IM GESPRÄCH: TALIB SHEIKH, JUPITER ASSET MANAGEMENT

Jupiter setzt auf europäische Aktien

Assetmanager sieht solides langfristiges Wachstum - Sorge vor Fiskalklippe in den USA

Jupiter setzt auf europäische Aktien

Der Vermögensverwalter Jupiter sieht einen bedeutenden Wandel an den Aktienmärkten der Eurozone. Talib Sheikh, Leiter Multi-Asset-Strategie, ist für die Titel aus der Währungsgemeinschaft erstmals seit fünf Jahren optimistisch. Gefahren für die Märkte drohen indes durch die vertrackte US-Haushaltspolitik.Von Alex Wehnert, FrankfurtNach Ansicht von Talib Sheikh, Leiter Multi-Asset-Strategie beim Vermögensverwalter Jupiter, befinden sich die Aktienmärkte an einem potenziell bedeutsamen Wendepunkt. “Nach dem Coronacrash haben US-Aktien und insbesondere Tech-Titel die Rally angeführt – nun ziehen einige weitere Regionen kräftig an”, sagt er.Besonders bemerkenswert sei die Entwicklung Europas: Zum ersten Mal seit fünf Jahren ist Sheikh nach eigener Aussage für Aktien aus der Eurozone optimistisch gestimmt. Im Vergleich zu Anleihen der Peripheriestaaten böten Aktien aus der Währungsgemeinschaft attraktive Aussichten, zudem hätten sie gegenüber US-Dividendenpapieren in den vergangenen Wochen eine Outperformance hingelegt. Die Eurozone habe einen Wandel von einem hauptsächlich durch politische Unterstützung getriebenen Markt zu einem Segment mit solidem langfristigen Wachstumspotenzial vollzogen. Signifikanter Schritt vorwärtsDabei blieben politische Entwicklungen aber weiterhin wichtig. “Die bisher erzielten Einigungen bezüglich gemeinsamer EU-Finanzhilfen stellen für die Bekämpfung der Krise einen signifikanten Schritt vorwärts dar”, kommentiert Sheikh, der sowohl den Jupiter Flexible Income Fund als auch den Jupiter Flexible Macro Fund leitet. Gegenüber den Jahren der Staatsschuldenkrise, als über ein Ende der Eurozone spekuliert worden sei, zeige sich somit ein vollständig anderes Bild.Zudem sei das Volumen geld- und fiskalpolitischer Stützungsmaßnahmen im Vergleich zu vergangenen Krisen deutlich höher. “Dass die nach 2008 entstandene Idee, Regierungen seien der Austerität verpflichtet, derzeit keine Anwendung findet, stimmt uns optimistisch für die Märkte”, sagt Sheikh. Im zweiten Halbjahr dürften im Zuge einer allgemein anziehenden Konjunktur dann auch die Aktien der Schwellenländer wieder stärker im Fokus stehen.Zwar sei das Virus als Risiko für die Rally der Aktienmärkte weiterhin nicht zu vernachlässigen, Ängste bezüglich der Auswirkungen einer zweiten Infektionswelle hält Sheikh momentan aber für übersteigert. Der jüngste Anstieg der Zahlen in den USA habe aktuelle Konjunkturdaten nur in geringem Umfang beeinflusst.Während einige Marktbeobachter sich vor einem erneuten Hochkochen der handelspolitischen Spannungen zwischen Washington und Peking sorgen, erachtet Sheikh die tatsächliche Bedrohung durch den Konflikt als überschaubar. “Es liegt im Interesse keiner der beiden Seiten, den Streit jetzt eskalieren zu lassen – schon gar nicht in dem der USA, die auf die Präsidentschafts- und Kongresswahlen zugehen”, sagt der Portfoliomanager. Vertrackte HaushaltspolitikBesorgniserregender sei die Möglichkeit einer Fiskalklippe in den Vereinigten Staaten. Dieser Begriff bezeichnet ein Auslaufen von Steuersenkungen bei zeitgleichen durch die Budgetkontrolle mandatierten Ausgabenkürzungen der öffentlichen Hand. Ein solches Zusammenspiel würde nach Befürchtungen von Ökonomen zu reduzierten Konsumausgaben, einer steigenden Arbeitslosigkeit und einem geschwächten Verbraucher- und Investorenvertrauen führen. “Das Hilfsprogramm der US-Regierung zur