GASTBEITRAG

Die Ruhe vor dem Sturm

Börsen-Zeitung, 12.12.2017 Jedes Jahr bilden sich Hurrikans vor der Küste der Vereinigten Staaten. Viele von ihnen erreichen niemals das Festland, doch wenn sie es tun - das hat diese Hurrikansaison gezeigt -, sind die Auswirkungen oft verheerend....

Die Ruhe vor dem Sturm

Jedes Jahr bilden sich Hurrikans vor der Küste der Vereinigten Staaten. Viele von ihnen erreichen niemals das Festland, doch wenn sie es tun – das hat diese Hurrikansaison gezeigt -, sind die Auswirkungen oft verheerend. Die Weltwirtschaft ist zurzeit von einer ähnlichen Dynamik geprägt: Zahlreiche Sturmtiefs entstehen vor der Küste einer ansonsten sonnigen Umgebung.Zuerst die guten Nachrichten: Die weltweit größten Volkswirtschaften verzeichnen ein stabiles Wachstum im einstelligen Bereich, und der Purchasing Managers Index – der von vielen als wichtigster Indikator für wirtschaftliche Verhältnisse angesehen wird – liegt in den meisten Regionen über dem kritischen Wert von 50 und deutet damit auf eine mögliche konjunkturelle Expansion hin. Am Horizont zeigen sich jedoch einige potenzielle Risiken. Normalisierung der ZinsenInvestoren sollten sich auf die anstehende Normalisierung der Zinssätze einstellen. In den letzten Jahren hat die quantitative Lockerung (QE) mit der Senkung von Zinssätzen die betriebliche Nachfrage nach Fremdkapital angeheizt. Da Unternehmensschulden mit Aufschlag zu Staatsanleihen gehandelt werden, führte das Senken des allgemeinen Zinsniveaus auch zu einer Verringerung der Fremdkapitalkosten für Unternehmen. Dies sollte einen Anreiz für Unternehmen darstellen, Anleihen aufzunehmen und die Einnahmen daraus in produktive Anlagegüter zu investieren, die wiederum die Profitabilität steigern würden. Sie haben ihren Anteil an Anleihen geleistet. Doch anstatt produktiv zu investieren, setzten sie große Teile der Einnahmen dafür ein, ihre eigenen Anteile zurückzukaufen.Die Rückkäufe dienten als wichtige Stütze für Aktienkurse, ließen jedoch leider den Verschuldungsgrad der Unternehmen anwachsen. In Reaktion darauf hat ihre Kapazität für Neuverschuldungen abgenommen; genau jetzt, wo wir den ersten Investitionsschub beobachten können, nach dem die Zentralbanken strebten. Vor dem Hintergrund einer gesunden Weltwirtschaft beginnen Unternehmen endlich, in ertragsbringende Aktiva zu investieren – aber genau zu diesem Zeitpunkt steigen auch die Zinssätze. Das Timing wird sie teuer zu stehen kommen. Mit bereits hohen Verschuldungsraten und steigenden Zinssätzen müssen Unternehmen möglicherweise Aktien ausgeben, um ihre Investitionen zu finanzieren. Zwei Dynamiken – der Druck höherer Finanzierungskosten auf den Gewinn und die Ausgabe neuer Aktien – werden vermutlich in Bewegung gesetzt. Alles zusammen stellt ein potenzielles Abwärtsrisiko für Aktien dar.Große Zentralbanken auf der ganzen Welt – einschließlich der USA, China, Europa und Japan – erhöhten im vergangenen Jahrzehnt ebenfalls drastisch ihre Schuldenstände. Höhere Zinszahlungen könnten Staatshaushalten schaden und zu einer kontraktiven Finanzpolitik führen.Obwohl die Fed bereits eine Erhöhung der Zinssätze und die Verkürzung der Bilanz angedeutet hat, schenkt der Markt ihr weiterhin keinen Glauben. Der Vergleich der Fed Funds Rate mit dem Terminmarkt offenbart eine große Lücke. Betrachtet man die zugrundeliegende Stärke der Weltwirtschaft und das Anziehen der Unternehmensinvestitionen, könnte es sein, dass der Markt dieses Mal falsche Schlüsse zieht. Auf der ganzen Welt brauen sich potenzielle Unwetter politischen und wirtschaftlichen Ausmaßes zusammen. Dazu gehören der Konflikt zwischen Nordkorea und den USA, der Einfluss der US-Politik auf die Finanzmärkte oder auch die zukünftige Währungspolitik der Leitung der Fed.Und auch in anderen Regionen ziehen Unwetter auf. Das katalanische Unabhängigkeitsreferendum verursachte nicht nur bei den spanischen Anleiherenditen Spitzen, sondern auch in Portugal und Italien. Zwei Regionen in Norditalien führten eigene, nichtbindende Referenden für eine größere Autonomie durch. Polen, Ungarn und sogar Tschechien stellen sich immer mehr gegen das europäische Projekt. Deutschland muss sich angesichts des Wachstums einer rechtsextremen Partei behaupten. Diese dezentralisierenden Kräfte könnten sowohl im Aktien- als auch im festverzinslichen Bereich destabilisierend wirken und trotz der positiven wirtschaftlichen Aussichten für die Region zu einer größeren Volatilität führen. Jenseits von Europa diskutiert Japan weiterhin über den Abbau von Anreizmaßnahmen, und China muss herausfinden, wie es seine massiv angehäufte Staatsverschuldung beseitigen kann. Gezielt Risiken senkenEinige dieser Stürme werden sich auflösen. Einer oder mehrere davon könnten jedoch weiter wachsen und spürbare Marktstörungen verursachen – Investoren müssen daher wissen, wie sie sich schützen können. Zu diesem Zeitpunkt halten wir es für sinnvoll, gezielt Risiken zu senken. Anstelle einer willkürlichen Erhöhung der Liquidität wollen wir festlegen, welche Marktbereiche am schwächsten sind, und unsere Portfolios so positionieren, dass das Schadenspotenzial minimiert werden kann. Ein offensichtlicher Ansatz zur Abschwächung der Auswirkungen eines steilen und unerwarteten Anstiegs der Zinssätze ist die Verkürzung des Zeitraums. Das Ziel wären Reinvestitionen und möglicherweise aus dem Wiederanstieg zu profitieren, sobald sich ein Regenbogen abzeichnet – dank der Stärke der zugrundeliegenden Wirtschaft stufen wir diese Entwicklung als sehr wahrscheinlich ein.—-Andrew Harmstone, Portfoliomanager bei Morgan Stanley Investment Management