GASTBEITRAG ZUR SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (145)

Die Jahresendrally hat begonnen

Börsen-Zeitung, 28.11.2020 Erst Biontech und Pfizer, dann Moderna: Die Zulassung eines effektiven Covid-19-Impfstoffes durch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA und durch die europäische Arzneimittelagentur EMA wird nicht mehr lange auf sich...

Die Jahresendrally hat begonnen

Erst Biontech und Pfizer, dann Moderna: Die Zulassung eines effektiven Covid-19-Impfstoffes durch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA und durch die europäische Arzneimittelagentur EMA wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Dies stellt einen Game Changer und einen großen Schritt in Richtung einer Kontrolle und Beendigung der Corona-Pandemie dar.Damit ist das Szenario einer nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung und im Zuge dessen auch einer Erholung der Unternehmensgewinne im kommenden Jahr sehr viel wahrscheinlicher geworden. Zwar gibt es noch Risiken hinsichtlich Produktion, Verteilung und Verträglichkeit, doch wird dies dadurch ausgeglichen, dass in nächster Zeit vermutlich noch weitere Impfstoffe auf den Markt kommen werden, da auch andere Biotech-Unternehmen vielversprechende Fortschritte bei ihren Forschungsergebnissen erzielt haben. Eine großflächige medizinische Versorgung mit Impfstoffen im Laufe des Jahres 2021 scheint möglich zu sein. US-Wahl positiv Die Aktienmärkte haben mit starken Kursgewinnen auf diese Nachrichten reagiert. Hinzu kam, dass auch das Ergebnis der US-Wahl mehrheitlich positiv aufgenommen wurde. Nach derzeitigem Stand sieht es so aus, dass Joe Biden neuer US-Präsident wird, dem ein von den Republikanern dominierter Senat gegenübersteht. In dieser Konstellation wären die von den Demokraten befürworteten Steuererhöhungen und die in Aussicht gestellten schärferen Regulierungsvorhaben für die Technologie- und Pharmaindustrie kaum durchzusetzen. Die republikanische Mehrheit im Senat steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass bei zwei noch ausstehenden Stichwahlen, die Anfang Januar in Georgia stattfinden, zumindest ein Senatssitz an die Republikaner geht.Dennoch gibt es immer noch Risiken, die Anleger nicht aus den Augen verlieren sollten. So sind die Corona-Neuinfektionen sowohl in den USA als auch in der Eurozone auf gut 180 000 Fälle pro Tag angestiegen. In Europa haben deswegen viele Länder neue Kontaktbeschränkungen erlassen, so auch Deutschland. Der Teil-Lockdown der deutschen Wirtschaft wird die wirtschaftliche Dynamik erneut bremsen. Zwar kommt es damit zu einem gewissen Déjà-vu, ein ähnlich starker Konjunktureinbruch wie im Frühjahr dieses Jahres ist aber nicht zu erwarten. Dies liegt daran, dass diesmal nur ein kleinerer Teil der Wirtschaft von den Einschränkungen betroffen ist. Diese treffen vor allem Dienstleistungsunternehmen, große Teile des öffentlichen Lebens sind aber von Beschränkungen ausgenommen. Auch die Geschäfte bleiben geöffnet, und im Unterschied zum Frühjahr sind die Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe bislang kaum von einer Unterbrechung ihrer Lieferketten betroffen. Firmen müssen somit nicht wie im Frühjahr zwangsweise ihre Produktion ruhen lassen. Eine erneute tiefe Rezession ist unwahrscheinlich.Das genaue Ausmaß des wirtschaftlichen Rückschlags ist dennoch kaum zu bemessen. Das Beispiel der USA, die bereits im Juli und August ihre zweite Infektionswelle erlebt haben, zeigt jedoch, dass gezielte und zeitlich limitierte wirtschaftliche Beschränkungen wesentlich geringere ökonomische Schäden anrichten als die allgemeinen und sehr umfassenden Einschränkungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens im April und Mai. Deshalb rechnen wir für die deutsche Wirtschaft im vierten Quartal nur mit einem leichten Rückgang des realen Bruttoinlandsproduktes. Da zugleich die Konjunkturerholung im dritten Quartal deutlich stärker ausgefallen ist als erwartet, passen wir unsere wirtschaftliche Gesamtjahresprognose für dieses Jahr nur geringfügig auf -5,3 % an. Wie schon im dritten Quartal 2020 wird es nach Beendigung der Beschränkungen zu einer deutlichen Erholung der Wirtschaft kommen. Da zudem schon bald ein Corona-Impfstoff zur Verfügung stehen wird, dürfte dies das Vertrauen der Unternehmen und der Privathaushalte derart stützen, dass schon in der zweiten Jahreshälfte 2021 das wirtschaftliche Vorkrisenniveau wieder erreicht werden und das deutsche BIP dann im Gesamtjahr um rund 5 % gegenüber 2020 zulegen könnte. Somit gilt: Keine Angst vor dem zweiten Lockdown!Ermutigend ist auch, dass die in Europa ergriffenen Maßnahmen