Porträt Gottfried Heller

Erhards Vollendete

Auf ETFs wäre Ludwig Erhard, Vater des Wirtschaftswunders, heute vermutlich stolz, sagt der Vermögensverwalter Gottfried Heller.

Erhards Vollendete

Wie wenig ist doch aus dem Aktientraum von Ludwig Erhard geworden: „Mit jedem weiteren wirtschaftlichen Fortschritt“ solle es zu einer breiteren Streuung des Eigentums an den Produktionsmitteln“kommen, hatte der frühe Bundeswirtschaftsminister, spätere Kanzler und „Vater des Wirtschaftswunders“ bereits 1957 auf einem Parteitag der CDU gesagt. Doch in Deutschland, im Land der Aktienmuffel, hat lange nur eine kleine Minderheit Aktien besessen, klagt Gottfried Heller, langjähriger Vermögensverwalter und Buchautor. „Erhards Unvollendete“ nennt er in einem Beitrag die mangelnde Aktienkultur in Deutschland. Die Idee einer sozialen Marktwirtschaft, so wie einst vom Erhard ersonnen, setzt laut dem 86-jährigen Heller auch eine breite Beteiligung der Menschen am privaten Kapital voraus.

Erhards Ideal sah vor, dass Unternehmen und Bürger selbst verantwortlich für die Schaffung von Wohlstand sind und der Staat nur als Schiedsrichter agiert. Nicht primär durch sozialstaatliche Umverteilung also, sondern durch eigene Arbeit und die Beteiligung am Kapital sollte ein Wohlstand für alle geschaffen werden. Gerade in dieser Hinsicht sei Erhards Bemühen ohne Erfolg geblieben, klagt Heller. „Seine Vision von einer freiheitlichen Gesellschaft von Teilhabern – ‚Volksaktionären‘ –, deren soziale Sicherheit primär aus ihrer eigenen Leistung und ihrer Selbstvorsorge kommt, wurde nicht verwirklicht“, hält er weiter in seinem Beitrag im Sammelwerk „Ludwig Erhard jetzt“ fest.

„Die größte Erfindung“

Wäre der 1977 verstorbene Politiker in der heutigen Zeit aktiv, würde er die zunehmende Verbreitung von ETFs gutheißen, sagt Heller im Gespräch mit rendite: Denn viel leichter als zuvor könne heutzutage jeder Privatmensch mit ein wenig Geld am Aktienmarkt teilhaben. Nicht weniger als eine „Revolution der Geldanlage“ sieht Heller in seinem jüngsten gleichnamigen Buch. Endlich seien Kleinanleger mit Großinvestoren und Banken auf Augenhöhe. Es handele sich um „die größte Erfindung der vergangenen Jahrzehnte in der Finanzbranche“, sagt er, börsengehandelte Fonds demokratisierten die Geldanlage.

Geschätzt 12,4 Millionen Menschen in Deutschland besitzen heute bereits Aktien, wobei Fonds und ETFs eine wesentliche Rolle spielen. Erhard selbst hatte den Börsengang großer Unternehmen noch mit der Verbreitung einer Aktienkultur in Verbindung gebracht, als er die Preussag, also die heutige Tui, Volkwagen und die Veba, die später in Eon aufging, privatisierte. Von einer breiten Streuung moderner ETFs waren die wenigen Aktiensparer damals natürlich noch weit entfernt. „Die Deutschen sollten ein Volk von Aktionären sein“, wünscht sich heute Heller.

Einer Vollendung der Erhard‘schen Idee sind die Deutschen dank fortlaufender Digitalisierung und dem Aufschwung der ETFs schon einen Schritt nähergekommen. Früher sei die Börse von einem Machtgefälle geprägt gewesen, berichtet Heller. Wirtschaftsnachrichten habe es kaum gegeben, Anleger konnten sich über Aktienkurse nur im Bankaushang oder am Telefon über eine Bandansage informieren.

