Das Bangen geht in Russland weiter

Nach einem dürftigen Aktienjahr 2017 könnten steigende Unternehmensgewinne 2018 für Auftrieb sorgen

Das Bangen geht in Russland weiter

Das Jahr 2017 war für den russischen Aktienmarkt ein verlorenes. Umso mehr ist die Hoffnung auf 2018 gerichtet. Genährt wird sie nicht von der Wirtschaftsdynamik, sondern von der Aussicht auf höhere Unternehmensgewinne. Wohin die Reise letztlich aber geht, wird von zwei Großereignissen abhängen.Von Eduard Steiner, MoskauAngesichts dessen, dass sich Russland schon seit spätestens 2014 in einer instabilen Phase befindet, mag es inflationär erscheinen, abermals von einem entscheidenden Jahr für die russische Wirtschaft und den Aktienmarkt zu sprechen. Und dennoch dürfte 2018 ein solches werden. Verantwortlich dafür werden zumindest zwei Ereignisse sein: Zum einen ein mögliches neues Sanktionspaket seitens der USA, zum anderen die auf die russischen Präsidentenwahlen folgende Regierungsbildung und Wirtschaftspolitik.Was die Sanktionen betrifft, so hat sich die Stimmung in Russland fundamental gewandelt. War man zum Jahreswechsel 2016/2017 noch von der Hoffnung beflügelt gewesen, dass sie bald fallen könnten, so trat inzwischen an ihre Stelle die Befürchtung, die USA könnten die Strafmaßnahmen weiter verschärfen. Das entsprechende Sanktionsgesetz dazu wurde am 2. August beschlossen, bis Ende Januar 2018 nun müssen die Detailvorschläge vorgelegt werden. Im Raum steht sogar die Möglichkeit, dass US-Staatsbürgern der Kauf russischer Staatsanleihen verboten wird. Die Bank of America nennt dies in ihrem Ausblick sogar als Hauptrisiko für 2018. Weil außerdem unter Russlands Tycoons die Angst umgeht, selbst auf einer neuen Sanktionsliste zu landen, werden sie nun vom Kreml mit dem Lockangebot umgarnt, ihr im Ausland geparktes Vermögen über sichere Staatsanleihen zu repatriieren.Nicht nur die Sanktionsfrage ist für 2018 also offen. Auch die Folgen der kommenden Präsidentenwahlen am 18. März sind es. Erst die Zusammensetzung der nächsten Regierung wird einen ersten Hinweis darauf geben, ob sich Kremlchef Wladimir Putin nun doch an die ewig hinausgezögerten Strukturreformen (beispielsweise Pensionsreform, Verwaltungsreform, Aufbau einer freien Justiz mit Stärkung der Eigentumsrechte) wagt. Immerhin hat er zuletzt junge wirtschaftsliberale Technokraten sichtlich gefördert, aber auch die Übermacht der dirigistischen Hardliner ist ungebrochen. Erstes Halbjahr schwächerGeopolitisch deutet nichts auf eine Entspannung hin, nachdem die USA Russland (neben China) kürzlich offiziell als Hauptbedrohung Amerikas genannt hat. Im ersten Quartal könnte der russische Kapitalmarkt auch dadurch belastet werden, dass Investoren aufgrund weiterer Leitzinserhöhungen in den USA und etwa England aus ihren riskanteren russischen Anlagen aussteigen, meint die Investmentgesellschaft Otkritie Broker.Bevor Klarheit in Sachen Sanktionen und künftiger Regierung besteht, werden die Investoren ihre Position in russischen Aktien jedenfalls nicht sehr eilig aufbauen, meint die Investmentgesellschaft Aton: Überhaupt könnte der Markt in der ersten Jahreshälfte etwas unter Druck kommen, ehe er im zweiten Halbjahr sich wieder erholt.Was das Wachstum der Wirtschaft selbst betrifft, so ist 2018 keine Veränderung zu 2017 zu erwarten. Zwar hat die Anpassung an den relativ niedrigen Ölpreis und die Sanktionen stattgefunden, aber die strukturellen Probleme wurden nicht gelöst. Die Wachstumsdynamik bleibt