„Japans Realzinsen sind weiter negativ“
Im Interview: Oleg Kapinos
„Japans Realzinsen sind weiter negativ“
Stratege von Asset Management One: Aktive Investitionen bevorzugt – Corporate Governance eröffnet Chancen – Nächster Leitzinsschritt nahe März 2026
Auch japanische Aktien haben im zweiten Quartal stark aufgeholt. Die Rückkehr der Inflation, die Normalisierung der Geldpolitik und die Anstrengungen in der Corporate Governance sprechen für eine aktive Aktienauswahl, meint Oleg Kapinos von Asset Management One, mit 468 Mrd. Dollar einer der größten Vermögensverwalter Japans und Teil der Finanzgruppe Mizuho.
Herr Kapinos, nach dem Einbruch im April erholten sich Nikkei 225 und Topix stark, liegen aber anders als der S&P 500 und Nasdaq noch unter ihren Rekordhochs vom Vorjahr. Wieso?
Es herrscht Unsicherheit, wie die Zollgespräche ausgehen. Auch war das BIP-Wachstum im ersten und wohl auch im zweiten Quartal negativ. Die Fundamentaldaten der Unternehmen sehen aber positiver aus. Wir erwarten ein Gewinnplus von 8,9% für 2025 und 9,7% für 2026, basierend auf ihren Prognosen zum neuen Geschäftsjahr (seit 1.4.). Den Topix sehen wir bei 2.800 am Jahresende, das entspricht einem Nikkei 225-Niveau von 38.640. Derzeit liegen wir aber schon klar darüber.
Die Dollar-Schwäche könnte die Kapitalströme weg von den USA lenken. Europa scheint ein Nutznießer zu sein. Wie sieht es mit Japan aus?
Es findet definitiv eine Umverteilung statt. Alle reden davon, dass niemand seine US-Allokation erhöhen will. Die Frage ist, ob man sie beibehält oder reduziert. Im passiven Bereich können Investoren schneller umschichten, es gab einen deutlichen Zufluss nach Indien, aber nur vorübergehend. Bei aktiv verwalteten Aktien sehen wir noch keine klaren Trends. In Japan geht es eher um aktive als passive Aktieninvestitionen, die wir bevorzugen, wegen der Corporate Governance und dem zunehmenden Aktivismus. Aber um auf ein aktiv verwaltetes Portfolio umzusteigen, müssen Anleger einen Due-Diligence-Prozess für das Management durchlaufen. Und das dauert zwischen drei und sechs Monaten.
Welche Rolle spielt die Rückkehr der Inflation nach Japan bei Ihren Prognosen?
Die Inflation in Japan hält im Gegensatz zu vielen anderen Ländern weiter an. Für die Verbraucher ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht. Aber für die Unternehmen ist es sinnvoll, ihr Geschäftsmodell anzupassen. Sie können die vielen Barmittel in ihrer Bilanz nicht mehr rechtfertigen, also investieren sie mehr oder schütten mehr an ihre Aktionäre aus. Auch akzeptieren die Japaner wieder steigende Preise, so dass die Marge steigt. Im Großen und Ganzen ist Inflation für den Aktienmarkt positiv.
Wie beeinflusst der US-Einfuhrzoll von 25% für Autos und Autoteile die Aktienkurse?
Unsere Gesamtprognose für den Automobilsektor ist recht negativ. Bis zu 30% von Japans Exporten haben in irgendeiner Weise mit Autos zu tun. Am stärksten betroffen sind die Autohersteller, dann die Zulieferer und Motorenhersteller. Und für die meisten von ihnen wird es schwierig werden. Es gibt einige Autobauer, die in den USA einen bedeutenden Umsatz erzielen, aber nicht viel vor Ort produzieren. Sie werden sehr stark betroffen sein.
Die Bank of Japan normalisiert ihre Geldpolitik, aber seit dem Frühjahr stoppt sie damit. Wie geht es weiter?
Wenn man auf die Realzinsen blickt, stellt man fest, dass wir effektiv noch im Negativzinsbereich sind. Wir haben immer noch eine Lockerung statt einer Straffung der Geldpolitik. Die Bank of Japan hat also einen erheblichen Anreiz, die Zinsen anzuheben. Der Grund, warum sie dies in letzter Zeit nicht getan hat, liegt offensichtlich in der Unsicherheit aufgrund der von den USA eingeführten Zölle. Der Marktkonsens scheint zu sein, dass die nächste Anhebung zwischen Januar und März nächsten Jahres erfolgen wird. Auch wir sehen den Schritt näher an März 2026.
Die Realzinsen steigen aber auch bei fallender Inflation.
Niemand hat eine Kristallkugel. Wir glauben, dass die längerfristige Komponente, die die Inflation antreibt, das Lohnwachstum ist. Ein Grund ist die Bevölkerungsstruktur. Den Älteren kurz vor der Rente sind höhere Löhne egal, aber die Jüngeren, die in den Arbeitsmarkt streben, erwarten viel höhere Löhne. Mit der Zeit wird der Aufwärtsdruck bei Löhnen aufgrund des Arbeitskräftemangels noch zunehmen.
Im Rahmen ihrer Normalisierung kauft Japans Zentralbank auch weniger Staatsanleihen (JGBs). Auf diesem Markt sank kürzlich die Nachfrage nach langlaufenden JBGs. Das könnte sich auf die Kreditaufnahme der Regierung auswirken. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorge?
