GASTBEITRAG

Zeit für Aktienabsicherung

Börsen-Zeitung, 27.9.2019 Europas Unternehmer scheinen zunehmend die Zuversicht zu verlieren, dass es bei der Fülle an politischen Stressfaktoren - vom Brexit bis hin zum Handelsstreit - doch noch zu einer gütlichen Einigung zwischen den jeweils...

Zeit für Aktienabsicherung

Europas Unternehmer scheinen zunehmend die Zuversicht zu verlieren, dass es bei der Fülle an politischen Stressfaktoren – vom Brexit bis hin zum Handelsstreit – doch noch zu einer gütlichen Einigung zwischen den jeweils maßgeblichen Parteien kommt. So ist zumindest der weitere Verfall der diese Woche veröffentlichten konjunkturellen Frühindikatoren zu werten. Insbesondere die Stimmung in der Industrie bewegt sich klar im Krisenmodus. Die Auftragsbestände schmelzen weiter ab, und Besserung scheint bislang nicht in Sicht. Und das, obwohl die Nachrichtenlage der letzten Wochen gar nicht so schlecht war.Typischerweise spiegeln die Kapitalmärkte diese kurzfristigen Entwicklungen besser wider. Unter den Investoren herrschten in den letzten Wochen im Vergleich zur Stimmung in den Chefetagen geradezu euphorische Zustände. Immerhin konnten die europäischen Aktien seit Mitte August gut 7 % zulegen, der breitgefasste Stoxx Europe 600 Index notierte nahe des Jahreshochs und die Renditen sicherer Häfen wie deutsche Bundesanleihen konnten sich von ihren im Sommer erreichten Tiefstständen lösen. Insgesamt sind marktbasierte Indikatoren, die die Makro-Sorgen der Kapitalmärkte abgreifen sollen, wie beispielsweise der entsprechende Indikator der Citibank, zuletzt deutlich gefallen, sprich optimistischer geworden, und bewegen sich weit entfernt von Bereichen, die in zurückliegenden Rezessionen beobachtet wurden.Neben geldpolitischen Impulsen spielte dabei auch eine optimistischere Interpretation der politischen Risikofaktoren eine Rolle. Die Wahrscheinlichkeit eines No-Deal-Brexit wird geringer eingeschätzt, wie das zuletzt zur Stärke neigende britische Pfund belegt. Beim Handelsstreit sorgten positive Schlagzeilen für steigende Kurse – insbesondere die Erwartung, dass bereits im Oktober ein “Zwischenabkommen” der beiden Streithähne USA und China unterzeichnet werden könnte. Auch die Erwartung, dass in der Eurozone die Fiskalpolitik der solventen Eurozonen-Kernländer der schwächelnden Wirtschaft zu Hilfe eilt, ist zuletzt förmlich greifbar gewesen. Nicht nachhaltigBeide Sichtweisen scheinen aus heutiger Sicht nicht nachhaltig. Die Wahrheit wird sich vermutlich zwischen einer Rezession und “Es-wird-bestimmt-bald-besser”-Haltung bewegen. Fundamental makroökonomisch gibt es allen Unkenrufen zum Trotz weiterhin ausreichend Anhaltspunkte, dass die Eurozonen-Wirtschaft letztlich eben nicht in eine tiefe Rezession abgleitet. Binnenkonjunktur robustDie weiterhin relativ robuste Binnenkonjunktur ist hierbei ein wichtiger Faktor. Allerdings, je länger die externen negativen Faktoren auf der Investitionsneigung lasten, desto mehr wird die Schwäche des verarbeitenden Gewerbes auf den Dienstleistungssektor und den privaten Konsum übergreifen. Die massive globale Lockerung der Geldpolitik der letzten Monate ist hier zwar ein wichtiger stützender Faktor, der über den Kanal der Finanzierungsbedingungen greift. Die Wirksamkeit darf aber angesichts der ohnehin niedrigen Zinsen stark angezweifelt werden.Dennoch: Es gibt trotz der vorhandenen politischen Risiken frühe Anzeichen dafür, dass der Welthandel sich zuletzt wieder etwas erholt hat und die globale Nachfrage in den kommenden Monaten für steigende Aufträge bei den exportorientierten Unternehmen sorgen könnte. Bevor sich diese Faktoren in verbesserter Stimmung in den Chefetagen der Industrieunternehmen manifestieren kann, dürfte aber die positive Kapitalmarktstimmung der letzten Wochen zunächst noch mal auf die Probe gestellt werden.Für das vierte Quartal 2019 geht die Bayerninvest von schwächeren Aktienmärkten und einer erhöhten