Goldener Herbst für Wall Street endet

Sorge über steigende Zinsen trübt Erwartungen an US-Aktienmarkt - Keine Blase bei Technologiefirmen

Goldener Herbst für Wall Street endet

Der Nordosten der USA hat dieses Jahr einen goldenen Herbst erlebt. Viel Sonne und Temperaturen von fast durchweg über 20 Grad Celsius haben bis in den November hinein die Stimmung gehoben. Passend dazu lief es auch an der Wall Street prächtig. Allerdings sinken seit Ende vergangener Woche nicht nur die Temperaturen – auch die Stimmung am Aktienmarkt fällt rapide.Von Sebastian Schmid, New YorkDer US-Aktienmarkt hat im Oktober so manchem Portfoliomanager das Jahr gerettet – zumindest nach derzeitigem Stand. Der zuletzt noch so positive Ausblick vieler Analysten dreht allerdings gerade wieder ins Negative. Am Freitag hat ein sehr robuster US-Arbeitsmarktbericht die Hoffnung, dass die US-Notenbank Federal Reserve weiter auf ihre Politik der Niedrigzinsen vertraut, deutlich gedämpft. Mitte Dezember dürfte das Ende von mehr als sechs Jahren Nullzinspolitik nun doch anstehen. Viele Assetmanager beginnen vor diesem Hintergrund den Aktienanteil in ihren Portfolios zu reduzieren.Die Angst vor einem größeren Rückschlag ist nicht unbegründet und lässt sich auch mit historischen Vergleichen begründen. Derzeit sind die Unternehmen im S & P 500 im Schnitt mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 23 bezogen auf die vergangenen zwölf Monate bewertet – das historische Mittel liegt zwischen 15 und 16. Dabei sind die Aussichten für das Gewinnwachstum im Vergleich zu früheren Jahren eher unterdurchschnittlich.Einige Experten sind daher inzwischen kurz- bis langfristig hoch pessimistisch für die zuletzt beliebteste Anlageklasse. David Kostin, Chefaktienstratege von Goldman Sachs, erwartet etwa einen vierprozentigen Rückgang im US-Leitindex bis Jahresende. Aus dem derzeitigen Plus von 1 % würde damit ein knapp dreiprozentiges Minus. In den kommenden zehn Jahren erwartet er einen durchschnittlichen Wertzuwachs von nur 5 % im Jahr – Dividenden eingerechnet. Noch einen Prozentpunkt weniger traut der Vanguard-Mitgründer John Bogle dem S & P 500 in der kommenden Dekade zu. Anwiti Bahugama, Senior-Portfoliomanagerin bei Columbia Threadneedle Investments, sagte dem “Wall Street Journal”, die Hoffnung der Anleger liege auf den Notenbanken, die mit dem Öffnen der Geldschleusen einmal mehr die Rally stützen sollen. Allerdings glaubt sie nicht daran, dass die Fed diesen Gefallen noch einmal gewähren wird. In den vergangenen Jahren hat die Notenbank mit ihrer lockeren Geldpolitik kräftig mitgeholfen, dass sich der US-Leitindex S & P 500 seit dem Tief 2009 mehr als verdreifacht hat.Die Technologiekonzerne, denen nach dem jüngsten Boom bei Aktien wie Facebook gerne die Schuld an einer Blasenbildung zugeschoben wird, führen den Bewertungsgalopp anders als zur Jahrtausendwende diesmal nicht an – zumindest nicht generell. Von den fünf größten Technologiekonzernen kommen mit Apple, Microsoft und Oracle drei auf ein niedrigeres KGV als der Durchschnitt im S & P 500. Google liegt nur leicht darüber. Lediglich die Facebook-Aktie ist deutlich teurer. Allerdings steigert das soziale Netzwerk den Umsatz derzeit auch um rund 40 % im Jahr, während der Durchschnitt der US-Unternehmen kein Erlöswachstum zeigt. Sonderfall AmazonAbsturzgefahren lauern in dem Sektor dennoch. Etwa beim Onlinehändler Amazon. Dessen Börsenwert hat sich seit Jahresbeginn verdoppelt. Facebook hat nicht einmal um die Hälfte zugelegt. Obwohl Amazon seit beinahe zwei Jahrzehnten stets ein extrem hohes KGV aufwies, ist das Multiple zuletzt doch noch einmal deutlich angezogen. Aktuell wird das Unternehmen mit 306 Mrd. Dollar bewertet. Das entspricht fast dem 1 000-fachen Gewinn der vergangenen zwölf Monate. Die Aktie notiert aktuell knapp unter dem Rekordhoch, das vergangene Woche bei 662,26 Dollar markiert wurde. Investoren und Analysten streiten darüber, ob der Konzern von CEO Jeff Bezos nun als Einzelhändler oder Technologiekonzern zu werten ist. So oder so ist Amazon überbewertet in Relation zur Konkurrenz. Der weltgrößte Einzelhändler Wal-Mart kommt aktuell auf ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12 und zahlt dabei sogar eine satte Dividendenrendite von fast 3,4 %. Selbst Google und Apple sind geradezu preiswert im Vergleich.Allerdings ist Amazon ein Sonderfall, der nun schon seit Jahrzehnten ohne Gewinn, Ausschüttungen oder andere an Aktionäre gerichtete Programme von Rekordkurs zu Rekordkurs eilt.Dass der Technologiemarkt insgesamt nicht an Überbewertungen krankt, zeigen zahlreiche Börsenneulinge, deren Wert sich in den vergangenen Jahren trotz angeblichem Technologieboom den Realitäten anpassen musste. Groupon, Zynga, King Digital Entertainment, Pandora Media oder Twitter sind nur einige Beispiele für Start-ups, die mit viel Vorschusslorbeer furios an der Börse gestartet sind, nur um später einen mehr oder weniger rasanten Kursverfall zu erleben. Auch der IPO-Markt ist deshalb vorsichtiger geworden. Der Bezahldienstleister Square peilt beim anstehenden Going Public eine Bewertung von bis zu 3,9 Mrd. Dollar an. Pech für die Wagniskapitalgeber, die zuletzt noch einen Wert von 6 Mrd. Dollar für das Unternehmen angesetzt hatten.