Neubewertung nach Zoll-Abschluss

Japan-Aktien im unsicheren Höhenflug

Der plötzliche und unerwartet positive Abschluss der Zollgespräche mit den USA hat japanischen Aktien Auftrieb verliehen. Aber viele Unsicherheiten belasten den Ausblick für Investoren, von möglichen Zinserhöhungen bis zu einer Neubildung der Regierung.

Japan-Aktien im unsicheren Höhenflug

Japan-Aktien im unsicheren Höhenflug

Nach der Zolldeal-Rally erwarten Investoren Aufwärtsrevisionen der Gewinnprognosen und blicken auf den nächsten Zinsschritt der Bank of Japan

Der plötzliche und unerwartet positive Abschluss der Zollgespräche mit den USA hat japanischen Aktien Auftrieb verliehen. Insbesondere Autoaktien waren gefragt. Aber viele Unsicherheiten belasten den Ausblick für Investoren, von möglichen Zinserhöhungen bis zu einer Neubildung der Regierung.

mf Tokio

Nach der Bekanntgabe eines Zoll-Deals zwischen den USA und Japan markierten Japans große Aktienindizes am vergangenen Donnerstag neue Hochs. Der Nikkei 225 verfehlte mit einem Schlusskurs von 41.826 das Allzeithoch vom Juli 2024 um weniger als ein Prozent, der marktbreite Topix kletterte auf den Rekord von 2.978 Punkten. An den drei Tagen danach kam es dann zu Gewinnmitnahmen. Viele Investoren wurden vorsichtig. Einige Indikatoren, darunter Kursavancen ohne Umsatzanstieg, zeigten eine ähnliche Überhitzung wie vor dem Tokio-Crash im August 2024 an. Wie damals droht in den nächsten Wochen durch die Urlaube vieler Händler mehr Volatilität.

Die Kursrally spiegelte die Erleichterung darüber, dass der US-Einfuhrzoll für japanische Autos von bisher 27,5% auf 15% sinken und Japan unbegrenzt Autos einführen darf. Beide Zugeständnisse der US-Seite kamen unverhofft. Daher sprang der Kurs von Toyota um 14% nach oben, der größte Tagesgewinn seit 1987. Der weltgrößte Autobauer dürfte nun seine Jahresprognose vom Mai anheben, wonach der Nettogewinn um 35% zurückgehen soll. Auch nach dem Sprung wird die Toyota-Aktie günstig mit einem Kurs-Buch-Verhältnis von 1 und einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 8 gehandelt. Die Aktie der Softbank Group, der größte US-Investor aus Japan, kletterte nahezu unbemerkt auf ein Rekordhoch.

Fundament für längere Rally

„Die Voraussetzungen für eine längere Rally sind auf jeden Fall gegeben“, meinte Pelham Smithers vom gleichnamigen Aktienanalyse-Unternehmen. Schon in den 13 Wochen bis Ende Juni hatten ausländische Investoren japanische Aktien zugekauft. Die verbesserte Corporate Governance führt zu rekordhohen Ausschüttungen an Aktionäre. In diesem Jahr zahlen die Topix-Unternehmen 20 Bill. Yen (116 Mrd. Euro) an Dividenden. Über 900 Unternehmen kündigten bereits eine Erhöhung im neuen Geschäftsjahr an. Die Unternehmen im Prime-Marktsegment sitzen auf rekordhohen 112 Bill. Yen (651 Mrd. Euro) an Barreserven. M&A-Deals verdreifachten sich im ersten Halbjahr nach Nikkei-Daten auf 215 Mrd. Dollar.

Laut Ökonom Shinichiro Kobayashibei von Mitsubishi UFJ Reserach and Consulting beseitigt der Zoll-Deal die Unsicherheit vieler Unternehmen bei der Aufstellung ihrer Geschäftspläne. Doch für Investoren in Japan bleiben viele Unsicherheiten. Das Handelsabkommen mit den USA verhinderte zwar das schlimmste Szenario. Aber der künftige Zollsatz von 15% belastet Japans Autoindustrie laut Goldman Sachs Japan immer noch mit 1,9 Bill. Yen (11 Mrd. Euro) an Zusatzkosten.

Zollkosten schmälern Wachstum

Auch andere Exporteure müssen die 15% Zoll verkraften. Bei einem US-Exportvolumen von zuletzt knapp 142 Mrd. Dollar wie 2024 ergeben sich grob gerechnet 21 Mrd. Dollar an Zollkosten. Ökonom Takehide Kiuchi vom Nomura-Forschungsinstitut schätzt, dass auch der niedrigere Zollsatz die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr um 0,55 Prozentpunkte absenkt. Dazu kommt: Japanische Exporteure produzieren viel in Asien für den Export in die USA und müssen die teils höheren Zollraten dieser Länder bezahlen.