Kreditvergabe an kleine Unternehmen läuft nun aus, zeitgleich wird noch immer über neue Fiskalpakete debattiert”, sagt Sheikh. Die Wahrscheinlichkeit einer Fiskalklippe liege aktuell bei 15 bis 20 %. Zwar wollten weder Demokraten noch Republikaner ein solches Szenario, doch die US-Haushaltspolitik könne sehr vertrackt sein und unterliege gerade in einem Wahljahr politischen Machtkämpfen.Der bei den Buchmachern favorisierte Wahlausgang, ein Einzug Joe Bidens ins Weiße Haus bei einem gleichzeitigen demokratischen Sieg in beiden Kongresskammern, könnte bei den Anlegern laut Sheikh kurzfristig für Verunsicherung sorgen. Spekulationen über eine stärkere Regulierung der US-Unternehmen und ein Zurückfahren der von Präsident Donald Trump eingeführten Steuererleichterungen nach der Wahl sieht Sheikh als übertrieben an. “Wir befinden uns immer noch in einer fragilen Marktlage – auch eine eventuelle neue Administration wäre daher angehalten, die fiskalpolitische Unterstützung aufrechtzuerhalten”, führt er aus. Das politische Gewinnpotenzial durch Regulierungsmaßnahmen und höhere Steuern sei auch für Biden zu gering.Angesichts des fiskalpolitischen Umfelds sieht Sheikh trotz hoher Bewertungen auch in US-Technologiewerten noch Potenzial. “Und auch in Europa und Asien gibt es viele Titel aus dem Sektor, die sich auf eine lange Laufzeit als unglaublich profitabel gezeigt haben”, sagt der Fondsmanager. Der Zeitpunkt, an dem Bewertungen zu einer bindenden Beschränkung würden und eine Rotation von Growth zurück zu Value erfolge, sei angesichts der negativen Zinssätze noch ein gutes Stück entfernt. So sei auch der Zeitpunkt, zu dem sich die Notenbanken aus dem Markt zurückzögen, noch nicht absehbar. Ohnehin sei es derzeit sehr schwierig, neue Kaufprogramme wieder einzustellen.Statt aggressiver Antriebsmaßnahmen gingen Währungshüter weltweit zur Pflege und Instandhaltung der Märkte über. Dies stimmt Sheikh bezüglich der Entwicklung des Unternehmensanleihemarkts insgesamt optimistisch. Gerade die Fed sei im Investment-Grade-Bereich nach wie vor sehr aktiv und engagiere sich nun auch bei Hochzins-Bonds. Besonders attraktiv sind laut Sheikh im Vergleich Unternehmensanleihen aus Schwellenländern. “Diese sind zwar nicht risikofrei, bieten Anlegern in einer nach Renditen hungernden Welt aber auch eine gute Kompensation”, kommentiert der Stratege. Auch Exporteure aus Emerging Markets, die eigentlich über eine relativ hohe Bonität verfügten, seien im Verlauf der Krise unter Verkaufsdruck geraten. Nachdem viele Investoren Risiken in ihren Portfolios abgebaut hätten, böten sich bei Schwellenländer-Corporates gute Einstiegschancen – Sheikh selbst hat die Titel des Segments in seinem Flexible Income Fund nach eigener Aussage mit knapp unter 10 % allokiert. Zudem hätten Anleger im Segment die Chance, sich diversifizierter aufzustellen als bei Staatsanleihen der Emerging Markets. Strukturell hoher GoldbedarfDie schwierige Suche nach Diversifikation habe den Drang der Anleger in Edelmetalle, vor allem Gold, zuletzt deutlich angekurbelt. Der Einbruch der physischen Nachfrage werde dabei durch eine scheinbar unstillbare Investmentnachfrage ausgeglichen. Dies werde von strukturellen Faktoren angetrieben, daher könne das Edelmetall auch bei Niveaus von über 1 800 Dollar pro Feinunze noch Preisanstiege verzeichnen. Und der Beginn der indischen Hochzeitssaison sowie weltweit anziehende Konjunkturdaten dürften auch die globale physische Nachfrage wieder ankurbeln. In seinem Flexible Macro Fund hält der Manager mittlerweile einen beträchtlichen Anteil an Gold und hat erstmals auch Silber aufgenommen.