„Das Gold wird von Indern oder Chinesen mit Privatjets abgeholt“
IM INTERVIEW: CRISTIAN STANCIU
„Das Gold wird mit Privatjets abgeholt“
Ein Goldhändler gibt Einblicke in ein geheimnisumwobenes und oft gefährliches Geschäft
Gold gilt als sicherer Hafen in unsichereren Zeiten. Um 30 Prozent ist der Preis allein seit Jahresbeginn gestiegen. Doch wie muss man sich den internationalen Goldhandel eigentlich vorstellen? Goldhändler Cristian Stanciu erzählt von einem Besuch in einer Dschungel-Mine, weltweiten Handelsströmen und Schlupflöchern für sanktioniertes russisches Gold.
Herr Stanciu, wie wird man eigentlich Goldhändler?
Bei mir war es mehr oder weniger Zufall. Ich begann in Wien im Rohstoffhandel – vor allem mit Bunt- und Edelmetallen in Derivateform. Und je mehr man die internationalen Märkte kennt und in sie eintaucht, umso mehr kommt man auch mit dem Thema Gold in Berührung. Ein Bekannter hat dann irgendwann gefragt, ob ich nicht Interesse hätte, einen Edelmetallhandel aufzubauen, weil ich ja das Know-How und Kontakte in die Branche entwickelt hatte. Und so kam ich in die Schweiz und habe den Goldhandel für philoro aufgebaut. Als ich begonnen hatte, kostete die Feinunze 330 Dollar.
Heute sind es um die 3.400 Dollar.
Genau. Für einen Goldhändler in Europa ist der Markt übrigens relativ eingeschränkt. Wenn Sie heute in Indien und China Goldhändler werden wollen, ist es einfacher.
Warum?
Man muss nur schauen, wo die Goldströme aktuell hinfließen. Hauptsächlich nach China und Indien, das sind zwei riesige Märkte. Wenn man im Goldhandel tätig ist, kommt man um diese Länder nicht umhin. Viele Chinesen und Inder aus diesem Bereich sind auch in Dubai aktiv.
Welche Ausbildung braucht man für diesen Beruf eigentlich?
Ich habe in meinem Leben auch einige Mitarbeiter eingestellt. Kaufmännisches Know-How sollte natürlich da sein. Mir aber waren primär Neugier und Weltoffenheit wichtig. Denn gerade beim Goldhandel muss man mit verschiedensten Kulturen arbeiten können. Es braucht schnelle Auffassungsgabe, Anpassungsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit. Und man muss ein gewisses Maß an Risikofreudigkeit mitbringen.
Wie kann man sich den Alltag eines Goldhändlers vorstellen?
Wir müssen prinzipiell einmal zwei Ströme unterscheiden: Den von den Minen zur Raffinerie und den von der Raffinerie zu den Abnehmern. Im zweiten Fall muss man einfach dafür sorgen, dass ausreichend Goldbarren oder Goldmünzen in den entsprechenden Verkaufsfilialen vorhanden sind. Aber es ist auch wichtig, dass man als Händler zu den Minen fliegt und sich die Lieferkette anschaut. Das macht man natürlich nicht so oft. Wenn das einmal auf Schiene ist, überprüft man dann vor allem den Zahlungsstrom und das gelieferte Material. Das nimmt ganz schön viel Zeit in Anspruch.
Kurz zum Verkauf: Haben Sie da Stammkunden?
Bei Barren und Münzen arbeiten wir hauptsächlich mit Stammkunden. Aber in letzter Zeit kommt vermehrt auch ein junges Publikum hinzu, das in Gold investiert – vor allem in Münzen oder Barren zu 10 oder 100 Gramm.
Und die Goldeinkäufe tätigen Sie weltweit?
Wenn wir vom raffiniertem Gold reden, das 99,99 Prozent Reinheit hat und das im Westen von Privatpersonen oder Banken gekauft wird, so kommt das aus den Raffinerien, die auf der London Bullion Market Association akkreditiert sind. Vier sehr bekannte Raffinerien befinden sich in der Schweiz, ein paar auch in Deutschland, die Wiener philoro ist noch nicht akkreditiert. Anders ist es bei Rohgold, das in den Lagerstätten Nordamerikas, Südamerikas, sehr oft Afrikas, Indonesiens und Australiens liegt. Als Händler sucht man sich primär jene Länder und Kontinente, mit denen man besser kann. Das Geschäft braucht ja Vertrauen, auch müssen viele Stellschrauben ineinandergreifen. Da ist man schon froh über Stammlieferanten bzw. eine Stammmine.
