Im InterviewHenrik Marx, Heraeus

„Wir werden bei Gold 2024 ein neues Rekordniveau sehen“

Der Goldpreis hat 2023 Rekordniveau erreicht, und die Rally könnte sich nach Meinung vieler Analysten fortsetzen. Henrik Marx, Leiter des Edelmetallhandels bei Heraeus, erläutert, was derzeit den Goldpreis antreibt.

„Wir werden bei Gold 2024 ein neues Rekordniveau sehen“

Im Interview: Henrik Marx

"Wir werden bei Gold 2024 ein neues Rekordniveau sehen"

Leiter des Edelmetallhandels von Heraeus geht von einer Preisstützung durch sinkende Zinsen aus – Geopolitische Konflikte treiben Gold ebenfalls an

Der Goldpreis hat 2023 Rekordniveau erreicht und die Rally könnte sich nach Meinung vieler Analysten fortsetzen. Henrick Marx, Leiter des Edelmetallhandels bei Heraeus, erläutert, was derzeit den Goldpreis antreibt.

Herr Marx, wie wird sich ihrer Meinung nach der Goldpreis 2024 entwickeln?

Wir gehen davon aus, dass wir im laufenden Jahr ein neues Rekordniveau beim Goldpreis sehen werden.

Was sind die Gründe dafür?

Wir hatten bereits Anfang Dezember ein Allzeithoch und bereits davor ein recht hohes Niveau beim Goldpreis von fast 2.000 Dollar je Feinunze. Das ist schon bemerkenswert: Schließlich wird der Goldpreis normalerweise durch ein niedriges Zinsniveau angetrieben. Gold wirft bekanntlich keine Zinsen oder Dividenden ab. Mit den hohen Zentralbankzinsen hätte es durchaus zu einem Rückgang des Goldpreises auf 1.800 Dollar oder sogar noch darunter kommen können. Dies ist jedoch nicht geschehen. Somit befindet sich der Goldpreis derzeit quasi auf einem Startniveau, das höher ausfällt, als zu vermuten gewesen wäre. Nun befinden wir uns auf dem Höhepunkt des Zyklus der Leitzinsen und die Notenbanken wie die Federal Reserve werden in absehbarer Zeit die Zinsen wieder senken. Damit beginnt nun eigentlich eine Phase, in der Gold traditionell eine positive Entwicklung zeigt. Der Goldpreis sollte also weiter steigen. Aktuell befindet sich der Goldpreis bereits auf einem Niveau oberhalb von 2.000 Dollar. Damit ist der Sprung zum oberen Ende der von uns für wahrscheinlich gehaltenen Preisspanne von 2.250 Dollar nicht mehr sehr hoch.

Was sind denn die Faktoren, die den Goldpreis im vergangenen Jahr bereits so hochgetrieben haben?

Zunächst einmal kann man feststellen, dass es meist kurzfristige Effekte sind, die den Goldpreis auf Rekordniveaus treiben. Es gibt aber auch längerfristig wirkende Faktoren, die man berücksichtigen sollte und die langfristig preisstützend wirken. So gibt es beispielsweise eine sehr hohe Nachfrage von Zentralbanken, die 2023 mehr als 1.000 Tonnen Gold gekauft haben. Dies ist eine Nachfrage, die sehr beachtlich ist und die den Goldpreis übers Jahr gesehen stark gestützt hat und weiter stützen wird. Ein weiterer Faktor sind die geopolitischen Konflikte. Dies ist zum einen der anhaltende Krieg in der Ukraine. Zum anderen haben wir den Nahostkonflikt, der sich wieder erheblich zugespitzt hat. Vor allem aber waren es Hinweise der amerikanischen Notenbank, die den Goldpreis angetrieben haben, dass nämlich die Zinserhöhungen früher beendet werden als viele Marktteilnehmer damals erwarteten. In einer solchen Situation sind spekulative Investoren, die die Charttechnik im Blick haben, auf den Zug aufgesprungen. Es gab dann mit dem Rekordhoch eine gewisse Überhitzung des Marktes, die sich dann auch wieder korrigiert hat.

Wie entwickelt sich derzeit das Angebot auf dem Goldmarkt?

Das Angebot an Gold sehen wir als derzeit recht stabil an. Mit Blick auf die Produktion der Minen gibt es keine großen Veränderungen nach oben oder nach unten, wir können von rund 3.600 Tonnen ausgehen, inklusive den recycelten Mengen kommt man auf etwas unter 5.000 Tonnen.

Und wie sieht es hinsichtlich der verschiedenen Aggregate der Nachfrage aus?

