RohstoffeRevolution in der Nutzung der Atomenergie

Chinas neuer Thorium-Reaktor wird die Energiemärkte aufmischen

China ist auf dem Gebiet der nuklearen Energiegewinnung ein technischer Durchbruch gelungen, der in den kommenden Jahren und Jahrzehnten voraussichtlich gravierende Auswirkungen auf die Energiemärkte haben wird. Es könnte eine neue Energiewirtschaft auf Basis des Elements Thorium entstehen.

Chinas neuer Thorium-Reaktor wird die Energiemärkte aufmischen

China-Reaktor mischt Energiemärkte auf

Kernkraftwerk mit Thorium als Nuklearbrennstoff eröffnet neue Perspektiven − Auswirkungen auch auf die Nutzung von KI

China ist auf dem Gebiet der nuklearen Energiegewinnung ein technischer Durchbruch gelungen, der in den kommenden Jahren und Jahrzehnten voraussichtlich gravierende Auswirkungen auf die Energiemärkte haben wird. Es könnte eine neue Energiewirtschaft auf Basis des Elements Thorium entstehen.

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Mit der EU-Energiekrise seit dem Ende der russischen Erdgaslieferungen per Pipeline nach Europa ist die Kernenergie in vielen Ländern wieder stärker in den Mittelpunkt des Interesses mit Blick auf die Frage der Energiesicherheit gerückt. Besonders dringlich geworden ist dieses Thema mit dem internationalen Sanktions- und Handelskrieg, bei dem es immer stärker darum geht, andere Länder am Export von Energieträgern zu hindern oder deren Versorgung mit Energieträgern und anderen strategischen Rohstoffen zu unterbinden. Dies hat sich beispielsweise in einem starken Preisanstieg für Uran gezeigt. Uran ist ein knappes Gut mit zunehmenden Verteilungskämpfen.

Durchbruch gelungen

In diesem Umfeld hat eine Nachricht aus China auf den Energiemärkten wie eine Bombe eingeschlagen. In einem neuen Atommeiler mit der unscheinbaren Bezeichnung TMSR-LF1 nahe der Stadt Wuwei in der Provinz Gansu ist chinesischen Wissenschaftlern ein Durchbruch gelungen, der die weltweiten Märkte für Energie, für Energieerzeugungstechnologien und darüber hinaus andere Märkte stark verändern könnte. China hat einen Flüssigsalzreaktor zum Laufen und dabei auch die Befüllung mit weiterem Brennstoff während des laufenden Betriebs zum Funktionieren gebracht. Der Reaktor weist aufgrund seiner Bauart und des niedrigen Drucks nicht nur eine besonders hohe Sicherheit auf, er verwendet auch mit Thorium statt Uran-235 einen bisher praktisch nicht genutzten Nuklearbrennstoff, der in vielen Ländern reichlich vorhanden ist und sehr viel preisgünstiger als Uran abzubauen und herzustellen ist. Der Reaktortyp gilt zudem als leicht skalierbar, sodass sich kleine bis große Einheiten realisieren lassen werden.

Weniger langlebige Abfälle

Ein entscheidender Vorteil der Technologie besteht darin, dass man bei Störfällen die Kernreaktion beispielsweise durch Ablassen der Flüssigsalzmischung mit dem Thorium in einem weiteren Sicherheitsbehälter nach unten jederzeit abbrechen kann. Ein weiteres Plus wird darin gesehen, dass Thorium-Reaktoren deutlich weniger langlebige radioaktive Abfälle produzieren.

Zehn Jahre Vorsprung

Es wird dabei von einem Vorsprung Chinas von rund einem Jahrzehnt gegenüber anderen Ländern ausgegangen. Bis zur kommerziellen Reife der Technologie dürften allerdings noch einige Jahre vergehen. Der chinesische Reaktor hat eine thermische Leistung von nur zwei Megawatt, im Jahr 2030 soll aber ein größerer Demonstrationsreaktor von 10 Megawatt in Betrieb gehen. Längerfristig soll es kleinere Thorium-Reaktoren mit einer Leistung von 100 MW geben, die sich weltweit kommerziell nutzen lassen. Es gelten sogar Reaktoren, die Schiffe antreiben sollen, als eine realistische Perspektive.