Das Wachstum der japanischen Wirtschaft hängt auch davon ab, ob die Weltwirtschaft durch die US-Zölle und den Umbau vieler Lieferketten abbremsen wird. Und selbst wenn Japans Wirtschaft stärker wächst und die Exporte ihre jüngste Delle überwinden, rücken die Zinsen wieder auf die Tagesordnung. Daher richtet sich Anlegerblick zunächst auf die nächste geldpolitische Entscheidung der Notenbank am Donnerstag dieser Woche.

Bank of Japan bleibt vorsichtig

Praktisch kein Analyst rechnet mit einer sofortigen Anhebung des Leitzinses, aber man wird die Aussagen der Bank of Japan und ihres Gouverneurs Kazuo Ueda auf das Timing des nächsten Zinsschrittes abklopfen. Bisher begründete er die Zurückhaltung der Bank of Japan (BoJ) mit den möglichen Konjunkturfolgen von hohen Zöllen. Der Zollabschluss sei ein „großer Schritt vorwärts“, meinte BoJ-Vizegouverneur Shinichi Uchida vergangene Woche und schürte damit die Erwartung, dass die nächste Erhöhung bald kommen könnte.

Die relative Mehrheit der Analysten erwartet die nächste Anhebung um 0,25 Punkte auf 0,75% bisher im ersten Quartal 2026. Oxford Economics gehen davon aus, dass die BoJ wegen der „düsteren Wirtschaftssichten und der steigenden politischen Unsicherheit“ vorsichtig bleiben wird. NordLB-Analyst Tobias Basse kommentierte in eine ähnliche Richtung: „Kurzfristig wird die BoJ Details genauer analysieren wollen, aber im Laufe des Jahres sollten vorsichtige Zinserhöhungen möglich sein", schrieb Basse. „Solange höhere Zinsen von sich verbessernden Firmengewinnen begleitet sind, werden japanische Aktien weiter steigen", meinte Nomura-Stratege Maki Sawada, der den Nikkei bei 40.000 unterstützt sieht.

Bisher kalkulierten viele Unternehmen ihre Gewinnprognosen auf der Basis einer leichten Aufwertung des Yen zum Dollar. Seit dem Jahreswechsel hat sich die japanische Währung um über 9% auf 148 Yen je Dollar verteuert, zum Euro wertete sie auf 173 Yen um 6% ab. Toyota kalkulierte ihre Jahresprognose mit 145 Yen/Dollar und 160 Yen/Euro. Steigende Zinsen in Japan und Zinssenkungen in den USA würden dem Yen weiteren Auftrieb zum Dollar verleihen, was die Gewinne belasten würde. Dan Hurley von T. Rowe Price schätzt den fairen Wert des Yen gegenüber dem Dollar auf 120 bis 140.

Wechselt der Regierungschef?

Auch die Politik sorgt für Unsicherheit. Premierminister Shigeru Ishiba regiert seit der Oberhauswahl am 20. Juli ohne Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Viele Beobachter erwarten seinen Rücktritt in den nächsten Wochen, ohne dass sich bisher ein Favorit für seine Nachfolge herausschälte. Ishiba selbst beharrte zuletzt darauf, im Amt zu bleiben. Dafür müsste er aber wohl die von der Opposition geforderten Steuersenkungen als Inflationsausgleich akzeptieren und sein Versprechen einer Barzahlung von 20.000 Yen (116 Euro) je Bürger brechen. Die notwendige höhere Neuverschuldung dürfte die Renditen langlaufender Staatsanleihen wie schon vor der Wahl erneut nach oben treiben. „Ein Anstieg der 10-jährigen Rendite auf 1,7-1,8% könnte den Aktienmarkt negativ beeinflussen“, meinte Yutaka Miura vom Brokerhaus Mizuho.

Die Börse könnte Ishibas Abgang durchaus feiern, falls es die Aussicht gibt, dass sein Nachfolger eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik vertritt. Ishiba dagegen neigt dazu, Verteilung und Umwelt vor Wachstum zu priorisieren, und sympathisierte mit den Lehren von Karl Marx, wie er es selbst in seinem Buch „Ein konservativer Politiker” im vergangenen Jahr schrieb. Nach seiner unerwarteten Wahl an die Spitze der Dauerregierungspartei LDP rückte er von dieser Linie ab, verzichtete aber auch, anders als der „Neue Kapitalismus“ seines Vorgängers Fumio Kishida, auf eine Strategie für mehr Wachstum und Firmengewinne.