähigen Wirtschaftsprüfung in Deutschland gefährden können. Das Ziel des Gesetzgebers wird damit konterkariert.

Übermäßige Haftung

Diese Gefahr resultiert insbesondere aus der geplanten unverhältnismäßigen Ausweitung einer unbegrenzten Haftung des Abschlussprüfers bei grob fahrlässigen Pflichtverletzungen. Bislang gilt die unbegrenzte Haftung nur bei vorsätzlichen Fehlern. Dies ist selbstverständlich akzeptiert, denn wer begeht – außer Kriminellen – Fehler mit Vorsatz? Da die vom Wirtschaftsprüfer zu beurteilenden Sachverhalte komplex sind, können Fehler indessen nicht abschließend vermieden werden. Für Wirtschaftsprüfer als Experten würde künftig schon bei kleineren Fehlern eine unbegrenzte Haftung bei fahrlässigen Pflichtverletzungen drohen. Dies gilt nicht nur für Prüfungsgesellschaften, sondern gleichermaßen für Gehilfen.

Betroffen wäre das gesamte Prüfungsteam, vom Wirtschaftsprüfer bis hin zum Prüfungsassistenten im ersten Berufsjahr. Diese Haftung würde niemand mehr übernehmen können, weder die Prüfungsgesellschaften noch Versicherer. Folge eins: Dem Berufsstand droht ein akutes Nachwuchsproblem. Schon heute ist der Nachwuchs knapp, was insbesondere an der langen und anspruchs­vollen Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer liegt. Folge zwei: Die Konzentration im Prüfungsmarkt nähme weiter zu. Vor allem kleinere und mittelständische Prüfungspraxen würden von der Durchführung von Abschlussprüfungen faktisch ausgeschlossen. Ein Umstand, der von der Politik immer wieder kritisiert, aber dennoch weiter forciert wird. In letzter Konsequenz führte es dazu, dass gerade Unternehmen mit einer angespannten wirtschaftlichen Lage keinen Abschlussprüfer mehr fänden – für die Stabilität des Finanzmarktes Deutschland eine erhebliche Schwächung.

Die EU-Kommission hat dieses verstanden und betont immer wieder, dass die mit einer Haftungsverschärfung verbundenen Konsequenzen für die Konzentration im Prüfungsmarkt zu berücksichtigen sind. Die EU-Kommission wie der Ministerrat sprechen sich daher gegen pauschale Forderungen zur Abschaffung von Haftungshöchstgrenzen in Europa aus. Ein aktuell veröffentlichter Market Monitoring Report zur Entwicklung des Marktes für Abschlussprüfungen zeigt, dass die Zahl der registrierten Prüfungsgesellschaften in der EU zwischen 2015 und 2018 um 6% zurückgegangen ist. Auch vor diesem Hintergrund ist der Gesetzesentwurf, der eine weitere Konzentration zur Folge hätte, unverständlich.

Aufwendiges Verfahren

Weiterer Kritikpunkt ist die geplante Regelung im FISG zur möglichen gerichtlichen Ersetzung des Abschlussprüfers. Der Regierungsentwurf gefährdet die rechtzeitige Information des Kapitalmarkts über zu veröffentlichende Abschlüsse und deren Prüfungsurteile. Es gibt einen umfangreichen Katalog von Nichtprüfungsleistungen, die der Abschlussprüfer dem Prüfungsmandanten gegenüber nicht erbringen darf. Nun soll ein Abschlussprüfer zukünftig bei der Erbringung einer solchen verbotenen Nichtprüfungsleistung – auch wenn sie unwesentlich ist und die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers gar nicht berührt – gerichtlich ersetzt werden. Dies soll zudem nicht nur für einen Verstoß in der Person des Abschlussprüfers selbst gelten, sondern auch für jedes (!) Mitglied seines internationalen Netzwerks. Wenn diese Ersetzung erfolgen müsste, würde die Prüfung nicht mehr rechtzeitig abgeschlossen. Ein neuer Prüfer wäre in einem aufwendigen Verfahren zu suchen und müsste sich neu in die Abschlussprüfung einarbeiten. Dies würde zu einer Verschiebung von Hauptversammlungen und von Dividendenzahlungen führen und für die Unternehmen am Kapitalmarkt einen erheblichen Reputationsverlust bedeuten – aus meiner Sicht extrem überschießende Folgen, wenn die Unabhängigkeit tatsächlich überhaupt nicht beeinträchtigt ist.

Wer die Qualität des Finanzplatzes, die durch den Fall Wirecard erheblich in Frage gestellt wurde, stärken will, darf dem Regierungsentwurf in dieser Form nicht zustimmen, sondern muss das System guter Unternehmensführung und -kontrolle einschließlich des Instituts der Abschlussprüfung so fortentwickeln, dass zukünftig betrügerischen Handlungen wirksamer vorgebeugt wird. Dies ist mit einer durchsetzungsstarken Aufsicht zu verbinden.

Prof. Dr. Klaus-Peter Naumann ist Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland.

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