Ohne Rücksicht auf Verluste der Lira
Von Ronald Schneider*)
Ohne Rücksicht auf weitere Verluste (und gegen die Erkenntnisse der Wissenschaft) fordert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan unaufhörlich die Senkung der Leitzinsen und hat dadurch die bereits massiv geschwächte Landeswährung vergangene Woche neuerlich in Bedrängnis gebracht. Seit Beginn des Jahres hat die türkische Lira nahezu die Hälfte ihres Wertes (rund 45%) verloren.
Mit seiner unorthodoxen Ansicht, dass die hohe Inflation zurückgehe, wenn die Leitzinsen gesenkt werden, und so auch Investitionen angekurbelt, Wirtschaftswachstum generiert und die Beschäftigung erhöht werden könne, sorgt Erdogan schon seit längerem für eine negative Entwicklung der Währung und für Unruhe am Finanzmarkt. Das ist insbesondere deshalb der Fall, weil diese Ansicht Erdogans mit starkem Druck auf die Notenbanker verbunden ist, die Zinsen zu senken. Wer an der Spitze der Zentralbank dieser Vorgabe nicht Folge leisten will bzw. dies nicht tut, wird kurzerhand vom Präsidenten entlassen. Eine Erfahrung, die der frühere Gouverneur der Türkischen Zentralbank, Naci Agbal, machen musste, als er im März die Zinssätze erhöht hatte. Vom Zorn Erdogans getroffen wurden auch Mitglieder des Geldpolitischen Rates. Sie hatten sich gegen eine Senkung der Zinssätze gestellt.
Inzwischen hat die Notenbank die Leitzinsen der Türkei trotz anhaltend hoher Inflation und steigender Inflationserwartungen wiederholt gesenkt, was ihrer Glaubwürdigkeit schweren Schaden zugefügt und die Währung in einen regelrechten Sinkflug gestürzt hat. Dass das in der Hauptsache dem Rückzug internationaler Investoren und dem Abzug ihrer Investments geschuldet ist, darf allerdings bezweifelt werden, denn diese haben sich schon vor längerem aus dem instabilen und volatilen Markt zurückgezogen. Vielmehr dürfte der Verfall der Lira mit dem großen Vertrauensverlust der Türken selbst in ihre Währung zusammenhängen. Die realen Zinsen sind nach der letzten Zinssenkung mit 15% und einer Inflation von 20% deutlich negativ. Die schwächere Währung und der Energiepreisanstieg lassen nicht erwarten, dass die Inflation in nächster Zukunft signifikant zurückkommen wird. Bei so einer Verzinsung ist es für die türkische Bevölkerung wenig attraktiv, Lira zu halten. Vielmehr versuchen sie, ihre Ersparnisse in US-Dollar zu wechseln und anzulegen. Die Einlagen der Banken auf Dollar-Deposits sind daher entsprechend hoch – ebenso das Risiko, dass weiter in US-Dollar gewechselt wird.
Internationale Banken haben sich weitgehend aus dem Markt zurückgezogen. Einzige nennenswerte Ausnahme ist die spanische BBVA, die jüngst mit der Ankündigung überrascht hat, ihren Anteil an einer türkischen Bank zu erhöhen. Auch andere Investoren bleiben der Türkei momentan lieber fern. Ein Umstand, der zumindest für den Präsidenten des Landes kein Problem zu sein scheint. Und auch mit der schwachen Währung scheint Erdogan gut klarzukommen. Entgegen bisherigen Episoden, wo Währungsstress dazu geführt hat, dass die kurzfristigen Zinsen in Erwartung einer Zinsreaktion – sprich Zinsanhebungen – stark angezogen haben, passiert jetzt nichts, das in diese Richtung weist. Für Investoren ist das sehr unangenehm. Denn wenn eine Währung abwertet, steigen im Normalfall auf der anderen Seite die Zinsen. Doch in diesem Fall ist auch das nicht der Fall. Gleichzeitig ist die Volatilität hoch. Ein Cocktail, der wenig Lust auf Investments macht.
Für die Türkei hat sich jedenfalls die Leistungsbilanz verbessert. Die Auslandsverschuldung, die refinanziert werden muss, betrifft vor allem den Corporate-Sektor der Banken. Doch auch hier scheint der Stress noch überschaubar zu sein. Auch die Wirtschaftsentwicklung hat sich unter all den Widrigkeiten überraschend gut gehalten.
Doch wie geht es weiter? Nach orthodoxer Vorgehensweise müssten zur Stabilisierung der Währung die Zinsen nun deutlich, um 8 bis 10%, angehoben werden. Dass es dazu kommen wird, ist im Lichte der jüngsten Entwicklungen eher unwahrscheinlich, noch dazu wurden bereits weitere Zinssenkungsschritte im Ausmaß von 50 bis 100 Basispunkten angekündigt, also auf 14 oder 14,5%. Allerdings dürfte dieser Schritt wohl der letzte in diese Richtung sein und ein Zinszykluswechsel danach sehr wahrscheinlich. Natürlich besteht auch noch die Möglichkeit, die Inflation mit anderen zielgerichteten, administrativen Maßnahmen in den Griff zu bekommen. So wurde in Anbetracht steigender Energiepreise zuletzt die Steuer auf Benzin ausgesetzt. Auch wurden Strafen für ungerechtfertigte Preiserhöhungen angekündigt. Ein weiteres Instrument wäre, Devisenkäufe zu beschränken. Zur Stabilisierung der Währung hat die Notenbank erstmals seit längerer Zeit ihre Devisenreserven eingesetzt, um direkt am Devisenmarkt zu intervenieren.
Hoher Kaufkraftverlust
Wie aussichtsreich diese Maßnahmen sind oder sein werden, bleibt abzuwarten. Die Aussichten für die Währung sind nicht sehr gut, sofern man sich nicht zu einem Politikwechsel durchringt. Erdogan hat in der Vergangenheit schon öfters bewiesen, dass er recht schnell seine Meinung ändern kann, wenn es sein muss. Die Bevölkerung leidet aufgrund des Kaufkraftverlustes massiv unter der aktuellen Situation. In Umfragen ist die Regierungskoalition im Sinkflug. Der politische Druck wird sich weiter aufbauen. Auch die Tatsache, dass die Fed Liquidität zurückfahren und möglicherweise die Zinsen erhöhen wird, kommt der Türkei nicht gerade zupass. Ob Erdogan unter diesen negativen Bedingungen an seinem Kurs festhalten kann und wird, bleibt ungewiss. Sicher ist, dass die Türkei Stabilität braucht, um für Investoren wieder interessant zu sein.
*) Ronald Schneider ist Leiter Anleihen, CEE & Global Emerging Markets bei Raiffeisen Capital Management.