Strohfeuer an Russlands Aktienmarkt

Ölpreissschwäche, Sanktionen und fehlende Reformen belasten - Wachstum stagniert

Strohfeuer an Russlands Aktienmarkt

Mal sind es die Sanktionen gewesen, mal der Ölpreis, und immer die Geopolitik. Die russische Börse ist dieses Jahr kräftig gebeutelt worden. Am Montag stieg sie gemeinsam mit dem Rubel an. Aber es könnte ein Strohfeuer bleiben. Vor allem die makroökonomischen Aussichten des nächsten Jahres verheißen nichts Gutes.Von Eduard Steiner, MoskauDie Erleichterung, die nach dem G20-Gipfel vom Wochenende an den globalen Finanzmärkten eintrat, machte gestern nicht einmal vor Russland Halt. Der in Dollar denominierte russische Leitindex RTS, der dieses Jahr durch kontinuierliche Erschütterungen abwärts tendierte und heute noch immer mehr als halb so hoch notiert wie zur Zeit des Allzeithochs vor der Finanzkrise, startete gestern immerhin mit einem Plus von mehr als 3 % in den Handel. Das lag natürlich nicht nur an der zumindest temporären Entspannung im Handelskonflikt zwischen den USA und China. Es ist wesentlich auch dem hochgeschnellten Ölpreis zu verdanken.Immerhin schien also für kurze Zeit vergessen, was das Börsengeschehen im flächengrößten Staat der Welt seit Langem belastet, den Rubel unter Druck hält und die Gesamtwirtschaft nicht aufblühen lässt: die zunehmende Isolation des Landes durch die westlichen Sanktionen, die Angst vor neuen Sanktionen auch angesichts der Eskalation im Konflikt mit der Ukraine und die strukturellen Schwächen der Wirtschaft, die sich im Griff dirigistischer Hardliner befindet und unter der jahrelangen Reformverschleppung leidet. Die zwei Reformen jedoch, die Erhöhung des Renteneintrittsalters und der Mehrwertsteuer, zu denen sich Kreml-Chef Wladimir Putin nach seiner Wiederwahl im Frühjahr dieses Jahres durchgerungen hat, haben ihm ein veritables Ratingproblem beschert.Dass Putin die wirtschaftliche Situation vor diesem Hintergrund positiv zeichnet, ist nicht weiter verwunderlich. Vergangene Woche erklärte er auf einem Investitionsforum in Moskau, dass sich die Wirtschaft an die Schwierigkeiten anpasse und “sich sicher fühlt”, wobei das aber nicht ausreiche, um das Wohlstandsniveau der Bevölkerung wesentlich zu heben. Punkt 1 und 3 davon stimmen. Punkt 2 zu Sicherheit und Stabilität wirft Fragen auf.Zwar liegt die Arbeitslosigkeit, wie Putin betont, unter 5 % und die Inflation historisch tief unter den veranschlagten 4 %. Aber das Wirtschaftswachstum wird im Gesamtjahr wohl maximal einen Wert von 1,8 % erreichen, J.P. Morgan erwartet lediglich 1,6 % in diesem und 1,4 % im kommenden Jahr. Nach der ölpreis- und sanktionsbedingten Rezession von 2015 und 2016 bleibt die Erholung also schwach. Russland sei in den vergangenen zehn Jahren in ein “ernsthaftes Stagnationsloch” gefallen, sagte dieser Tage Ex-Finanzminister Alexej Kudrin, seit Kurzem Chef des Rechnungshofs.Neben den strukturellen internen Hürden leidet Russland weiterhin unter den Sanktionen. Gerade die Verschärfungen seit April und August und die Androhungen weiterer Strafmaßnahmen verhindern bisher eine Entfesselung. Dies treibt nicht nur die Inflation wieder an, weshalb die Zentralbank den Leitzins am 14. September zum ersten Mal seit Dezember 2014 wieder – um einen Viertelpunkt auf 7,5 % – erhöht hat. Die maue Entwicklung lastet auch auf dem Rubel, der trotz des bis Anfang Oktober hohen Ölpreises unter Druck blieb und im November um etwa 2 % gegenüber Euro und Dollar nachgegeben hat.Inzwischen sieht Zentralbank-Chefin Elvira Nabiullina die Sanktionsängste sowie die Schwellenländerinstabilität etwas abgeflaut, andererseits aber Risiken für die Preisstabilität darin, dass der Ölpreis zuletzt deutlich gefallen ist und Inflationserwartungen zunehmen. Für die Zentralbanksitzung am 14. Dezember steht also keine Senkung des Leitzinses zur Wahl. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass er weiter erhöht wird. Vor schwierigem JahrDas künftige Problem für den russischen Aktienmarkt ist, dass mit 2019 ein makroökonomisch richtig schwieriges Jahr bevorsteht. Die Moskauer Higher School of Economics (HSE) prognostizierte soeben, dass sich das Wirtschaftswachstum sogar auf 1,3 % abbremst. Die Hauptrisiken lägen in einem Rückgang des Exports, da sich die globale Konjunktur verlangsame. Weitere Risiken liegen in der Anpassung an die Sanktionen, in der höheren Ausgabendisziplin beim Budget und in der Steuererhöhung. Die Menschen, die aufgrund der seit August abermals rückläufigen Realeinkommen dieses Jahr stark in Konsumkredite geflüchtet waren, werden Umfragen zufolge diesbezüglich bereits vorsichtiger. Denn selbst beim Ölpreis, den Russland immerhin selbst mitbeeinflussen kann, ist noch nicht sicher, auf welches Ausmaß an Förderkürzungen man sich mit der Opec bei der Sitzung gegen Ende dieser Woche einigen wird.Vor diesem Hintergrund haben die internationalen Investoren ihr Engagement in Russland zuletzt merkbar zurückgefahren. In der Vorwoche flossen 180 Mill. Dollar aus den in Russland investierten Fonds ab – das höchste Volumen der vergangenen fünf Monate, wie ein Bericht von BCS Global Markets zeigt. Für November summiert sich das Minus auf 220 Mill. Dollar. Die Angst vor Sanktionen und der Ölpreis geben die Richtung vor. Und daran werde sich nicht so schnell etwas ändern, denn vor allem die geopolitischen Risiken werden eher zunehmen, weshalb der Mittelabfluss anhalten werde, so Denis Gorev von General Invest im Gespräch mit der Zeitung “Kommersant”.So könnte die gestrige Erholung ein Strohfeuer für ein paar Tage bleiben. Einer Umfrage der russischen Agentur “Prime” unter Analysten zufolge erwarten diese für Dezember im Schnitt ein Minus des RTS-Index von 0,9 %. Denn auch wenn sich Russland mit der Opec auf eine Förderkürzung einige, werde der Ölpreis aufgrund anderer Faktoren nicht so schnell wieder auf 80 Dollar je Barrel zurückkehren.Aus diesem Grunde sei auch seitens der Exportkonzerne, auf die mehr als 50 % der Marktkapitalisierung entfallen, keine Unterstützung für die Börse zu erwarten, meint Alexandr Bachtin von BKS Prime. Und aufgrund der erwarteten Leitzinserhöhung in den USA und der für Dezember anstehenden Begleichung von Auslandsschulden durch russische Konzerne werde der Rubel eher noch leicht nachgeben.Alfa Bank Research etwa schreibt die exportierenden Öl- und Gaskonzerne, speziell Rosneft, Lukoil, Novatek und Gazprom, nicht ab, da das Opec-Treffen sehr wohl einen Impuls liefern könne. Und von einer Entspannung im US-chinesischen Streit würden russische Metallurgiekonzerne profitieren. Als einer der Favoriten gilt weiter die Sberbank, Russlands größte und staatliche Bank. Sie trägt freilich auch ein erhöhtes Risiko, sollte es zu neuen Sanktionen kommen.