Industriemetalle

Am Anfang eines neuen Superzyklus

Zu den großen Gewinnern der Coronakrise gehören die Industriemetalle: 2020 legten sie im Schnitt um 20% zu, und auch in diesem Jahr ist das Plus schon zweistellig.

Am Anfang eines neuen Superzyklus

Zu den großen Gewinnern der Coronakrise gehören die Industriemetalle: 2020 legten sie im Schnitt um 20% zu, und auch in diesem Jahr ist das Plus schon zweistellig. Nicht trotz, sondern wegen des Virus sind die Aussichten kurz- bis mittelfristig positiv. Zwar brach im Zuge der ersten Lockdowns temporär die Nachfrage heftig ein, allerdings waren auch viele Minenbetreiber von coronabedingten Schließungen betroffen. Extreme Lageraufbauten blieben damit aus. Gleichzeitig brachten Regierungen rund um den Globus gewaltige Fiskalstimuli auf den Weg. Die Industrie brummt, was auch die Rohstoffnachfrage kräftig antreibt. Aber auch langfristig haben Industriemetalle Rückenwind: Sie sind zentrale Rohstoffe in vielen Schlüsseltechnologien, um unsere Gesellschaft zu dekarbonisieren und so den Klimawandel zu stoppen. Für Industriemetalle könnte damit ein neuer struktureller Boom, ein Superzyklus, begonnen haben.

Ein Superzyklus beschreibt eine Phase überdurchschnittlicher und steigender Rohstoffpreise, gefolgt von einer Phase unterdurchschnittlicher und fallender Rohstoffpreise. Mit 20 bis 70 Jahren ist die Dauer eines solchen Superzyklus deutlich länger als die eines Konjunkturzyklus. Ausgelöst werden Superzyklen typischerweise durch einen unerwarteten, über lange Zeit anhaltenden und kräftigen Anstieg der Nachfrage. Dieser plötzliche Nachfrageschub trifft jedoch auf ein relativ knappes und unelastisches Angebot. Denn der Abbau vieler Rohstoffe ist mit sehr hohen und risikoreichen Erstinvestitionen und jahrelangen Anlaufphasen verbunden. Zudem schieben Produzenten Investitionen zunächst auf, da die Nachhaltigkeit des Nachfragewachstums und die Profitabilität neuer Minen anfänglich mit großer Unsicherheit behaftet sind. Die Folge sind Angebotsdefizite und über Jahre stetig steigende Rohstoffpreise.

Später, wenn das Nachfragewachstum nachlässt, das Angebot aber noch steigt, geht der Zyklus in die Phase fallender Preise und zu Angebotsüberschüssen über. Schließlich kommt es zu jahrelanger Investitionszurückhaltung der Produzenten, bis der „Schweinezyklus“ von vorn beginnt.In den letzten 250 Jahren hat die Welt vier Superzyklen gesehen. Alle vier fielen mit Perioden schneller Industrialisierung zusammen. Begonnen hat es mit der Industrialisierung der USA im späten 19. Jahrhundert. Der zweite Rohstoff-Boom wurde ausgelöst durch die Aufrüstung für den Zweiten Weltkrieg. Darauf folgte ab den späten 1950er-Jahren die Reindustrialisierung Europas und Japans nach der Zerstörung im Krieg. Und schließlich begann um die Jahrtausendwende und mit dem Aufstieg der Schwellenländer, insbesondere Chinas, der bisher letzte Superzyklus.

Treiber Dekarbonisierung

Auch heute ist der jüngste Preisanstieg vieler Rohstoffe nachfrageinduziert und fällt mit einer Periode kräftigen Wirtschaftswachstums und jahrelanger Investitionszurückhaltung zusammen. Damit passt er gut in das Bild vergangener Superzyklen und könnte der Start eines neuen sein. Trotzdem dürfte er sich gravierend von seinen Vorgängern unterscheiden. Denn während bislang immer die Industrialisierung einen Rohstoff-Boom ausgelöst hatte, dürfte es nun die Dekarbonisierung sein. Der große Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft liegt in den Profiteuren des jeweils zugrundeliegenden Nachfrageaufschwungs. In vergangenen Superzyklen profitierten Energierohstoffe, Industriemetalle, Agrarprodukte und Viehzucht oftmals im Einklang. Von der Dekarbonisierung dürften hingegen insbesondere Industriemetalle profitieren, während etwa Energierohstoffe das Nachsehen haben dürften. Eine Differenzierung ist also nötig, um als Investor von diesem Megatrend zu profitieren.

Die Industriemetalle Kupfer, Aluminium und Nickel spielen über das gesamte Spektrum der Dekarbonisierung – von der Energiegewinnung durch Solar oder Wind, über die Energiespeicherung und -nutzung durch Batterien und Elektromotoren, bis hin zur CO2-Sequestrierung – eine tragende Rolle.

