Hohe Gewichte von US-Aktien überdenken
Amerikanischer Exzeptionalismus – die Idee, manche sagen Ideologie, einer historischen Sonderrolle der USA wird seit Jahrzehnten im soziopolitischen Raum diskutiert. Ökonomisch kann man eine gewisse Ausnahmestellung der USA für die letzten Jahre durchaus attestieren. So waren sie die einzige große Volkswirtschaft, die mit einer über dem Trend liegenden Rate gewachsen ist. Gleichzeitig überflügelte der US-Aktienmarkt viele Pendants, getrieben von den großen Technologiewerten. Eine Folge: Im viel beachteten MSCI-Weltaktienindex, bei dem die Titel-Gewichtung von der Marktkapitalisierung der Aktien abhängt, nahmen die USA Ende 2024 einen Anteil von mehr als 70% ein. Im S&P500 stellen allein die „Glorreichen Sieben“ Tech-Giganten knapp 30% des Marktes. Diese Konzentration und Schiefe führt bei vielen Anlegern zu Unbehagen. Höchste Zeit, über alternative Wägungsschemata nachzudenken.
Schwaches Abschneiden
Denn das vergleichsweise schwache Abschneiden von US-Titeln seit Amtsantritt der neuen Regierung könnte nur der Auftakt für gravierendere Verschiebungen an den Finanzmärkten sein. Eine Zeitenwende, ursprünglich mit Blick auf den russischen Überfall auf die Ukraine und zuletzt im Zusammenhang mit dem Regierungswechsel in den USA proklamiert, steht möglicherweise auch dem internationalen Finanzsystem bevor. Das unter dem Namen Trumponomics bekannt gewordene Regierungsprogramm führt zusammen mit einer gegenüber jedermann konfrontativen, Deal-basierten US-Verhandlungspolitik zu einer Rückkehr längst überwundener handelspolitischer Zeiten: statt Kooperation und Partnerschaft – also Vereinte Nationen, G7 und NATO – geht es zurück zu US-Isolationismus sowie G-Null. Das Problem dabei: Da Handel kein Nullsummenspiel ist, sondern per Saldo positiv für alle Beteiligten, senkt auch diese Ebbe alle Boote. Und derjenige, der es sich mit allen verscherzt, schneidet sich vermutlich am tiefsten ins eigene Fleisch. Das sind keine guten Vorzeichen für den US-Aktienmarkt.
Als wäre das nicht schon genug, zündelt die Trump-Administration zudem am Status sicherer Hafen und Dollar als Weltleitwährung. Der ökonomische Beraterstab stellt Überlegungen zu einem Mar-a-Lago-Akkord an – einem Ansatz, der währungs- und sicherheitspolitische Aspekte miteinander verbindet, inklusive partieller Kapitalverkehrsbeschränkungen. Anders als beim angeblich Pate stehenden Plaza-Akkord von 1985 dürfte die Teilnahmebereitschaft anderer großer Volkswirtschaften begrenzt sein. Diese Überlegungen sind systemisch wenig zuträglich. Aktuell hat die USA reichlich Vorteile: man denke etwa an die Annehmlichkeitsrenditen für Treasuries, welche die Staatsverschuldung ceteris paribus verbilligen.
Vorteil bei der BIP-Gewichtung
Vieles spricht also dafür, die Adäquanz des überhohen US-Aktiengewichts in internationalen Standardindizes strategisch zu überdenken. Aber welche Alternativen bieten sich? Zunächst fällt eine Gewichtung nach der Wirtschaftsleistung der Länder ein. Der Vorteil einer BIP-Gewichtung: Einfach zu ermitteln, plausibel und im Bondbereich bereits länger in Diskussion. Denn im Fixed-Income-Bereich ist eine Indexgewichtung in Abhängigkeit von der „Marktkapitalisierung“, d.h. der Höhe der Verschuldung, etwas paradox. Dies führt nämlich zu einer Übergewichtung der größten Schuldner und erscheint somit kontradiktisch. Dieses Problem wird bei einer BIP-Gewichtung verringert. Legt man dieses Schema beim MSCI-Weltaktienindex an, reduziert sich der Anteil der USA von über 70 auf ca. 50%.
Die Vorgehensweise hätte auch Nachteile. Der Offensichtlichste ist, dass die Wirtschaftsentwicklung eines Landes in einer globalisierten Welt nur begrenzt mit der der größten Firmen zusammenhängt. Denn für den Erfolg eines Unternehmens ist es zweitrangig, in welchem Land die Firma ihren Sitz hat. Das sieht man gerade in Deutschland, wo viele Unternehmen im Dax weltweit aktiv sind und sich in den letzten Jahren von der heimischen Konjunkturflaute abkoppeln konnten.
Firmenkennzahlen im Blick
Daher erscheint es angemessener, eine Orientierung zu wählen, die – ähnlich wie die Marktkapitalisierung – auf Unternehmenskennzahlen beruht. Dies könnten etwa die realisierten Unternehmensgewinne sein. Ihr Vorteil: Die Gewinne geben den echten Unternehmenserfolg wieder und beinhalten keine Erwartungskomponente. Denn in den der Marktkapitalisierung zugrundeliegenden Aktienkursen sind ja auch die Bewertungen künftiger Gewinne antizipiert – sie enthalten somit ein „spekulatives“ Element. Überschlägigen Berechnungen zufolge würde sich der Anteil der USA am Weltaktienindex bei einer gewinnbasierten Gewichtung von ursprünglich 70 auf etwa 40% verringern. Bei dieser Größenordnung wären in globalen Portfolien wieder echte Diversifizierung und signifikante überzeugungsbasierte Benchmark-Abweichungen möglich.
Aufbruchstimmung in Europa
Um von den aktuell sich häufenden Zeitenwenden nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu werden und bei weltweiten Aktieninvestments die Abhängigkeit von den USA zu verringern, täten Anleger gut daran, traditionelle Index-Gewichtungsschemata in Frage zu stellen. Eine gewinnbasierte Gewichtung könnte ein erster Schritt sein. Ohnehin erleben wir derzeit eine Aufbruchstimmung in Europa, die zu einem lange nicht mehr beobachteten Phänomen geführt hat: eine Outperformance europäischer Aktienmärkte im Vergleich zu den USA. Derzeit geht die Fantasie somit eher Richtung MEGA statt MAGA – Make Europe Great (Again)!