Die Nachfrage der Notenbanken zeigt sich, wie erwähnt, sehr dynamisch. Mit Käufen von ca. 1.000 Tonnen handelt es sich um ein sehr wichtiges Aggregat auf der Nachfrageseite. Die Nachfrage der Industrie ist recht stabil, sie befindet sich aber mittlerweile auf einem relativ niedrigen Niveau. Die Schmucknachfrage insbesondere aus China und Indien hat sich wegen der Pandemie für einige Jahre eher zurückhaltend entwickelt. Seit der Pandemie hat sich diese Nachfrage aber wieder erholt. Sowohl in Indien wie auch in China gehen wir von einer stabilen bis leicht steigenden Nachfrage aus. Das Zünglein an der Waage ist bei Gold die Investmentnachfrage, für die wir ebenfalls erwarten, dass der Trend nach oben zeigen wird. Fasst man die verschiedenen Aggregate der Nachfrage zusammen, ergibt sich eine deutlich steigende Tendenz, die sich mit einem eher stagnierenden Angebot vergleicht. Dies spricht dafür, dass der Goldpreis gut unterstützt ist und weiter steigen sollte.

Wie wird sich der Goldpreis in Euro ihrer Überzeugung nach entwickeln?

Dabei kommt es natürlich zentral auf den Kurs des Euro zum Dollar an. Wir gehen davon aus, dass der Euro in den nächsten Monaten in einer Bandbreite um das gegenwärtige Niveau von rund 1,09 Dollar bleiben wird. Ausgehend von einem von uns erwarteten Goldpreis von bis zu 2.250 Dollar sollten wir daher auch beim Preis des Edelmetalls in Euro im laufenden Jahr ein neues Rekordniveau sehen.

Warum ist die hohe Nachfrage nach Barren und Münzen, die es während der Pandemie in Deutschland gab, nach dem Ende von Corona eigentlich so massiv eingebrochen?

Wir kommen wir von einem außergewöhnlich hohen Niveau – daher wundert es mich nicht, dass wir nun eine geringere Nachfrage sehen. Dass der Rückgang aber so abrupt und stark war, hat uns schon überrascht. Viele Analysten begründen den Rückgang mit der gestiegenen Inflation und damit verbundenen höheren Lebenshaltungskosten. Wir glauben, es ist eine Kombination aus vielen Gründen: Zum einen die erwähnten Lebenshaltungskosten, zum anderen die höheren Zinsen für Kredite, aber vor allem auch für Einlagen. Das sind viele Aspekte, die ein geringeres Kaufinteresse erklären. Aber wie erwähnt, hat uns die Geschwindigkeit, in dem die Nachfrage nachgelassen hat, überrascht.

Die hohe Nachfrage vieler Zentralbanken nach Gold ist, wie Sie schon sagten, sehr bemerkenswert. Um welche Banken handelt es sich in erster Linie?

Zunächst einmal muss man anmerken, dass dieses Marktsegment nicht das transparenteste ist. So manche Notenbank lässt sich nur ungern in die Karten schauen. Die People's Bank of China hat im vergangenen Jahr ihre Goldreserven deutlich aufgestockt und wird dies voraussichtlich auch im laufenden Jahr weiter so handhaben. Auf der Käuferseite war auch die türkische Zentralbank zu finden sowie auch die russische Notenbank. Hinzu kommt noch eine ganze Reihe anderer Zentralbanken, die von Zeit zu Zeit Käufe tätigen.

Es wird mitunter spekuliert, dass mit der De-Dollarisierung eine Rückkehr zu goldgedeckten Währungen verbunden sein könnte. Halten Sie so etwas für realistisch?

Es gibt interessante Untersuchungen zu diesem Thema. Diese besagen, dass die aktuell vorhandenen Mengen des Edelmetalls und die ausgegebenen Geldmengen an Fiat-Währungen einfach nicht zusammenpassen, wenn man dieses Gold als Goldstandard zur Deckung von Währungen nutzen wollte. Es gibt dafür einfach zu wenig Gold. Daher halte ich derartige Spekulationen für sehr realitätsfern. Wollte man beispielsweise den Euro mit Gold unterlegen, würde dies einen massiven Anstieg des Goldpreises erfordern und zu erheblichen Verwerfungen im Finanzsystem führen.

Sie haben darauf hingewiesen, dass geopolitische Krisen den Goldpreis bewegen. Damit stellt sich die Frage, welche Art von Krisen den Goldpreis besonders nach oben treiben und ob dies immer so ist.

