Smart Beta: Passives Investieren für Fortgeschrittene
Von Martin WeithoferDer ETF-Markt wächst weiter rasant, weltweit ist bereits die 2-Bill.-Dollar-Grenze überschritten. Der europäische Markt peilt die 300-Mrd.-Euro-Marke an. Was sind die nächsten Wachstumstreiber? Der nächste Schub könnte aus dem Bereich der Smart-Beta-Indizes kommen. In Europa steht dieser Trend erst ganz am Anfang.Börsengehandelte Indexfonds oder Exchange Traded Funds auf klassische Indizes gehören mittlerweile für professionelle Investoren zum Alltag. Ob Versicherung, Pensionskasse oder Private Banking, die Verantwortlichen schätzen es, über ETF schnell und effizient in einen Markt zu investieren. Aber die Entwicklung ist nicht stehen geblieben. Künftige Wachstumschancen sehen Experten neben ETF auf klassische Indizes bei passiven Produkten, die Indizes mit zusätzlichen oder abweichenden Regeln abbilden. Solche Indizes werden als Smart Beta bezeichnet. “Smart” bedeutet dabei so viel wie die Weiterentwicklung von herkömmlichen Marktindizes, die traditionell nach der Marktkapitalisierung der Indexmitglieder gewichtet werden. Die Idee dahinter ist, dass die Gewichtung nach dem Börsenwert vergangenheitsorientiert ist, da dabei gewissermaßen die “Gewinner der Vergangenheit” hoch gewichtet werden, die ihre Aufstiegsphase schon hinter sich haben.Smart-Beta-ETF bilden regelbasierte Strategien ab, ohne dass Anleger dabei auf die Vorteile börsennotierter Indexfonds, deren Objektivität, Transparenz und niedrige Kosten verzichten müssen. Beispielsweise gewichten sie die Indexmitglieder nach alternativen Kriterien. Ein vergleichsweise einfaches Beispiel ist ein ETF auf den S & P 500 Equal Weight Index, bei dem die 500 Aktien im Index gleich gewichtet sind. So werden Klumpenrisiken vermieden, wenn phasenweise Aktien einer bestimmten Branche eine hohe Gewichtung im Original-Index stellen. Diese Änderung reicht bereits aus, damit der gleich gewichtete Index langfristig schwankungsärmer als der ursprüngliche S & P 500 Index verläuft. AbsicherungEine andere Möglichkeit sind Smart-Beta-Indizes, die eine Absicherung gegen Zins- oder Währungseffekte bieten. Hier steht im Vordergrund, Investoren einen zusätzlichen Service zu bieten. Sicherlich könnte ein Investor über geeignete Finanzmarktinstrumente, die er zusätzlich zum Index-Investment kauft, einen ähnlichen Effekt erreichen. Aber dies ist deutlich aufwendiger, als in ein Produkt zu investieren, das direkt beispielsweise die Entwicklung eines währungsgesicherten Index abbildet.Wichtig ist dabei zu verstehen, dass Smart-Beta-Indizes keine Überrendite gegenüber klassischen Indizes versprechen, dies würde höhere Risiken bedeuten. Aber sie können eine Entwicklung mit geringerer Schwankungsbreite oder eine deutlich geringere Abhängigkeit von der Entwicklung traditioneller Anlageklassen (geringere Korrelation) bieten. Indizes, die eine Alternative zu der traditionellen Börsenwertgewichtung bieten, gibt es sogar schon länger. Die CROCI-Indizes (Cash Return on Capital Invested) der Deutschen Bank werden seit 1996 berechnet, die RAFI-Indizes von Research Affiliates seit 2002, um nur zwei Beispiele zu nennen. Bei beiden geht es im Prinzip darum, die Indexmitglieder nach verschiedenen fundamentalen Kennzahlen wie Cash-flow, Umsätzen und Gewinnen zu gewichten, aber eben nicht nach der Marktkapitalisierung. Low-Volatility-IndizesAber erst in den vergangenen Jahren haben Smart-Beta-Indizes bei Investoren ihren Durchbruch geschafft. In den USA sind zum Beispiel schon sogenannte Low-Volatility-Indizes weit verbreitet. Dies sind Indizes, in denen Aktien mit geringer Volatilität geführt werden oder in denen Wertpapiere mit niedriger Volatilität höher gewichtet sind. Mittlerweile interessieren sich auch in Europa vor allem große Kapitalsammelstellen wie Versicherungen, Pensionskassen oder Stiftungen für diese Smart-Beta-Lösungen. Auch für Vermögensverwalter oder Family Offices könnten sie als Core Investment attraktiv sein, das für eine verlässliche Rendite sorgt.Die Smart-Beta-Indizes werden ständig weiterentwickelt: Neu ist der Ansatz, passiv Risikoprämien in einem Index abzubilden und damit eine neue Risikostreuung zu ermöglichen. Als Risikoprämie wird der Ausgleich verstanden, den ein Anleger für das Eingehen