Wir sollten diese beiden Themen trennen. Unser Team hat den Renditeanstieg am langen Ende untersucht. Es handelt sich um eine Verzerrung von Angebot und Nachfrage, die nichts mit der Staatsverschuldung zu tun hat. Es stimmt, dass die Lebensversicherer nicht mehr so viel wie üblich kaufen wollen. Aber das Finanzministerium wird die Laufzeitstruktur der JGBs ändern, es wird also weniger dieser Langläufer geben.
Die Bank of Japan kauft praktisch keine Indexfonds auf Nikkei und Topix mehr. Auf die Ausländer als Käufer ist kein Verlass. Was kann also die Kurse treiben?
Ein Faktor, der stetig zunimmt, sind die Aktienrückkäufe durch die Unternehmen selbst. Das letzte Geschäftsjahr war mit großem Abstand ein Rekordjahr für den Gesamtbetrag der Aktienrückkäufe, ebenso wie das Jahr zuvor. Im neuen Geschäftsjahr übertrifft das Tempo der Aktienrückkäufe bereits jetzt das des letzten Jahres. Der allgemeine Trend ist also sehr positiv und der tatsächliche Betrag steigt. Das ist ein sehr wichtiger Faktor für den Markt, der tendenziell die Preise stützt.
Die Dollar-Schwäche hat auch den Yen gestärkt, aber zum Euro hat der Yen abgewertet. Lähmt die Schwäche europäische Japan-Anleger?
Im Moment spielt sie keine bedeutende Rolle, da der Yen sich nicht genug bewegt hat, um einen Unterschied zu machen. Ausländische Investoren blicken jedoch nach vorne. Einige der größeren Investoren neigen dazu, sich in japanischen Yen zu engagieren und dann auf ihrer Seite eine Absicherung vorzunehmen. Ein anderer Ansatz wäre, in eine abgesicherte Anteilsklasse zu investieren, zum Beispiel in einen Fonds, der in japanische Aktien investiert. Aber manche Leute neigen dazu, einfach direkt in japanische Yen zu investieren, weil man den Wechselkurs nicht einschätzen kann.
Die Anstrengungen für eine bessere Corporate Governance – der Kodex wurde gerade 10 Jahre alt – war ein Hauptgrund für Japans starke Aktienrally ab dem Frühjahr 2023. Trägt die Governance immer noch als Kaufargument?
Die Corporate Governance in Japan ist nicht großartig, aber die Richtung ist positiv. Darin liegt auch eine gute Auswahlchance für Investoren. Wer Unternehmen, die das ernst nehmen und sich zu ändern versuchen, identifizieren kann, der erhält ein erhebliches Aufwärtspotenzial. Die vermehrten Unternehmensskandale sind paradoxerweise ein Reformergebnis. Früher gab es auch solche Probleme, aber sie sind erst gar nicht bekannt geworden. Gerade weil der Druck der Aktionäre viel größer geworden ist, müssen die Unternehmen diese Probleme offenlegen. Es ist ganz klar, dass der allgemeine Trend zu einer deutlich aktionärsfreundlicheren Politik geht.
Die Börse arbeitet ja mit einer Positivliste von Unternehmen, die tatsächlich einen Aktionsplan für einen Kurs-Buch-Wert über 1 vorgelegt haben. Damit will man die Unternehmen, die nicht auf der Liste stehen, beschämen. Funktioniert das wirklich?
Ich denke schon. Ich selbst habe 15 Jahre lang in Japan gelebt und komme ziemlich oft dorthin. Ich glaube, dass diese kulturelle Komponente im Westen unterschätzt wird, weil es eine ganz andere Kultur ist und es etwas sehr, sehr Schlimmes ist, sein Vertrauen zu verlieren. Amerikaner verstehen das einfach nicht, Europäer ein bisschen besser, aber immer noch nicht ganz. Dazu kommt, dass die Unternehmen ins neue Prime Segment wollen, dafür brauchen sie ebenfalls einen Kurs-Buch-Wert über 1.
Welche Sektoren halten Sie derzeit für attraktiv?
Viele unserer Portfoliomanager sind vom Finanzsektor begeistert. Die Zinsen steigen. Die Spreads zwischen langfristigen und kurzfristigen Zinsen werden größer, was beispielsweise für Banken gut ist. Wir haben auch einige interessante Ideen im Versicherungssektor, wo einige Unternehmen ebenfalls recht gut abschneiden. Weniger intuitiv sind ausgewählte Unternehmen im Baugewerbe. Es gibt eine große Nachfrage nach Bauleistungen und es herrscht Arbeitskräftemangel. Währenddessen sind im Halbleiter- und IT-Sektor die Bewertungen bereits tendenziell hoch.
Das Interview führte Martin Fritz. In voller Länge lesen Sie das Interview unter www.boersen-zeitung.de.
Zur Person: Oleg Kapinos ist Head of Global Distribution Strategy bei Asset Management One International am Standort London. Asset Management One ist mit 468 Mrd. Dollar AUM einer der größten Vermögensverwalter Japans für Pensionsfonds wie Retailanlegern und Teil der Finanzgruppe Mizuho. Vorher arbeitete Kapinos in einer ähnlichen Funktion für Tokio Marine Asset Management. Kapinos ist Absolvent der Hitotsubashi-Universität in Tokio, CAIA-Charterholder und spricht fließend Japanisch.