GASTBEITRAG ZUR SERIE ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (57)

Am Rande der Rezession

Börsen-Zeitung, 2.2.2019 Das war knapp: Obwohl sich die konjunkturelle Talfahrt der deutschen Wirtschaft bis zuletzt fortgesetzt hat, berichtete das Statistische Bundesamt von einem leichten Zuwachs der realen Wirtschaftsleistung im 4. Quartal 2018....

Am Rande der Rezession

Das war knapp: Obwohl sich die konjunkturelle Talfahrt der deutschen Wirtschaft bis zuletzt fortgesetzt hat, berichtete das Statistische Bundesamt von einem leichten Zuwachs der realen Wirtschaftsleistung im 4. Quartal 2018. Vor allem der deutliche Rückgang der Industrieproduktion im November um 1,9 % – das dritte Minus in Folge – hätte dazu führen können, dass das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) im vierten Quartal erneut sinkt, so dass das technische Kriterium für eine Rezession erfüllt gewesen wäre. Vor allem im verarbeitenden Gewerbe, das für die deutsche Wirtschaft immer noch eine wesentlich wichtigere Rolle spielt, als dies in anderen Ländern der Fall ist, sind die Unternehmen in atemberaubendem Tempo von der Überhol- auf die Kriechspur gewechselt.Dies wird besonders deutlich an unserer Vorzeigeindustrie, der Automobilbranche. Dieselskandal, Fahrverbote und vor allem die großen Probleme bei der Umstellung auf den neuen Emissionsstandard WLTP haben nachhaltige Spuren hinterlassen. Die Hoffnung, dass die Produktionsausfälle aus dem dritten Quartal schnell wieder aufgeholt werden, hat sich nicht erfüllt. Zwar fuhren von September bis November wieder mehr Fahrzeuge vom Band der Fahrzeughersteller als in den sehr schwachen Sommermonaten, doch kam es im Dezember erneut zu einem starken Rückgang, so dass die Autoproduktion zum Jahresende hin ein prozentual deutlich zweistelliges Minus aufweist. Nicht alles SonderfaktorenNicht viel besser sieht es in der Chemieindustrie aus, in der die Produktion fast 10 % unter dem Vorjahresniveau liegt. Hier kann allerdings darauf verwiesen werden, dass zu dieser schwachen Entwicklung einige Sonderfaktoren beigetragen haben. Das Niedrigwasser auf dem Rhein spielt ebenso eine Rolle wie die vielen Brücken- und dementsprechend geringeren Produktionstage, die sich auf die Chemie- und auf alle anderen Branchen negativ ausgewirkt haben.Auch die im Zuge des Politchaos des Jahres 2018 zu beobachtende Zunahme der Unsicherheit könnte sich als temporäres Phänomen herausstellen. Dennoch kann man den konjunkturellen Absturz der vergangenen zwölf Monate nicht allein mit Sonderfaktoren erklären. Schließlich wissen wir weder, ob das Wetter 2019 nicht ähnliche Kapriolen wie im vergangenen Jahr schlägt, noch ob die Politik einen anderen, vernünftigeren Kurs einschlägt, der die Unsicherheit der Unternehmen und Konsumenten bald wieder vertreibt. Von daher erwarten wir für dieses Jahr nur noch eine Wachstumsrate von knapp 1 %.Wie für Deutschland dürften auch für viele andere Länder die Wachstumsprognosen für 2019 noch zu optimistisch sein, wenn es nicht sehr schnell zu einer Stabilisierung beziehungsweise Erholung bei den globalen Frühindikatoren kommt. Doch diese lässt nach wie vor auf sich warten. Internationaler Währungsfonds und Weltbank haben deswegen ihre globale Wachstumsprognose für 2019 und 2020 leicht reduziert, da alle wichtigen Wachstumsmotoren – die USA, China und die Eurozone – gleichzeitig ins Stottern geraten sind.Was bedeutet dies für die Aktienmärkte? Da die meisten wichtigen Indizes von ihren Höchstständen zwischenzeitlich bis zu 25 % verloren haben, ist eine ordentliche Portion Wachstumsabschwächung mittlerweile in den Kursen enthalten. Die Unternehmensanalysten haben ihre Gewinnprognosen zurückgeschraubt und die Aktienmarktbewertungen sind mittlerweile deutlich günstiger geworden. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der derzeitigen Gewinnerwartungen für die kommenden zwölf Monate beträgt für den Dax rund 12, das für den S&P 500 15. Das ist deutlich günstiger als vor einem Jahr, als die Bewertungen bei gut 13 beziehungsweise 18 lagen. US-Aktien sind damit ungefähr so teuer wie im Durchschnitt der vergangenen drei Jahrzehnte. Wenn man die Techblase ausklammert, ist der Dax sogar etwa 10 % günstiger bewertet.Dies ist auch der Grund für die Kurserholung seit Jahresbeginn, die trotz schlechter Konjunkturdaten und einiger gravierender Molltöne von Unternehmensseite stattgefunden hat. Damit sich diese Aufwärtstendenz als nachhaltig erweist, muss die Weltwirtschaft wieder Fuß fassen. Andernfalls wird die bislang erfolgte Anpassung der Gewinnerwartungen nach unten noch nicht ausreichen. Obwohl die Analysten ihre Prognosen für 2019 und 2020 schon korrigiert haben, werden bei vielen Indizes immer noch Gewinnsteigerungsraten von rund 10 % für die kommenden beiden Jahre erwartet. Optimistische PrognosenFür den Dax wird beispielsweise nach einem Minus von rund 5 % im vergangenen Jahr wieder mit einem Gewinnzuwachs von rund 10 % in diesem und etwa 9 % im nächsten Jahr gerechnet. Solange wichtige Frühindikatoren wie der Ifo-Geschäftsklimaindex oder die Einkaufsmanagerindizes ihre Talfahrt nicht stoppen, dürfte dies zu optimistisch sein, so dass die Ertragserwartungen weiter reduziert werden müssen. Denn hellt sich das Konjunkturbild nicht auf, könnten die Dax-Gewinne 2019 erneut sinken. Allerdings muss es dazu nicht kommen.So gibt es bei dem Versuch, den Handelskonflikt zwischen den USA und China beizulegen, erste Fortschritte. Auch wenn Donald Trump nicht gerade für seine Kompromissfreude bekannt ist, sollten der Kursrutsch am US-Aktienmarkt und die zum Teil schwächeren Konjunkturdaten auch in den USA den Druck erhöhen, den Konflikt beizulegen. Zudem könnten die Karten im Falle des Brexit neu gemischt werden. Neben einem harten Brexit, der sowohl der Konjunktur als auch dem Aktienmarkt schaden würde, besteht auch die Möglichkeit eines weicheren Austritts. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass der Brexit abgesagt wird, immer noch sehr gering ist, würde es in einem solchen Fall wohl zu einem Kursfeuerwerk kommen, da sich eine gewichtige Unsicherheit relativ schnell auflöst.Solange die politischen Themen nicht gelöst sind und wir den Eindruck haben, dass sich die Verschlechterung der makroökonomischen Indikatoren fortsetzt, raten wir noch zu einer vorsichtigen Haltung gegenüber Aktien. Wer aber langfristig denkt, sollte sich jedoch von kurzfristigen Turbulenzen nicht verrückt machen lassen, wie die Wertentwicklung von Märkten über längere Perioden eindrucksvoll zeigt.—-Vorher erschienen:Januareffekt – Irrationalität mit Aussagekraft (56), Hauck & AufhäuserFrontier-Märkte machen strategisch Sinn (55), Berenberg —-Carsten Klude, Chefvolkswirt M.M. Warburg & CO