bestimmter Risiken am Kapitalmarkt erhält. Dieses Thema spielt in der modernen Portfoliotheorie eine große Rolle, etwa für Value-Titel, Nebenwerte oder Aktien mit starkem Kursmomentum. Danach erhält der Anleger für diese Aktien eine Prämie gegenüber dem breiten Aktienmarkt.In der Vergangenheit gab es verschiedene Ansätze, um Renditen des aktiven Portfoliomanagements zu erklären. Durch das “Capital Asset Pricing Model” (CAPM) wurde in den sechziger Jahren eine Verbindung zwischen Risiko und erwarteter Portfoliorendite hergestellt. Das Faktorenmodell von Eugene Fama und French aus dem Jahr 1992 betrachtet zusätzlich zu den CAPM-Faktoren auch weitere Risikoprämien. Beispielsweise zeigt Fama, dass sich günstig bewertete Aktien mit einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis langfristig besser als der breite Aktienmarkt entwickeln. Durch die erweiterte Faktorenanzahl kann eine Portfoliorendite systematisch erklärt werden und dient sowohl der Bewertung des aktiven Portfoliomanagements als auch der Risikomessung. Solch eine neue Entwicklungsstufe bietet großes Potenzial. Die tatsächlich genutzten Renditequellen können in einem Portfolio identifiziert und gezielt ausgenutzt werden. Jede Risikoprämie, also beispielsweise für Value-Aktien oder mit hohem Kursmomentum, lässt sich über regelbasierte und transparente Indizes abbilden und in unterschiedlicher Gewichtung im Portfolio aufnehmen. Robuste KorrelationenUnter Akademikern und Praktikern setzt sich die Ansicht durch, dass statt bestimmter Anlageklassen Risikofaktoren die Bausteine der Portfoliokonstruktion bilden sollten. Ein großer Vorteil: Die Korrelationen zwischen den Risikofaktoren haben sich historisch als robust erwiesen, während sich traditionelle Anlageklassen gerade in Krisenzeiten nahezu identisch verhalten und keine Risikostreuung bieten.Es gibt mehrere Möglichkeiten, solche Risikoprämien für ein Depot zu nutzen. Eine Variante ist ein austariertes Smart-Beta-Portfolio aus mehreren Risikofaktoren wie Nebenwerte, Value und Momentum. Die Allokation der einzelnen Risikoprämien-Indizes in dem Portfolio könnte nach dem Konzept der Risikoparität vorgenommen werden. Abhängig von der historischen Schwankungsbreite würden volatilere Indizes eine geringere Gewichtung bekommen, um die Schwankung des Gesamtportfolios zu kontrollieren. Außerdem gibt es bereits Beispiele, die Risikoprämien-Indizes marktneutral auszugestalten. Das heißt, es wird zum Beispiel nur die Rendite, die Nebenwerte in den meisten Fällen mehr als der breite Aktienmarkt liefern, über einen entsprechenden Index dargestellt. Damit ist die Wertentwicklung dieser marktneutralen Risikoprämien-Indizes nicht vom Verlauf des breiten Aktienmarktes abhängig.Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass der Investor die Risikoprämien-Indizes einzeln einsetzt, je nach seiner Markteinschätzung und in Abhängigkeit von seinem gesamten Portfolio. ETF, die solche einzelnen Aktien-Risikofaktoren abbilden, können somit als Erweiterung eines bestehenden Aktienportfolios dienen. Geeignete Risikofaktoren für solche ETF können über entsprechende Indizes neben den schon erwähnten Value-Aktien auch Werte mit qualitativ hochwertigen Ertragskennzahlen sein. Dabei werden Aktien höher gewichtet, die eine hohe Rendite auf das eingesetzte Kapital aufweisen. Als für viele Anleger sinnvolle Beimischung haben sich historisch auch Aktien erwiesen, die über bestimmte Perioden ein überdurchschnittliches Kursmomentum aufweisen. Langfristige Studien ergeben, dass es in der Vergangenheit meist sinnvoll gewesen ist, auf Werte mit einer unterdurchschnittlichen Volatilität zu setzen. Damit könnten die Verluste in Abwärtsphasen verringert werden.Fazit: Durch das Smart-Beta-Konzept wird die Angebotspalette für passive Investments entscheidend erweitert. Sie folgen konzeptionell neuartigen Indexregeln, die den Anlagewünschen von Investoren stärker entgegenkommen. Smart-Beta-Indizes können eine niedrigere Schwankungsbreite der Wertentwicklung erreichen und damit den Anlegerstress in bestimmten Marktphasen reduzieren. Oder sie kombinieren verschiedene Renditequellen und erreichen so eine geringere Korrelation zu klassischen Indizes.—-Martin Weithofer, Head of Smart Beta, Deutsche Asset&Wealth Management