Sie haben interessanterweise China und Russland nicht erwähnt, obwohl diese Länder am meisten Gold produzieren.
Das ist richtig. Aber ich selbst und meine Kollegen und Handelspartner haben Russland und China nicht im Fokus. Bei China ist es so, dass das Land selbst ein extremer Endverbraucher ist und kaum Gold anderswohin liefert – am ehesten noch nach Hongkong. Und bei Russland hat das mit den Sanktionen zu tun. Außerdem hat auch Russland die Goldbestände der Zentralbank erhöht. Russisches Gold ist mir persönlich in den letzten drei, vier Jahren nicht wirklich untergekommen. Stattdessen kamen Angebote aus Afrika, Lateinamerika oder Minenprojekte in Kanada.
Was war denn das Kurioseste, das Sie beim Besuch einer Mine oder überhaupt im Handel erlebt haben?
Es gibt in unserer Branche sehr viele Scammer, wie wir sagen, also Betrüger. Aufgrund des hohen Werts bei Gold versuchen viele Gauner zu profitieren. Man muss höllisch aufpassen. Mich hat einmal ein Rechtsanwalt aus Lateinamerika über Monate kontaktiert und zu seiner Mine eingeladen, die angeblich schon produziert. Unterlagen und Lizenzen dazu wollte er mir nicht schicken. Irgendwann schickte er sie doch. Aber mir schien der Preis zu günstig, da passte was nicht. Als ich dann aber einmal zum Urlaub in Lateinamerika war, schlug ich ihm kurzfristig vor, zur Mine zu fliegen. Wir flogen mit ganz kleinen Flugzeugen – der Rechtsanwalt, zwei weitere Einheimische und ich. Dann fuhren wir noch vier Stunden mit dem Auto über rote Straßen und tiefste Dickichte in den Dschungel und mit einem Floß aus Baumstämmen über einen Fluss. Und dann kamen wir zu einem Feld, wo nichts abgebaut wurde, sondern nur ein wenig gegraben war wie bei antiken Ausgrabungen. Da war gar nichts, keine Maschine. Am Ende stellte sich heraus, dass diese Mine das Gold zukaufte, also illegales Gold, das sie über ihre Konzession zu exportieren versuchten. Das funktioniert vielleicht einmal. Beim zweiten Mal greift schon der Zoll zu, und es wird zugesperrt.
Lassen Sie uns auf Russland zu sprechen kommen, zweitgrößter Goldproduzent. Aber aufgrund der Sanktionen dürfte das Gold eigentlich nicht ins Ausland verkauft werden.
Ich sage es einmal so: Möglich ist es eigentlich immer. Wir wissen, der Mensch ist kreativ, und wenn der Preis stimmt, dann lässt er sich was einfallen. Und da beispielsweise China, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate oder sogar die Türkei die westlichen Sanktionen nicht mittragen, können sie Gold aus Russland direkt importieren. Vor allem in Indiens Schmuckindustrie ist der Bedarf riesig, und sie braucht nicht unbedingt ein von London zertifiziertes Gold. Wahrscheinlich geht ein Goldstrom direkt zu diesen Schmuckherstellern in Indien und der Türkei. Und wahrscheinlich zu einem besseren Preis als der für australisches oder kanadisches Gold. Ganz gut vorstellen kann ich mir auch, dass russisches Gold nach Dubai in den Gold Souk fließt, wo ja zehn Tonnen an Schmuck liegen. Und natürlich China: Da kann es sein, dass chinesische Raffinerien auch das Rohgold kaufen, selbst raffinieren und wieder einliefern in ihre Börse in Shanghai. Deshalb ist wahrscheinlich auch kein Gold von Russland nach Westeuropa gekommen, denn es hat keinen Grund, in diese Richtung zu fließen.
Investigativrecherchen zeigten, dass zwischen 2022 und 2024 ganze 89 Tonnen Gold im Wert von 5,2 Milliarden Dollar ins kleine Armenien flossen.