schwach, die Zentralbank prognostiziert 1,5 bis 2 % Wachstum. Gleichzeitig befindet sich die Inflation auf einem historischen Tiefststand. Auch das Inflationsrisiko habe sich wesentlich verringert, sagte die Zentralbank kürzlich. Nachdem sie den Leitzins Mitte Dezember unerwartet um einen halben Prozentpunkt auf 7,75 % gesenkt hatte, stellte sie für das erste Halbjahr 2018 einen weiteren möglichen Zinsschritt in Aussicht. Um den eklatanten Mangel an Investitionen zu beheben, bedarf es aber eines umfassenderen Maßnahmenpakets.Die harte Geld- und Budgetpolitik schuf 2017 ein gutes Umfeld für Anleihen, jedoch nicht für Aktien. Aktuell notiert der in Dollar denominierte Aktienleitindex RTS bei 1 149 Punkten und damit fast genau auf dem Niveau vom Jahresbeginn, während der Schwellenländerindex MSCI EM im selben Zeitraum um 30 % zugelegt hat.2018 werde das Wirtschaftswachstum für Anleger weniger relevant als der steigende Gewinn der Unternehmen, schreiben die Analysten von Sberbank Investment Research: Die erwartete Schwäche des Rubel und der geringere Schuldendienst werden den Gewinn der Unternehmen signifikant treiben – und zwar selbst dann, wenn der Ölpreis von derzeit 66 auf 50 Dollar je Barrel zurückfalle. Aton prognostiziert, dass der Aktienindex RTS bis Ende 2018 auf 1 330 bis 1 400 Punkte steigen könnte. Auch Sberbank Investment Research sieht ihn in ihrem konservativen Szenario – basierend auf einem Ölpreis von 50 Dollar je Barrel – bei 1 400 Punkten. Dazu komme, dass der russische Markt mindestens 5 % Dividendenrendite biete.Sberbank Investment Research gibt – ähnlich wie Otkritie Broker – aufgrund der für die nächste Zeit erwarteten Rubelschwäche und der Wende zum Besseren bei Firmengewinnen den Exporteuren insbesondere aus dem Öl- und Gassektor den Vorzug. Explizit hervorgehoben werden die Aktien von Lukoil, Gazprom Neft, Novatek und Gazprom. Gerade Russlands zweitgrößter Gaskonzern Novatek, an dem die französische Total 20 % hält, hat zuletzt von sich reden gemacht, weil er den Gasexport aus seiner neuen Anlage für Flüssiggas (LNG) auf der Halbinsel Jamal zeitgerecht gestartet und weitere Ausbaupläne angekündigt hat. Novatek wird dadurch zum größten russischen LNG-Exporteur.Von den Sektoren und Unternehmen, die auf den Binnenmarkt konzentriert sind, erachtet Sberbank Investment Research die Immobilienbranche (LSR Group), die von der Leitzinssenkung profitiere, als aussichtsreich. Ebenfalls günstig eingeschätzt werden der Transport- (Aeroflot, Global Ports) und Mediensektor (Internetsuchmaschine Yandex und Mail.ru Group), die von strukturellem Wachstum profitierten. Aton empfiehlt zudem, Investitionen in den Finanz- und Buntmetallsektor zu erhöhen. Der Alukonzern Rusal wird mit seinen geringen Produktionskosten als Top-Pick geführt. Yandex geht mit SberbankDie besten Aussichten im Finanzsektor haben nach wie vor der Branchenprimus Sberbank (hohe Dividende) und die rührige Privatbank TCS Group. Bei Letzterer erwartet Aton ebenso ein starkes Gewinnwachstum wie bei dem Internetkonzern Yandex und der führenden Handelskette X5. Ihnen komme die leitzinsbedingte Erholung des Konsums entgegen. Yandex, Branchenprimus in Russland vor Google, hat kürzlich damit für Aufsehen gesorgt, dass sie mit der Sberbank ein E-Commerce-Geschäft aufbaut. Zuvor hatte der US-Fahrdienstleister Uber beschlossen, den russischen und angrenzende Märkte gemeinsam mit Yandex zu erobern. Das Joint Venture soll 2019 an die Börse gebracht werden.