Finanzmärkte

„Das Umfeld für die Aktienmärkte ist sehr gut“

Erik Weisman ist überzeugt, dass die Aktienmärkte trotz des bereits spektakulären Anstiegs noch Spielraum nach oben haben. Der Chefvolkswirt von MFS Investment Management erwartet einen sehr starken Aufschwung vor allem der US-Wirtschaft.

„Das Umfeld für die Aktienmärkte ist sehr gut“

Christopher Kalbhenn.

Herr Weisman, wie wird sich die Wirtschaft der Vereinigten Staaten in diesem Jahr entwickeln?

Derzeit wird in den USA eine immense Menge an Geld ins System gepumpt. So etwas haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg selten gesehen. Annähernd vergleichbar ist vielleicht die Zeit Anfang der achtziger Jahre mit den Steuersenkungen von Präsident Ronald Reagan. Sie führten zu einem Wirtschaftswachstum von rund 7%. Allerdings handelt es sich in diesem Jahr um fiskalische Stimulierung, die den privaten Haushalten und den Unternehmen direkt zugutekommt. Hinzu kommt zusätzlich die Wiedereröffnung der Wirtschaft. Das wird die Aktivität erheblich ankurbeln. Im zweiten und dritten Quartal werden wir ein spektakuläres Wachstum erleben. Die Zahlen werden die Leute erstaunen. Es wird sehr beeindruckende Zahlen geben, etwa die Daten zum Konsum und die Einkaufsmanagerindizes für den Dienstleistungssektor. Ab 2022 fällt der fiskalische Effekt dann aber weg.

Was bedeutet das für die übrigen Regionen der Welt?

Einiges von dem vielen Geld wird im Rest der Welt ankommen. Die Vereinigten Staaten können das nicht allein absorbieren. Es wird in den USA mehr Importe und auch eine etwas höhere Inflation geben. Zudem wird es auch in den anderen entwickelten Ländern, in Australien Europa, Japan und Neuseeland weitere fiskalische Hilfsmaßnahmen geben, wenn auch in deutlich geringerem Umfang als in den USA. Die Vereinigten Staaten werden sich mit ihrer lockeren Fiskal- und Geldpolitik von den anderen entwickelten Volkswirtschaften deutlich unterscheiden. Kein entwickeltes Land denkt derzeit daran, die Zügel anzuziehen. Vielleicht werden Norwegen und Großbritannien sie ein wenig anziehen.

Wann wird die Krise überwunden sein, und wie wird die amerikanische Zentralbank dann reagieren?

Wenn es wie erwartet dabei bleibt, dass die US-Wirtschaft wiedereröffnet werden kann, werden wir gegen Ende 2021 bereits eine signifikante Heilung sehen. Die Produktionslücke wird dann geschlossen sein. Andere Länder werden später folgen. Mitte 2022 sollte der Heilungsprozess so weit fortgeschritten sein, dass die Produktionslücke weltweit geschlossen sein wird. Das explosive US-Wachstum­ in diesem Jahr wird nicht reichen, um die Fed zu beunruhigen. Die Fed beteuert, dass es keine erste Leitzinsanhebung vor dem Jahr 2024 geben wird. Ein stärkeres Wachstum könnte das allerdings in Frage stellen.

Wie stark wird die US-Wirtschaft wachsen?

In diesem Jahr wird die amerikanische Wirtschaft um 6 bis 7% wachsen, 2022 könnte ein Wachstum von unter 5% folgen. Die große Frage wird nach der fiskalischen Stimulierung sein, wie die Wirtschaft dann aussehen wird. Wie viele Unternehmen überleben die Krise, wie viele neue entstehen? Es wird wahrscheinlich Verluste geben. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Strukturen wird es zudem große Unterschiede zwischen Europa und den USA geben. Die Vereinigten Staaten werden eine flexiblere Ökonomie haben, die Wachstumsbranchen werden dort schneller vorankommen. Wir erwarten für die USA allerdings auch kein stärkeres Produktivitätswachstum und auch kein höheres Produktionspotenzial als vor der Krise. Die Produktionslücke wird, wie eben erwähnt, wahrscheinlich Ende 2021 geschlossen sein. Das entspräche aber dem Zustand des siebten bis achten Jahres des zurückliegenden Konjunkturzyklus. Wir werden nach nur zwei Jahren ein reiferes Stadium des Zyklus haben. Deswegen sind die Asset-Preise so hoch. Sie zeigen an, dass ein reiferes Stadium des Zyklus erreicht wird, obwohl er gerade erst ein Jahr alt ist.