Das ist durchaus möglich. Dann wird es in Armenien umgelabelt und wahrscheinlich nach Dubai, in die Türkei oder nach Indien verkauft. Eine Raffinerie in der Schweiz würde ja hellhörig werden, woher Armenien plötzlich so viel Gold hat. Daher fließt es wohl auch nicht nach Westeuropa.
Ein Ölembargo zu umgehen ist schwierig. Bei Gold ist ein Transport über die Grenze aber eigentlich nicht schwer. Oder stelle ich mir das zu einfach vor?
Sie stellen sich das gar nicht zu einfach vor. Ein Barren von einem Kilogramm ist so groß wie ein iPhone. Das kann man also schön irgendwo einstecken. Aber aus Afrika weiß ich, dass das meiste Gold, so es Kontrollen entgehen soll, von Geschäftsmännern aus China oder Indien mit Privatjets abgeholt und manchmal sogar in bar bezahlt wird. Das wird geduldet und hat wahrscheinlich auch mit Korruption zu tun. In Afrika ist das gang und gäbe. Ich kann mir gut vorstellen, dass das in anderen Ländern wie Russland auch so ist. Würde eine westeuropäische Raffinerie sanktioniertes Gold importieren, was ja durch den Zoll und andere Vorkehrungen unterbunden wird, würde sie aus der Londoner Association ausgeschlossen. Übrigens: Vor dem Krieg waren auch einige russische Goldraffinerien in London akkreditiert.
Aber wenn ich mir etwa die Schweizer Exportstatistik ansehe, dann gingen 2024 Hunderte Tonnen Gold in die zwei wichtigsten Abnehmerländer China und Indien. Wie kann man da sicherstellen, dass da nicht doch russisches Gold auch dabei ist?
Ich bin mir da schon relativ sicher, denn diese Mengen bekommt man auch von anderen Quellen. Oft ist es übrigens so, dass es auch recyceltes Gold ist, also eingeschmolzener Schmuck. Natürlich kann es passieren, dass zum Beispiel in der Türkei ein Schmuckhändler eine Kette aus russischem Gold macht und diese nach Europa verkauft, wo sie vielleicht irgendwann eingeschmolzen wird. Aber hier geht es um keine großen Volumina.
Normalsterblichen erscheint der Goldhandel durchaus intransparent. Ist er das nicht tatsächlich?
Vielleicht für Außenstehende ist es intransparent. Die involvierten Player aber, die in der Lieferkette dabei sind, wissen ganz genau, wo das Gold herkommt, und wir haben ja nicht umsonst auch in der EU und in der Schweiz diese Lieferkettengesetze. Und wie ich oben schon gesagt habe: Würde etwa Ungarn plötzlich massiv Gold exportieren, würde man aufgrund der hohen Qualitäts- und Herkunftsstandards auch gleich einmal fragen, woher denn das Gold kommt. So einfach und so intransparent ist das alles also auch wieder nicht.
Ist das Geschäft generell auch gefährlich? Und wenn ja, wie schützen sie sich? Sind sie in gewissen Weltgegenden bewaffnet unterwegs?
Gefährlich und kostenintensiv ist es dann, wenn Gold produziert wurde und dieses Gold transportiert werden muss. In Lateinamerika etwa gibt es dann spezialisierte Sicherheitsfirmen, die das Gold aus den entlegenen Minen holen. Nicht alle Minen haben eigene Hubschrauberlandeplätze oder eine eigene Flugzeuglandebahn. In Afrika ist es auch das Militär, das teilweise den Transport begleitet. Also ich wäre jetzt nicht gerne auf einem Lkw mit Gold in Afrika unterwegs. Da würde ich mich unwohl fühlen. Sonst aber kann man natürlich vorab ein paar Sicherheitschecks machen. Und ich habe auch gelernt, dass ich vielleicht nicht mehr alleine in einen Dschungel gehe.
Das Interview führte Eduard Steiner. Das vollständige Interview lesen Sie auf www.boersen-zeitung.de
Zur Person:
Cristian Stanciu, geboren im rumänischen Sighisoara und im Alter von drei Jahren nach Österreich emigriert, ist Goldhändler in der Schweiz, wo er gerade sein eigenes Handelsunternehmen Oromet aufbaut. Zuvor war er ab 2020 Head of Trading bei philoro Schweiz und ab 2021 Geschäftsführer der philoro Global Trading AG. Von 2001 bis 2020 war er Head of Trading beim Rohstoffhändler und -berater Merit Group.