Fortschritt aufgegeben

An derartigen Reaktoren forschten und forschen auch andere Länder. Die USA, die bis in die 1960er Jahre in der Technologie führend waren, gaben diese vor allem wegen der geringen militärischen Nutzbarkeit auf. Die USA veröffentlichten aber ihre Entwicklungsergebnisse, die dann von China übernommen und weiterentwickelt wurden.

Deutschland wirft das Handtuch

In den 1970er und 1980er Jahren war auch Deutschland mit dem Thorium-Hochtemperaturreaktor THTR-300 in Hamm-Uentrop führend, ein Reaktor in Kugelhaufen-Bauweise, der allerdings 1989 aufgegeben wurde.

Neues Interesse

Thorium hat gegenüber Uran Vorteile, beispielsweise im Energiegehalt: Theoretisch kann eine Tonne Thorium so viel Energie erzeugen wie 200 Tonnen Uran oder 3,5 Mill. Tonnen Kohle. Es handelt sich damit um einen sehr energiedichten Brennstoff. Aktuell gibt es daher in vielen Ländern ein neu erwachtes Interesse an der Technologie und entsprechende Forschungen, unter anderem in den USA, in Indien mit seinen umfangreichen Thoriumvorkommen und auch in der Schweiz und in Norwegen. Gemäß Schätzungen gibt es weltweit rund 14,6 Mill. Tonnen Thorium, was sich mit ungefähr 5,7 Mill. Tonnen Uran vergleicht. Neben Indien sind es vor allem Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die über große Thorium-Reserven verfügen. Länder wie Usbekistan, Kasachstan, Aserbaidschan, Belarus, Kirgistan, Moldawien und Armenien weisen jeweils mehr als 1,5 Mill. Tonnen auf. Allerdings verfügen auch die USA, Australien, die Türkei, Ägypten, Brasilien sowie Venezuela über größere Lagerstätten, sodass von einer breiten Verteilung gesprochen werden kann.

Neue Nuklearwirtschaft

Der Aufbau einer auf Thorium basierenden nuklearen Energiewirtschaft würde die Märkte für fossile Energien und für Uran negativ beeinflussen, allerdings bestehen Zweifel, dass dies schnell geschehen wird. Rohstoffexperte Adam Rozencwajg von Goehring & Rozencwajg ist der Auffassung, dass es sich bei Thorium-Flüssigsalzreaktoren erst um die übernächste Revolution in der Nuklearwirtschaft handelt, nach kleinen modularen, teilweise natriumgekühlten Reaktoren. Insofern rechnet er mit kommerziellen Thorium-Reaktoren wohl erst in den 2040er Jahren.

Ersatz fossiler Energien

Grundsätzlich haben skalierbare Thorium-Reaktoren aber das Potenzial, fossile Energien im vielen Anwendungen und auch herkömmliche, mit Uran betriebene Kernkraftwerke zu ersetzen. Neben tiefgreifenden Folgen für die Energiemärkte könnten sich auch Rückwirkungen auf die Aktienkurse von denjenigen Herstellern konventioneller Atomkraftwerke ergeben, für die diese Technologie nicht verfügbar ist. Insofern ist zu erwarten, dass es unter den Herstellern von nuklearer Kraftwerkstechnik zu einer Neubewertung in der Branche kommen könnte − aufgrund des aktuellen Vorsprungs wohl mit einem deutlichen Fokus auf chinesische Unternehmen.

Hohe Energieerfordernisse

Positive Rückwirkungen sind indes für den Markt für künstliche Intelligenz zu erwarten. Bislang gibt es Sorgen, dass die sehr hohen Energieerfordernisse den Siegeszug der KI hemmen könnten, weil es schwierig und teuer ist, die notwendigen Energiemengen zu erzeugen und zu verteilen. Die preisgünstige Energie aus Thorium könnte KI erst richtig beflügeln.

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