Chinas Rally gerät ins Stottern

Anleger favorisieren plötzlich Hongkong - Solide Konjunktur und starker Yuan geben Rückendeckung

Chinas Rally gerät ins Stottern

Chinas kräftige Jahresauftaktrally verliert bereits an Momentum. Beim Blue-Chip-Index CSI 300 verorten Händler nun Korrekturbedarf. Chinas robuste Konjunktur stützt zwar, aber ein restriktiverer Kurs der Notenbank und ein Wiederaufleben von Corona-Ansteckungsgefahren bereiten den Anlegern Sorgen.Von Norbert Hellmann, SchanghaiDie Anleger in Chinas Festlandaktien haben keinen Grund zum Klagen. Ein kräftiger Jahresendspurt im Dezember 2020 ist nahtlos in eine stramme Jahresauftaktrally übergegangen, mit der das Blue-Chip-Barometer CSI 300 gleich in der ersten Januarwoche auf ein 13-Jahres-Hoch kletterte. In den vergangenen Tagen jedoch sind in der Schanghaier Brokergemeinde nachdenklichere Gesichter beobachtbar.Bei den bislang besonders stark favorisierten Sektoren Konsum und Materialien kommt es plötzlich zu strammen Abverkäufen, gleichzeitig wälzt sich ein ungewöhnlich hoher Kapitalstrom von den chinesischen Börsen in Schanghai und Shenzhen hin zum Hongkonger Offshoremarkt. Händler sprechen von einem gewissen Korrekturbedarf beim CSI 300, der sich zum einen an einer technischen Widerstandslinie festmachen lässt, und zum anderen mit einer Favorisierung von in Hongkong notierten Werten seitens der Anleger auf dem chinesischen Festland zusammenhängen dürfte. Hang Seng im AufwindAm Dienstag wurde die Momentverschiebung so deutlich wie schon lange nicht mehr. Die in der Regel meist gleichgerichtet laufenden Märkte auf dem Festland und in Hongkong weisen plötzlich eine starke Divergenz auf. Während der CSI 300 um 1,5 % einbüßte und damit auf das niedrigste Niveau seit zwei Wochen zurückfiel, bestand in Hongkong durchaus Anlass, die Korken knallen zu lassen. Der dortige Leitindex Hang Seng schoss von einem aus dem Festland herrührenden Liquiditätsschwapp getragen um 2,7 % in die Höhe und steht bei 29 642 Punkten knapp an der Schwelle zur 30 000er-Marke und auf einem 20-Monats-Hoch. Der Hang Seng befindet sich mit anderen Worten wieder auf dem Niveau vom Frühjahr 2019 vor dem Ausbruch einer Protestbewegung mit lang anhaltenden politischen Unruhen.Auf der sogenannten Südschiene der Stock Connect genannten Handelsverknüpfung zwischen Schanghai und Shenzhen einerseits und Hongkong andererseits wurden in den letzten Tagen immer neue Rekorde gebrochen. Am Dienstag erreichte der Kapitalstrom vom Festland in Richtung Hongkong mit 3,4 Mrd. Dollar eine neue tägliche Höchstmarke. Die eintägige Performancedifferenz zwischen dem Hang Seng und dem CSI 300 wiederum lag mit 4,2 % auf dem höchsten Niveau seit fünf Jahren. Warnschuss der NotenbankEine mögliche Erklärung für den Sinneswandel der Festlandanleger sehen Experten im jüngsten Vorgehen der chinesischen Zentralbank, die zunehmend deutlich signalisiert, dass sie den monetären Lockerungskurs nach einer bereits eindrucksvollen Erholung der chinesischen Wirtschaft mit einem eindeutig V-förmigen Konjunkturverlauf seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wieder zurückzuschrauben beginnt. Als erster Warnschuss der People’s Bank of China (PBOC) gilt der jüngste Verzicht auf eine fest erwartete Liquiditätszufuhr am Geldmarkt im Rahmen von einjährigen Refinanzierungslinien für Geschäftsbanken. Die zuvor auf Rekordtief stehenden chinesischen Interbankzinsen sind wieder angesprungen, was auch die Liquiditätsbedingungen am Aktienmarkt beeinträchtigt. Corona-Unruhe kehrt zurückFür Unruhe auf dem Festland sorgten freilich die jüngsten Nachrichten in Bezug auf die Pandemie. In den vergangenen zwei Wochen ist es erstmals seit April zu einer Häufung von neuen Corona-Fällen gekommen, die im nordchinesischen Raum zu partiellen Lockdown-Maßnahmen führen, von denen rund 100 Millionen Menschen betroffen sind. Mittlerweile gerät auch das chinesische Neujahrsfest, das diesmal in die zweite Februarwoche fällt, als absoluter saisonaler Konsumhöhepunkt in Gefahr. So versuchen die Behörden landesweit darauf einzuwirken, die Bevölkerung von der entsprechenden Reise- und Besuchswelle und der Teilnahme an großen Festveranstaltungen abzuhalten.Die zum Wochenbeginn eingegangenen Konjunkturdaten aus dem Reich der Mitte wiederum dürften dem chinesischen Aktienmarkt durchaus einigen Halt geben. Mit einem überraschend kräftigen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 6,5 % knüpft die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft bereits wieder an ein gewohntes Wachstumstempo vor Ausbruch der Pandemie an. Für das Gesamtjahr 2020 landet man nach dem scharfen Einbruch im ersten Quartal zwar nur bei 2,3 %, doch ist auch dies eine positive Überraschung, zumal China als einzige Nation in der G20-Gruppe der wichtigsten Industrie-und Schwellenländer im Coronajahr einer Rezession entgehen konnte.Auch auf der Währungsseite nehmen sich die Perspektiven durchaus günstig aus. Der chinesische Yuan hat nach einer erstaunlich kräftigen Aufwertungsbewegung von gut 6 % gegenüber dem Dollar im vergangenen Jahr weiteres Kräftigungspotenzial, zumal der Greenback weiterhin unter dem Eindruck der politischen Wirren in den USA steht. Der zuletzt nahe an der Marke von 6,5 Yuan je Dollar stabilisierte Wechselkurs könnte sich im laufenden Jahr auf bis zu 6,20 Yuan je Dollar entwickeln, heißt es bei Devisenhändlern in Schanghai.