Kleinanleger konnten an der Börse meist nur zum Kassakurs gegen 12:30 Uhr Aktien kaufen, wenn Banken und Investoren längst ihre Geschäfte getätigt hatten. Die Handel selbst war teuer, Mindestauftragsgrößen von mehreren Tausend Mark standen dem Geschäft im Weg. Informationen flossen langsam, erst „am Ende der Informationsnahrungskette“ kamen die privaten Sparer dran. Heute sei die Situation der einfachen Leute viel besser, sagt Heller. Via ETFs könnten sie breit gestreut und günstig an den Aktienmärkten teilnehmen, ohne irgendwelchen Zwängen ausgesetzt zu sein. Damit seien sie den Profis, die Berichtspflichten und die Regulierung beachten müssten, sogar voraus.

Sitzfleisch bewährt sich

Erhard ist nicht das einzige Idol, zu dem der heutige Münchener aufschaut. Lobende Worte findet Heller durchweg über den Börsenexperten André Kostolany, der über viele Jahre Hellers Freund und Geschäftspartner war. 1971 gründeten die beiden Börsenexperten – der noch junge Heller und der drei Jahrzehnte ältere Kostolany – den Münchener Vermögensverwalter Fiduka. Damit war Heller selbst viele Jahre ein traditioneller Investor, der außerdem mit Kostolany Börsenseminare gab. Einige wesentliche Einsichten über die Börsen hat er von Kostolany übernommen, und sie haben auch im Zeitalter der ETFs noch Bestand. Nicht mit dem Kopf, sondern mit „Sitzfleisch“ verdiene man an der Börse Geld, soll Kostolany einmal gesagt haben – eine Bezeichnung, die auch Heller gerne zitiert. Die Anlegerschar solle sich von der

Vorstellung lösen, den besten Zeitpunkt für einen Ein- oder Ausstieg an den Börsen zu kennen, warnt er heute. Wer in ETFs investiere, solle über viele Jahre dabeibleiben, frühzeitig und schrittweise einsteigen und nicht andauernd handeln, also bloß nicht mit den Wertpapieren „herumfuchteln“, wie Heller wieder mit Anspielung auf Kostolany sagt. Sogenannte Robo-Advisor, die automatisch für Anleger ein Portfolio erstellen und laufend anpassen, sieht er kritisch, eben weil die Online-Anbieter so rege handelten. „Ich finde, dass die Robo-Advisor versagt haben.“

Das heute allgegenwärtige Schlagwort der Nachhaltigkeit findet sich in seinem Buch nicht. Irgendeiner Mode wolle er nicht hinterherlaufen, sagt Heller. „Nachhaltigkeit – das ist ein überstrapaziertes Wort.“ Die soziale Verantwortung – und da spricht wieder der Erhard-Anhänger aus ihm – erwachse eben auch aus dem Ziel der Unternehmen, Überschüsse zu erwirtschaften, an denen viele Menschen teilhaben können.

Schon früh war Heller von dieser Idee fasziniert: In den USA, wo er seine frühen Berufsjahre als Berater von 1963 an verbracht hatte, sei er häufiger mit Aktien konfrontiert gewesen, weil seine Kollegen darüber sprachen und die Medien über Aktienkurse berichteten.

Als langjähriger Vermögensverwalter hat Heller zu bestimmten Aktienklassen eine Meinung: Value-Titel, also Aktien gestandener Unternehmen, zieht er hoch bewerteten Hoffnungsträgern vor. Auch die Beimischung von ETFs für kleine Aktiengesellschaften, also Small Caps, empfiehlt er ausdrücklich. Mit Einzelaktien habe er aber bereits seit 2008 nicht mehr aktiv gehandelt, betont er. Die Zeichen der Zeit habe er schon früh erkannt und sei über Jahre mit ETFs dabeigeblieben. Sitzfleisch eben.

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