DEVISENWOCHE

Der Euro wird 20 Jahre alt

Von Ulrich Leuchtmann *) Börsen-Zeitung, 11.12.2018 Europas Gemeinschaftswährung wird 20 Jahre alt. Die Teenager-Jahre sind vorbei. Zeit für einen Rückblick. Hat dieses beispiellose geldpolitische Experiment funktioniert? Einige frühe Ängste haben...

Der Euro wird 20 Jahre alt

Von Ulrich Leuchtmann *)Europas Gemeinschaftswährung wird 20 Jahre alt. Die Teenager-Jahre sind vorbei. Zeit für einen Rückblick. Hat dieses beispiellose geldpolitische Experiment funktioniert? Einige frühe Ängste haben sich zumindest nicht bestätigt. Insbesondere wurde der Euro kein “Teuro”. Die Angst, die Gemeinschaftswährung würde exzessiv schnell entwertet, hat sich nicht bestätigt. Der “harmonisierte Index der Verbraucherpreise” (HICP), das für die Inflationssteuerung der EZB relevante Maß, stieg in den letzten 20 Jahren annualisiert um 1,7 % – unter, aber nahe 2 %. Genau wie die EZB es mittelfristig haben will. Man kann lange streiten, ob der HICP die beste Kenngröße ist. Und man kann genauso lange streiten, ob “unter, aber nahe 2 %” der beste Zielwert ist. Doch eines muss man konstatieren: Die EZB hat bezüglich Inflation bis dato das abgeliefert, was sie versprochen hat.Es war nur zu verständlich, dass die EU-Länder, die von hoher Inflation geplagt waren, Anfang der 1990er Jahre danach drängten, das deutsche “Erfolgsmodell” zu übernehmen. Das ist aufgrund der erfolgreichen Inflationssteuerung der EZB auch gelungen. Klar, das hätte man auch mit einer entsprechend restriktiven Geldpolitik der nationalen Notenbanken haben können. Doch hätten sie – um die inflationstreibenden hohen Inflationserwartungen zu brechen – dazu erst einmal realwirtschaftliche Schmerzen zufügen müssen. Optimaler Währungsraum?Vor Einführung des Euro entbrannte unter Ökonomen ein heftiger Streit darüber, ob der Euroraum ein “optimaler Währungsraum” sei, ob es also sinnvoll sei, einem ökonomisch so heterogenen Gebiet eine einzige Währung zu verpassen. Insbesondere keynesianische Ökonomen schäumten, betrachten sie doch die Geldpolitik als Mittel zur Konjunktursteuerung. Euro-Kritiker sehen die Euroraum-Krise von 2010 bis 2012 als Beweis dafür, dass der Währungsraum “suboptimal” ist. Die Volkswirtschaften des Euroraumes waren sehr unterschiedlich von der Krise betroffen. Alles in allem ist nur zu verständlich, dass diejenigen, die im Vorfeld gewarnt hatten, der Euroraum sei kein optimaler Währungsraum, sich bestätigt fühlen. Spricht man der Geldpolitik die Aufgabe zu, realwirtschaftliche Schwankungen auszugleichen, fällt es gerade in Krisen- und Rezessionszeiten der EZB schwer, eine passende Geldpolitik für den gesamten Euroraum zu finden. Wer allerdings meint, eine Zentralbank sollte von systematischer Konjunktursteuerung die Finger lassen, sieht die Kritik, der Euroraum sei kein “optimaler Währungsraum” als gegenstandslos an.Eigentlich ist es einfach: Die EZB kann Geld drucken. Daher ist die Versuchung riesengroß, Europas Währungshüter in die Pflicht zu nehmen, wenn es irgendwo besonders schlimm klemmt. Wir wissen aber alle, dass Gelddrucken keine dauerhafte Lösung ist, sondern letztendlich mehr Probleme schafft als löst. Wie oben gezeigt war das ja gerade die Lehre der Hochinflationsländer aus den 1970er und 1980er Jahren und einer der Gründe für die Gründung der Währungsunion. Wie konnte Europa das nur vergessen? Teilweise hat sich die EZB das selbst