In der Vergangenheit – also vor Ukraine-Krieg und Coronavirus-Pandemie – konnte man quasi seine Uhr danach stellen, dass bestimmte Ereignisse den Goldpreis nach oben treiben. Mit dem Beginn der Pandemie und der Tatsache, dass wir seither einen ständigen Krisenmodus mit neu entstehenden Krisen und Problemen haben, hat die Verlässlichkeit, mit der Gold auf geopolitische Krisen reagiert, deutlich nachgelassen.

Die Pandemie, die ja erstmal direkt mit dem Finanzsystem wenig zu tun hatte, führte unter anderem in Deutschland zu einem Run auf physisches Gold, wie wir ihn vorher noch nie gesehen hatten. Aktuell, wenn man sich beispielsweise die Gefahren und die möglichen globalen Folgen eines stark eskalierenden Nahostkonflikts ansieht, muss man jedoch feststellen, dass der Goldpreis eigentlich fast gar nicht darauf reagiert hat. Ähnliches gilt für die Schieflage der Credit Suisse und deren Übernahme durch die UBS. Ein solches Ereignis, das Fragen zur Stabilität des Finanzsystems aufwirft, hätte in der Vergangenheit zu einem deutlichen und nachhaltigen Anstieg des Goldpreises geführt. Aktuell war dies jedoch nicht der Fall.

Woran liegt das ihrer Meinung nach?

Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass sich nach langen Jahren der Nullzinspolitik der Notenbanken viele Marktteilnehmer in einem ständigen Risk-On-Modus befinden. Letztlich kann man aber derzeit nicht mehr genau vorhersagen, auf welche Krise der Goldpreis reagiert und auf welche nicht.

Könnte es sein, dass Bitcoin viele Funktionen übernommen hat, die Gold früher hatte? Ich denke beispielsweise daran, dass physisches Gold ein Mittel war, um Devisenkontrollen zu umgehen, wofür sich nun auch Bitcoin und andere Kryptowährungen anbieten.

Dies ist ein klassischer Diskussionspunkt zwischen den Befürwortern von Kryptowährungen und den Befürwortern der Goldanlage mit dem oft zitierten Tenor: Bitcoin ist das neue Gold. Wenn dies aber wirklich so wäre, hätten wir in den vergangenen Jahren sehen müssen, dass Gold sehr viel deutlicher seine Attraktivität eingebüßt hätte. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich persönlich bin der Meinung, dass Kryptowährungen zwar durchaus ihre Daseinsberechtigung haben, ich würde allerdings zur Absicherung lieber in Gold investieren als in Kryptowährungen. Letztlich werden Gold und Kryptowährungen aber einander nicht den Rang ablaufen. Ich glaube auch nicht, dass die Liquidität, die in Kryptowährungen fließt, einen Abwärtsdruck auf den Goldpreis auslösen wird. Die Goldanlage wird sicherlich nicht verdrängt werden. Dazu sind diese Asset-Klassen einfach zu unterschiedlich.

Das Thema Nachhaltigkeit wird auch in der Goldindustrie immer wichtiger. Spürt Heraeus diesen Trend ebenfalls?  

Ja, das ist auch für uns und unsere Kunden in der Edelmetallindustrie ein wichtiges Thema. Eine Besonderheit ist, dass Edelmetalle quasi unendlich recycelt werden können. Das macht sie zum Vorbild für viele andere Rohstoffe. Als einer der größten Recycler und Refiner von Edelmetallen weltweit haben wir uns bei Heraeus Precious Metals zu sehr ambitionierten Nachhaltigkeitszielen verpflichtet. Unsere eigenen Geschäftsaktivitäten werden ab 2025 CO2-neutral sein und ab 2033 möchten wir vollständig auf fossile Brennstoffe verzichten. Aber unsere Verantwortung reicht weit über unsere eigenen Werksgrenzen hinaus – in unsere Wertschöpfungskette. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Branche einen erfolgreichen Wandel hin zur Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit vollziehen kann. Doch dies wird nur gelingen, wenn wir zusammenarbeiten: angefangen bei Minen über Raffinerien und der verarbeitenden Industrie bis hin zu den Endkunden von Edelmetallen. Unser Ziel ist es, mit gutem Beispiel voranzugehen und positive Veränderungen in unserer Branche voranzutreiben.

Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.

Zur Person:  Henrik Marx ist bereits seit mehr als 18 Jahren für den Hanauer Technologiekonzern und Edelmetallspezialisten Heraeus tätig. Von 2015 bis 2018 leitete er als General Manager die Niederlassung in Hongkong. Danach wechselte er als Vertriebsdirektor für den Bereich der geprägten Produkte zu Argor-Heraeus in die Schweiz. Seit Juni 2020 leitet er den weltweiten Edelmetallhandel von Heraeus Precious Metals.