TECHNISCHE ANALYSE

Ende der Gold-Hausse noch nicht erreicht

Von Jörg Scherer *) Börsen-Zeitung, 9.9.2020 Seit dem historischen Rekordstand von Anfang August bei 2 072 Dollar ist der Goldpreis in eine temporäre Konsolidierungsphase übergegangen. Gemessen am Jahresschlussstand von 1 517 Dollar steht aber...

Ende der Gold-Hausse noch nicht erreicht

Von Jörg Scherer *)Seit dem historischen Rekordstand von Anfang August bei 2 072 Dollar ist der Goldpreis in eine temporäre Konsolidierungsphase übergegangen. Gemessen am Jahresschlussstand von 1 517 Dollar steht aber immer noch ein Kursplus von mehr als 25 % zu Buche. Besonders Investoren in Europa, wo die Aktienindizes auf Jahressicht zum Teil noch deutliche Minuszeichen aufweisen, hätten bei einer stärkeren Berücksichtigung des Edelmetalls von entsprechenden “Diversifizierungsgewinnen” profitiert. Im schwierigen Aktienjahrgang 2020 hat also der Goldpreis seinen Versicherungsschutz in Krisenzeiten eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Doch können Anleger auch in Zukunft auf diesen Effekt bauen? GewöhnungsprozessAls Ausgangspunkt unserer Analyse wählen wir den Quartalschart des Edelmetalls. Seit dem oben genannten Allzeithoch (2 072 Dollar) ist es etwas ruhiger um den Goldpreis geworden. Und das ist auch gut so, denn damit tritt ein Gewöhnungsprozess bei Investoren ein. Die zurückliegenden Wochen versetzen Anleger also in die Lage, sich mit den zuletzt gesehenen Ausbrüchen über die Hochs von 2011/2012 sowie dem Spurt über das alte Rekordhoch vom September 2011 bei 1 800 Dollar bzw. 1 920 Dollar anzufreunden. Bei der Bestimmung der nächsten Anlaufziele bleibt die von 2011 bis 2015 ausgebildete Korrekturflagge eines unserer Kernargumente. Das kalkulatorische Kursziel aus dem angeführten Trendbestätigungsmuster lässt sich perspektivisch auf rund 2 280 Dollar taxieren. Diese Marke harmoniert gut mit der 138,2-Prozent-Fibonacci-Projektion des gesamten Baisseimpulses von 2011 bis 2015 (2 254 Dollar). Im Schlussquartal 2020 wird in diesem Dunstkreis zudem der ehemalige Basisaufwärtstrend seit Beginn des Jahrtausends (2 244 Dollar) verlaufen. Hier entsteht also ein markantes, charttechnisches Anlaufbündel. Gute Edelmetallphase Wenn Anleger die Kursentwicklung seit Ende 2012 als “Rounding Bottom” interpretieren, dann ergibt sich – abgeleitet aus der Höhe der Formation – sogar ein langfristiges Anschlusspotenzial bis rund 2 500 Dollar. Zusätzlichen Rückenwind liefert der Faktor “Saisonalität”: Schließlich neigt das Edelmetall unter saisonalen Gesichtspunkten im zweiten Halbjahr generell zur Stärke. Bis Ende September liegt sogar eine besonders gute Edelmetallphase vor.Nach den langfristigen Perspektiven möchten wir nun die Zeitebene herunterbrechen und näher auf die seit dem bisherigen Allzeithoch vom 7. August bei 2 072 Dollar bestehende Atempause eingehen. Übergeordnet ist das beschriebene Kräftesammeln wichtig, um den vorangegangenen Kursanstieg zu verdauen. Aus charttechnischer Sicht hat sich dabei ein kleines Dreieck ausgebildet, wobei die 38-Tage-Linie (aktuell bei 1 945 Dollar) in den letzten Wochen bereits mehrfach ihre Bedeutung unter Beweis stellen konnte. Auch im Point-and-Figure-Chart zeigt sich das äquivalente Konsolidierungsmuster. Ein Anstieg über die Marke von 1 990 Dollar würde beide Trendfortsetzungsformationen nach oben auflösen. Absicherung bei 1 900 Dollar Im Erfolgsfall entsteht also ein prozyklisches Investmentkaufsignal. Lohn der Mühen dürfte dann ein neuer Rekordstand oberhalb der Marke von 2 072 Dollar sein. Unter Tradinggesichtspunkten bietet sich die Marke von 1 900 Dollar als Absicherung an, denn unterhalb dieses Levels würde in beiden Chartdarstellungsformen jeweils ein kurzfristiges Ausstiegssignal entstehen. Als strategischer Stopp ist indes die Nackenlinie des oben genannten “Rounding Bottom” bei 1 800 Dollar prädestiniert.Die jüngste Verschnaufpause beim Goldpreis schlägt sich eins zu eins im Chartverlauf des Nyse Arca Gold Bugs Index nieder. Der im August ausgebildete “Doji” – Eröffnungs- und Monatsschlusskurs sind fast deckungsgleich – spiegelt das jüngste Luftholen lehrbuchmäßig wider. Übergeordnet hat die zuletzt ausgebildete, inverse Schulter-Kopf-Schulter-Formation weiterhin Bestand. Aus der Höhe der unteren Umkehr ergibt sich ein Anschlusspotenzial von rund 180 Punkten, welches zu einem Kursziel im Bereich von 460 Punkten führt. Auf dem Weg in diese Region definieren die horizontalen Hürden bei 370 Punkten ein wichtiges Etappenziel. Auf diesem Niveau haben die Goldminentitel Anfang August auch ihr bisheriges Verlaufshoch ausgebildet (374 Punkte). Danach steckt die Parallele zum Aufwärtstrend seit Anfang 2016 (aktuell bei 434 Punkten) das nächste Anlaufziel ab. Minen schlagen GoldBesonders hervorheben möchten wir die relative Perspektive der Minenaktien: Im Vergleich zum Goldpreis liegt eine Bodenbildung sowie der Bruch des seit dem Jahr 2007 bestehenden Abwärtstrends vor. Dank der zwei T “Trendwende” und “Trendbruch” sind also alle Voraussetzungen für eine nachhaltige Wende zum Besseren erfüllt. Die lange Phase der Underperformance sollte also Geschichte sein. Auf Sicht der nächsten Monate – wenn nicht gar Jahre – sollten sich die im Index Nyse Arca Gold Bugs zusammengefassten Minentitel vielmehr besser entwickeln als der Goldpreis. Per saldo verfügt der gesamte Edelmetallsektor unverändert über gute Chartperspektiven. Da das Ende der Hausse noch nicht erreicht sein sollte, bieten der Goldpreis beziehungsweise Goldminentitel Investoren auch in Zukunft eine sinnvolle Diversifikationsmöglichkeit. *) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.