zuzuschreiben. Denn sie war es, die bereits im Frühjahr 2010 mit der Anpassung der Besicherungsregeln für ihre geldpolitischen Operationen offen Rettungspolitik zugunsten Griechenlands betrieb. Natürlich wusste jedermann in der EZB, dass das ein geldpolitischer Sündenfall war.Noch stärker wurde die EZB in die Rettungspolitik eingebunden, nachdem all die Rettungsmaßnahmen der Regierungen sich als ungeeignet zur Beendigung der Krise erwiesen hatten. Es bedurfte EZB-Präsident Mario Draghis “Whatever-it-takes”-Versprechens im Juli 2012, um die Krise zu beenden. Was aus Sicht der Krisenbekämpfung erfolgreich war, war aus ordnungspolitischer Sicht ein Sündenfall. Geldpolitische und rettungspolitische Ziele können sich widersprechen. “Whatever it takes” impliziert eine Dominanz rettungspolitischer Ziele. Diese Altlast wird die EZB mit sich schleppen müssen, weshalb der Euro bei jeder aus Marktsicht unglücklich ausgegangenen Italien-Wahl und jedem problematischen italienischen Haushalt leidet. No Bail-out und FiskalunionWer erinnert sich noch an die Werbefilmchen, mit denen die Bundesbank vor 1999 die Euro-Einführung erläuterte? In einem der Filmchen erklärt eine smarte junge Frau einer besorgten Oma den Euro. Sie erläutert ihr, dass ihre Rente unverändert bleibt, dass keine Inflationsgefahren drohen usw. Auf die Frage der Oma, ob “wir denn jetzt die Schulden der anderen Länder bezahlen” müssten, antwortet die smarte Dame, das sei vertraglich völlig ausgeschlossen. Falsch. Entgegen der Intention der Autoren des Artikels 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) und entgegen ihren Versprechen setzte sich Europas Politik über das No-Bail-out-Verbot hinweg.Aus Sicht der handelnden Politiker war das verständlich. Die Bankenkrise von 2008 war noch nicht ausgestanden. Eine Staatspleite innerhalb des Euroraumes hätte eine neue, gefährliche Belastung dargestellt. Zudem bestand die Hoffnung, so die Griechenland-Krise zu beenden und Ansteckungseffekte zu verhindern. Doch das No-Bail-out-Versprechen ist auf alle Zeiten dahin. Das erzeugt zum einen Frust bei denjenigen, die sich betrogen fühlen, weil die Versprechen, die bei der Euro-Einführung gemacht wurden, gebrochen wurden. Zum anderen entsteht eine institutionelle Schieflage. In einem Euroraum, in dem die No-Bail-out-Klausel begraben wurde, der aber nicht den Schritt zu einer Fiskalunion gehen will, klaffen politische Verantwortung und ökonomische Verantwortung auseinander. “Mit der Beerdigung der No-Bail-out-Klausel ist ein neuer Konstruktionsmangel der Währungsunion entstanden, für den auf absehbare Zeit keine Lösung in Sicht ist.Für den Euro sind die wilden Teenager-Jahre hoffentlich vorbei. Sollte es in den nächsten Jahren ohne neue fiskalische Krise abgehen, würde sich der politische Spielraum für eine Neugestaltung eröffnen. Doch wird die Politik diesen Spielraum ergreifen? Der Devisenmarkt würde wahrscheinlich jeden Schritt in Richtung Fiskalunion goutieren. Denn das würde den Euroraum krisenfester machen. Doch wäre solch ein Schritt rein mit Hinblick auf ökonomische Faktoren wohl nicht sinnvoll. Fiskalunion setzt ein Maß von Intra-Euroraum-Solidarität voraus, das – realistisch betrachtet – momentan nicht gegeben ist. Ich befürchte, der Euro bleibt auch in der dritten Dekade seines Bestehens ein unfertiges Produkt.—- *) Ulrich Leuchtmann ist Leiter des Devisen-Research der Commerzbank.