Lateinamerikas Börsen von US-Wahl wenig bewegt
Von Sandro Benini, Mexiko-Stadt”Unter den Investoren herrscht Erleichterung darüber, dass die Wahlen in den USA einen klaren Sieger hervorgebracht haben und es nicht zur befürchteten Zitterpartie wie im Jahre 2000 gekommen ist”, hat am Mittwoch ein Analyst in SÒo Paulo gesagt. Dennoch eröffneten die lateinamerikanischen Börsen am Tag nach der Wahl schwächer, was allerdings nichts mit dem Urnengang in den USA, sondern mit Gewinnmitnahmen sowie mit der Enttäuschung über die jüngsten Zahlen zur deutschen Industrieproduktion zu tun hatte. Zu erheblichen Währungsschwankungen kam es nicht.Seit Jahresbeginn hat der mexikanische IPC-Index um rund 12 % zugelegt; die ansprechende Performance ist maßgeblich auf die soliden Wachstumsprognosen von jeweils 4 % für das laufende sowie für das kommende Jahr zurückzuführen. Der brasilianische Bovespa-Index hingegen bewegte sich seit Januar 2012 praktisch nicht, während die jüngsten Wachstumsprognosen für Lateinamerikas größte Volkswirtschaft gerade noch bei 1,5 % liegen. Gründe für das Stottern des Motors sind die geringere chinesische Nachfrage nach Rohstoffen sowie die steigende Verschuldung der Privathaushalte, was wiederum die Wirksamkeit konjunkturankurbelnder Maßnahmen stark dämpft.Die US-Wahlen haben die Börsen Lateinamerikas während der vergangenen Wochen kaum bewegt. Die Mehrheit der Kommentatoren ging davon aus, dass sich an den Beziehungen des Subkontinents zu den USA sowohl politisch als auch ökonomisch wenig ändern würde, unabhängig vom künftigen Präsidenten der Supermacht. Vielmehr herrschte eine gewisse Enttäuschung darüber, dass Lateinamerika in den drei Streitgesprächen zwischen dem amtierenden US-Präsidenten Barack Obama und Mitt Romney nur gerade zwei Mal erwähnt wurde. Die lateinamerikanischen Staaten fordern, die USA sollten ihnen mehr Beachtung schenken, allein schon aus ökonomischen Gründen. Denn alles in allem hat die Weltregion erfolgreiche Jahre hinter sich, und die vielerorts wachsende Mittelschicht schafft einen zunehmend wichtigeren Absatzmarkt für US-Produkte. “Weder der republikanische noch der demokratische Kandidat hat betreffend Lateinamerika oder Brasilien ein klares, detailliertes Projekt”, so der brasilianische Politologe Ariel Finguerut.Für Mexiko sind die USA der wichtigste Handelspartner, fließen doch rund 80 % der Exporte in die Staaten. Zwischen 2005 und 2011 hat sich in den USA der Anteil mexikanischer Importe am Gesamtvolumen von 11 % auf 14,2 % gesteigert, während jene Chinas in den letzten drei Jahren von 29,3 % auf 26,4 % gefallen sind. Trotz schwerwiegender Probleme wie der überbordenden Kriminalität vermochte Mexiko seine Wettbewerbsfähigkeit in den letzten Jahren zu steigern, gerade was das Lohnniveau verglichen mit China betrifft. Waren mexikanische Löhne im verarbeitenden Sektor laut einer Studie der Bank HSBC vor einem Jahrzehnt noch viermal höher als chinesische, beträgt der Unterschied heute noch knapp 30 %. Die geografische Nähe zum nach wie vor größten Konsummarkt der Welt ist aus der Sicht ausländischer Unternehmen ein weiterer Standortvorteil.Brasiliens wichtigster Handelspartner sind seit 2009 nicht mehr die USA, sondern China. Die Beziehungen zwischen der größten lateinamerikanischen Volkswirtschaft und den USA Staaten sind seit längerer Zeit angespannt – ökonomisch, weil sich die beiden Länder gegenseitig vorwerfen, protektionistische Maßnahmen zum Schaden des jeweils anderen zu treffen. Politisch, weil Obama sich gegenüber dem brasilianischen Wunsch nach einem permanenten Sitz im UNO-Sicherheitsrat ebenso taub stellt wie gegenüber dem Ansinnen, brasilianische Touristen künftig visumfrei einreisen zu lassen.