Am Beispiel von Kupfer wird das Ausmaß des Nachfrage-Booms sehr deutlich. Kupfer ist wegen seiner hohen Leitfähigkeit ein wichtiger Rohstoff bei der Elektrifizierung. Windstrom benötigt etwa viermal, Solarstrom sogar bis zu zwölfmal mehr Kupfer als die Stromgewinnung aus fossilen Brennstoffen. In einem Elektroauto ist ca. fünfmal mehr Kupfer verbaut als in einem Verbrenner. Die Dezentralisierung der Stromgewinnung und der Ausbau der Ladeinfrastruktur bedürfen ebenfalls großer Mengen an Kupfer. Aluminium ist vor allem im Leichtbau das Material der Wahl. Nickel erhöht die Energiedichte und Speicherkapazität von Batterien. Beide Metalle ermöglichen so zum Beispiel in der Elektromobilität eine deutlich höhere Effizienz.

Neben weiteren Industriemetallen wie Blei oder Zink finden auch Edelmetalle wie Silber oder Platin Verwendung in bestimmten grünen Technologien. Silber ist schon heute ein wichtiger Rohstoff bei der Herstellung von Solarzellen. Platin kommt bei Wasserstoff-Brennstoffzellen zum Einsatz und könnte deshalb verstärkt nachgefragt werden.

Enormer Nachfrageanstieg

Was der Ausbau grüner Technologien für die Metallnachfrage bedeuten kann, zeigen Studien der Weltbank und der International Rene­wable Energy Agency. Wollen wir bis 2100 die Klimaerwärmung auf deutlich unter 2 Grad begrenzen, könnte die Aluminium- und Silbernachfrage bis in das Jahr 2050 mehr als viermal so hoch ausfallen, als wenn wir die Energiewende im bisherigen, zu langsamen Tempo fortsetzen würden. Für Kupfer, Zink und Blei könnte sich die relative Nachfrage mehr als verdreifachen.

Stand heute ist die Angebotsseite auf einen solchen Nachfrageschub noch nicht vorbereitet. Für ein steigendes Angebot sind Investitionen nötig. Diese wurden allerdings nach dem Höhepunkt des letzten Superzyklus Anfang 2011 mit typischer Verzögerung kräftig heruntergefahren. Um das durch die Dekarbonisierung beschleunigte Nachfragewachstum zukünftig zu befriedigen, muss nun also wieder mehr in die Erschließung neuer Mineralvorkommen investiert werden. Wie schon in vergangenen Superzyklen erweist sich allerdings auch dieses Mal die Inelastizität des Angebots als problematisch. Insbesondere zwei Schwierigkeiten dürften Angebotsausweitungen verzögern: (1) neue Minen in Betrieb zu nehmen, ist ein extrem zeitaufwendiger Prozess und (2) die Kapitalintensität für neue Minen hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen.

Schwierigkeit 1: Bis die ersten Erze aus einer neuen Mine gefördert werden, bedarf es einer Vorlaufzeit von 6 bis 20 Jahren, schätzt die University of Arizona. Denn bevor es zum eigentlichen Rohstoffabbau kommt, sind zwei Schritte notwendig. Zunächst muss ein Mineralvorkommen entdeckt werden. Von diesem müssen Proben genommen und analysiert werden. Sind diese vielversprechend, folgen Machbarkeits- und Rentabilitätsstudien. Im zweiten Schritt kommt es dann zur Planung und schließlich dem Bau der Mine. Neben aufwendigen Genehmigungsverfahren dürften auch immer striktere Umweltauflagen den Bau zukünftig zusätzlich verzögern oder gar kippen. Schwierigkeit 2: Die „niedrig hängenden Früchte“ wurden bereits geerntet. Natürlicherweise konzentrierten sich Minenbetreiber bei Produktionsausweitungen in der Vergangenheit auf Abbaugründe mit möglichst hoher Mineralkonzentration und/oder möglichst niedrigen Förderungskosten. Das heißt, neue Minen sind kapitalintensiver und werden erst bei höheren Rohstoffpreisen rentabel. Eine höhere Recycling-Quote könnte Abhilfe und zusätzliches Angebot schaffen, aber auch hier sind höhere Preise häufig der Schlüssel zur Rentabilität.

Die rasante Rally an den Metallmärkten in den zurückliegenden Wochen und Monaten war nicht nur fundamental durch die Erholung der Konjunktur, sondern auch durch spekulative Anleger getrieben. Industriemetalle sind deshalb kurzfristig nicht unbedingt günstig und durchaus anfällig für Rücksetzer. In den nächsten Jahrzehnten dürfte allerdings im Kampf gegen den Klimawandel die Nachfrage nach vielen Industriemetallen und einzelnen Edelmetallen nahezu unausweichlich steigen. Demgegenüber steht ein noch nicht darauf vorbereitetes und auf höhere Preise angewiesenes Angebot. Langfristig steigende Metallpreise dürften die Folge sein. Ein neuer Superzyklus der Dekarbonisierung hat begonnen.

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Infrastruktur im Covid-Stresstest (166), Allianz Capital Partners