Zeigen das nicht auch die stark gestiegenen amerikanischen Staatsanleiherenditen?

Es ist interessant zu sehen, in welchem Ausmaß die Staatsanleiheverzinsungen schneller gestiegen sind, als dies erwartet worden war. Zu Beginn des Jahres ging man noch davon aus, dass die Verzinsung in der zehnjährigen Laufzeit zum Jahresende bei 1,50% liegen würde. Wir sind jetzt aber schon bei 1,70% angekommen. Ich glaube, die Renditen werden weiter steigen, aber mit einem langsameren Tempo, als wir dies in den zurückliegenden Wochen gesehen haben.

Was sagen Sie zu den Inflationssorgen der Marktteilnehmer?

Die Inflationsraten könnten bis zur Jahresmitte stark steigen. Das wird viele Leute überraschen, obwohl es das eigentlich nicht sollte. Unter der Oberfläche könnte da durchaus etwas mehr sein. Die Kernrate ist im Februar etwas niedriger ausgefallen als erwartet, aber einzelne Bereiche wie der Hausbau und das Gesundheitswesen haben gezeigt, dass es durchaus einigen Inflationsdruck gibt. Aber die Fed wird das nicht allzu sehr beunruhigen. Wenn die Arbeitslosenrate im Jahr 2022 wieder bei 4% liegt und die Inflation etwas höher ist, könnte die Fed darüber nachdenken, früher zu handeln, als sie es jetzt erwartet. Aber die Zentralbank wird das nicht schnell machen. Zu bedenken ist auch, dass der Basiseffekt, der die Inflationsrate treibt, ab Juli beziehungsweise August wieder nachlassen wird. Wir werden anhand der monatlichen Daten sehen, ob die Inflation wieder zurückgeht oder sich etwas Ernsteres anbahnt.

Werden wir mit den kommenden Inflationsdaten eine Phase der Nervosität an den Märkten sehen?

Mit den Zahlen, die wir wahrscheinlich sehen werden, werden die Anleiherenditen wahrscheinlich hochgedrückt werden. Notenbanken kontrollieren den kurzen Laufzeitenbereich, das lange Ende aber nicht vollständig. Solange die Anleiherenditen aus den richtigen Gründen steigen – ein höheres Wachstum, verbunden mit höherer Inflation – wird das die Notenbanken nicht allzu sehr beunruhigen. Die Europäische Zentralbank ist ein Sonderfall. Sie hat gesagt, dass sie keine steigenden Anleiherenditen sehen will. Die Fed hat das nicht gesagt.

Was erwarten Sie in diesem Umfeld von den Aktienmärkten?

Angesichts all des Geldes, das ins System kommt, stellt sich die Frage, was denn einen Rückschlag an den Aktienmärkten auslösen soll. Ein Auslöser könnte sein, dass die Fed die Zügel anzieht, indem sie dazu übergeht, ihre Anleihekäufe zu reduzieren. Aber das wird die Notenbank in den nächsten drei bis sechs Monaten nicht tun. Man könnte zwar den Eindruck gewinnen, dass die Aktienmärkte zu stark gestiegen sind. Aber angesichts der starken konjunkturellen Erholung und der immensen Liquidität wird es keinen großen Rückschlag geben. Steuererhöhungen und regulatorische Maßnahmen könnten irgendwann zu einer Belastung werden. Hinzu kommt ein potenzieller Lohndruck, der mit steigender Inflation einhergehen könnte. Das könnte zu Lasten der Margen gehen, es sei denn, die Unternehmen geben es an die Kunden weiter, was aber ebenfalls problematisch wäre. Das Umfeld für die Aktienmärkte ist aber insgesamt sehr gut. Einiges ist schon eingepreist. Sie werden nicht mehr so stark steigen wie in den zurückliegenden Monaten, aber sie werden weiter steigen.

Das Interview führte