bereits erste Erfolge zeigen. So sind die Zuwachsraten der Corona-Neuerkrankungen in fast allen Ländern zuletzt zurückgegangen. In den USA verbreitet sich dagegen das Virus weiterhin ungebremst. Neue wirtschaftliche Beschränkungen wurden aber bislang nur in geringem Umfang erlassen, so dass die Fallzahlen weiter ansteigen werden – bis weitere Maßnahmen ergriffen werden. Diese sollten aber nur zu einer kurzen Unterbrechung des wirtschaftlichen Aufholprozesses führen. Auch in den USA könnte der wirtschaftliche Schaden, den Covid-19 in diesem Jahr angerichtet hat, schon im Laufe der zweiten Jahreshälfte 2021 vollständig aufgeholt werden.Dass weitere wirtschaftliche Eindämmungsmaßnahmen in den USA noch eine Zeit lang auf sich warten lassen dürften, liegt auch daran, dass die Übergabe der Amtsgeschäfte vom alten auf den neuen Präsidenten nicht reibungslos verläuft. Trumps Verzögerungstaktik, indem er eine Reihe von Klagen auf den Weg gebracht hat, um die bisherigen Ergebnisse in Staaten mit einem knappen Wahlausgang anzufechten, wird aber wohl wirkungslos bleiben. Zum einen gibt es bislang keine Beweise für Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung, zum anderen bringt eine Neuauszählung normalerweise nur geringe Abweichungen von einigen Hundert Stimmen ans Tageslicht, nicht aber von Tausenden, die notwendig wären, um Trump doch noch in einigen Staaten zum nachträglichen Sieger zu erklären. Nichtsdestotrotz können diese politischen Spielchen die Börse temporär verunsichern.Diese noch vorhandenen Risiken werden die bereits begonnene Jahresendrally zwar immer wieder einmal zum Stocken, aber nicht zum Erliegen bringen. Dies liegt daran, dass die Aussichten auf stabilere politische Verhältnisse in der Nach-Trump-Ära sowie der abnehmende Einfluss der Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Gesellschaft die noch vorhandenen Unsicherheiten reduzieren und dafür sprechen, dass das Jahr 2021 für Anleger deutlich positivere Rahmenbedingungen bereithalten wird, als es in diesem Jahr der Fall war. Von daher sollten Aktien in einem Portfolio hoch gewichtet sein.Welche Titel versprechen die beste Wertentwicklung? Nach der über viele Jahre anhaltenden, außergewöhnlich guten Wertentwicklung von großen US-Unternehmen aus den Growth-Sektoren Technologie und Gesundheit stellt sich die Frage, ob es nun nicht Zeit für einen Favoritenwechsel ist. Weniger “Stay at Home” und mehr “konjunktureller Aufschwung” sprechen für Aktien von Unternehmen, deren Kurse in den vergangenen Monaten stark eingebrochen sind. Dieser “Reopening Trade” hat durchaus Charme und könnte zunächst auch anhalten. Hauptprofiteure wären vor allem Value-Aktien, also Finanzwerte, Energie- und Industrieunternehmen sowie Versorger, die vor allem in europäischen Indizes ein hohes Gewicht haben, zudem auch Small Caps. Zinsniveau bleibt niedrigFür “Value” würde auch ein Szenario steigender Zinsen sprechen. Allerdings gehen wir davon aus, dass die Notenbanken weiterhin alles dafür tun werden, damit das Zinsniveau niedrig bleibt. Denn angesichts der aufgrund von Corona stark angestiegenen Verschuldung von Staaten und Unternehmen könnten höhere Zinsen dazu führen, dass der gerade beginnende Aufschwung schnell wieder abgewürgt wird. EZB-Präsidentin Lagarde hat deutlich gemacht, dass die Europäische Zentralbank auf ihrer nächsten Sitzung am 10. Dezember die Geldpolitik weiter lockern wird. Von der US-Notenbank werden derzeit zwar keine zusätzlichen expansiven Maßnahmen erwartet, sollten sich Demokraten und Republikaner aber nicht zeitnah auf ein neues, großes Fiskalprogramm einigen, könnte auch die Fed noch mal auf den Plan gerufen werden und ihre Ankaufvolumina für Anleihen erhöhen. Eine nachhaltige Trendwende hin zu höheren Zinsen ist also nicht in Sicht. Growth nicht abschreibenIn einem Portfolio sollte Value also eine größere Rolle als bisher spielen, Growth-Titel sollte man dennoch nicht abschreiben. Vor allem die anhaltend niedrigen Zinsen und die nachhaltiger wachsenden Unternehmensgewinne sprechen auch weiterhin für diesen Investmentstil. Da Growth-Unternehmen in vielen Indizes eine dominierende Rolle spielen, würde dies auch zu höheren Indexständen führen. Von daher sind neue Aktienhöchststände in den USA in den kommenden Wochen und Monaten sehr wahrscheinlich, während der Dax zumindest sein bisheriges Allzeithoch von knapp 13 800 Punkten schon bald wieder erreichen könnte. Zuletzt erschienen: Nachhaltig in die Blue Economy investieren (144), BNP Paribas Die Zeit ist reif für Small Caps (143), Berenberg Familienunternehmen bieten Anlagechance (142), Pictet —-Carsten Klude, Chefvolkswirt von M.M. Warburg