Risikoaversion der Kapitalmarktteilnehmer aus. Die Renditen sicherer Häfen wie deutscher Bundesanleihen dürften unseres Erachtens auch weiter tief im negativen Bereich verharren. Zumindest von den Marktimplikationen und auf Sicht der nächsten Wochen neigt die Bayerninvest damit der eher skeptischen Einschätzung der Vertreter der Realwirtschaft zu als dem freundlicheren Stimmungsbild, das die Kapitalmärkte zuletzt gezeichnet hatten.Dies liegt allerdings weniger daran, dass die Bayerninvest ein negatives Konjunkturbild vertreten würde. Ausschlaggebend sind vielmehr die im vierten Quartal bevorstehenden Belastungsfaktoren in Verbindung mit einer grundsätzlich negativen Sicht auf die Problemlösungskompetenz der europäischen Politik. Fiskalpolitik enttäuschtVom Brexit-Chaos abgesehen, dürfte wohl auch in Sachen Fiskalpolitik die Erwartung der Kapitalmärkte – insbesondere der angelsächsisch geprägten Investoren – enttäuscht werden. Wenn im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts alle Eurozonen-Länder in den kommenden Wochen ihre Haushaltsplanungen für das kommende Jahr vorstellen, wird der zusätzliche konjunkturelle Impuls einer lockereren Fiskalpolitik wohl überschaubar ausfallen. Die Länder mit haushaltspolitischem Spielraum wollen diesen nicht aufgeben und andere mit geringem Spielraum, wie die neu formierte Regierung in Italien, werden das derzeitige Vertrauen der Finanzmärkte auf eine EU-konforme Ausrichtung der Haushaltspolitik wohl eher früher als später enttäuschen.Das jüngst verabschiedete Klimapaket der Bundesregierung ist dafür Beleg genug. Der daraus resultierende Wachstumseffekt dürfte sich im kaum messbaren Bereich bewegen, solange das Mantra der schwarzen Null weiterhin aufrechterhalten wird. Auch das Angebot an deutschen Staatsanleihen bleibt entsprechend niedrig. Da die EZB ab November das Angebot wieder durch neue Nettoanleihekäufe verknappt, sollten die Kurse weiter gut unterstützt bleiben. Hinzu kommt, dass bis November wohl erneut die Debatte um US-Autozölle gegenüber der EU aufflammen dürfte.Bereits zuvor, im Rahmen der Berichtssaison zum dritten Quartal, die in den kommenden Wochen langsam beginnt, dürften die Firmenlenker aus der Industrie ihre derzeitige negative Stimmungslage in einen eher pessimistischen Ausblick für das kommende Geschäftsjahr übersetzen oder zumindest die Kapitalmärkte versuchen auf schlechtere Gewinnentwicklungen vorzubereiten. Da die Analysten der Banken und Broker derzeit noch von knapp zweistelligen Gewinnwachstumsraten für die kommenden zwölf Monate ausgehen, herrscht hier deutliches Enttäuschungspotenzial. Realistisch ist aus Sicht der Bayerninvest und auf Basis makroökonomischer Kenngrößen, dass die Gewinne der europäischen Blue Chips nur um knapp 5 % zulegen werden. Auf Zwölfmonatssicht ist somit eine positive Aktienmarktentwicklung denkbar und angesichts negativer Verzinsung vieler Alternativanlagen vielleicht sogar zwingend. Zuvor wird der notwendige Anpassungsprozess der Gewinnerwartungen in den kommenden Wochen aber vermutlich für Rücksetzer und günstigere Einstiegskurse sorgen. Credit Exposure vorrangigAuf Sicht der kommenden Wochen empfiehlt die Bayerninvest daher, Aktien in den Portfolien unterzugewichten bzw. das Exposure zu reduzieren. Vorrangiges Credit Exposure bleibt stattdessen weiter unser Refugium der Wahl, um den negativen Renditen der Staatsanleihen und Pfandbriefen im Bereich der sicheren Häfen zu entkommen.Die Durationsrisiken halten wir weitgehend neutral. Vor dem Hintergrund der dieses Jahr bereits aufgelaufenen Gewinne an den Aktienmärkten und dem weiterhin belasteten Ausblick scheint eine Absicherung der Positionen angezeigt. Die Erinnerung an das vergangene Jahr, als das vierte Quartal von heftigen Kapriolen gekennzeichnet war, ist noch präsent. Die Ausgangslage in diesem Jahr lässt durchaus Parallelen erkennen. Bernhard Grünäugl, Volkswirt und Makrostratege bei der Bayerninvest