137 Staaten suchen noch 2020 die ideale Digitalsteuer

Von Angela Wefers, Riad Börsen-Zeitung, 25.2.2020 Zum Auftakt seiner G20-Präsidentschaft suchte das international in der Kritik stehende Saudi-Arabien sich im Kreis der führenden Industrie- und Schwellenländer fortschrittlich und weltoffen zu...

137 Staaten suchen noch 2020 die ideale Digitalsteuer

Von Angela Wefers, RiadZum Auftakt seiner G20-Präsidentschaft suchte das international in der Kritik stehende Saudi-Arabien sich im Kreis der führenden Industrie- und Schwellenländer fortschrittlich und weltoffen zu zeigen. Wegen des Jemen-Kriegs und des Falls Khashoggi steht die politische Führung unter Druck. Kronprinz Mohammed bin Salman hatte mit der “Vision 2030” wirtschaftliche Reformen eingeleitet, um das Königreich weniger abhängig von den Öleinnahmen zu machen. Öl ist die wesentliche Einnahmenquelle des Staates. Gelockert wurden im vergangenen Herbst auch die strengen Vorschriften der Vollverschleierung für Frauen und die strenge Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit. Beim Treffen in Riad am vergangenen Wochenende inszenierten die Gastgeber für die Finanzminister- und Notenbankgouverneure im glanzvollen Hotelpalast Ritz Carlton dafür eindringliche Bilder des Fortschritts. Im Straßenbild von Riad dominiert aber für westliche Augen das schwarze Gewand der Abaya mit Gesichtsschleier. Auch die Durchmischung der Geschlechter braucht wohl noch Zeit. Global und digital Teil der “Vision 2030” ist eine stärkere Staatsfinanzierung aus Steuern und Abgaben anstelle von Ölverkäufen. Bislang spielen Steuern im Staatshaushalt Saudi-Arabiens keine große Rolle. Dennoch hatte sich die saudische Präsidentschaft nach anfänglichem Zögern überzeugen lassen, das Thema auf ihre G20-Agenda zu setzen. Länder wie Deutschland und Frankreich dringen darauf, den in der OECD (der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) koordinierten Prozess voranzutreiben, der globale Steuerregeln für eine vernetzte und digitalisierte Wirtschaft schaffen soll. Bis Ende 2020 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Andernfalls drohen nationale Alleingänge zur Besteuerung von Digitalkonzernen wie Google, Amazon, Facebook oder Apple. Das bisherige Konzept der Besteuerung, das an eine physische Betriebsstätte anknüpft, funktioniert unter den neuen digitalen Gegebenheiten nicht mehr. Bei nationalen Alleingängen wird sich aller Voraussicht nach zum Handelskrieg in der Weltwirtschaft bald ein Steuerkrieg hinzugesellen. Denn die US-Regierung ist wenig begeistert von der Aussicht, dass die neue Besteuerung allein zulasten ihrer heimischen Wirtschaft gehen soll.In Riad war dem G20-Finanztreffen ein internationales Steuersymposium vorgeschaltet. Saudi-Arabiens Finanzminister Mohammed Al Jadaan wies zum Auftakt auf die Gefahren hin, sollte es nicht rechtzeitig zu einer Einigung kommen. “Dies könnte das Risiko von Doppelbesteuerung und Rechtsunsicherheit in Steuerfragen erhöhen”, warnte Al Jadaan. “Eine Lösung zu erzielen erfordert die gemeinsame Anstrengung aller Länder, um sicherzustellen, dass die neuen Steuerregeln auf faire Weise angewendet werden.” Ziel ist dem Minister zufolge eine größere Transparenz, einfache Verwaltung und Sicherheit sowohl für die Steuerzahler als auch für die Steuerbehörden.Dies ist ganz im Sinne von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der das Thema international vorantreibt. “Es ist absolut klar, dass wir Steuersicherheit brauchen”, sagte er beim Symposium in Riad. “Wir brauchen ein gemeinsames Regime, das zusammenarbeitet und passt.” Denn immer mehr Länder fügten sich global in die Lieferketten ein. Die wichtige Botschaft für den Unternehmenssektor lautet Scholz zufolge: “Sie bekommen Steuersicherheit.” US- Finanzminister Steven Mnuchin bekräftigte in Riad, dass 100 Prozent der Unternehmen hinter dem Ziel der Steuersicherheit stünden. Aber zugleich trübte er das Bild: “Die Menschen werden einen Preis für Steuersicherheit zahlen.”Tatsächlich verspricht die OECD nach einer ersten Analyse weltweit Steuermehreinnahmen von 100 Mrd. Dollar, entsprechend 4 % der Steuer auf Unternehmensgewinne, sollte sich das bislang noch in Arbeit befindliche Konzept durchsetzen. Es besteht aus zwei Säulen, die aus deutscher Sicht politisch untrennbar zusammengehören: Säule 1 zielt darauf, künftig auch Unternehmen steuerlich zu erfassen, die digitale Leistungen anbieten, ohne dazu Betriebsstätten im Absatzland vorzuhalten. Zugleich soll dem Druck der Marktstaaten – also der Ort des Konsums – nachgegeben werden, die mehr vom Steuerkuchen für sich beanspruchen.In Säule 2 ist eine Mindeststeuer vorgesehen, die Steueroasen ihre Standortattraktivität nehmen soll. Niedrig besteuerte Gewinne von Tochtergesellschaften in solchen Oasen können in den Sitzländern der Mutter auf das Minimumsteuerniveau hochgezogen werden. Umgekehrt kann der Fiskus im Land einer Tochtergesellschaft aber Zahlung beanspruchen, wenn die Muttergesellschaft in einem Land mit niedrigeren Sätzen als der Mindestbesteuerung liegt. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire nannte in Riad einen Satz von 12,5 %, der bislang diskutiert wurde, aber nicht beschlossen ist. Die OECD stellte in ihrer ersten Auswirkungsanalyse in Aussicht, dass von den zusätzlichen 100 Mrd. Euro Länder mit hohem, mittleren und niedrigen Einkommen profitieren würden.Demnach würde der Entwurf dem Drängen der Marktstaaten gerecht, stärker am Steueraufkommen zu partizipieren. Eine große Gruppe von Gewinnern erhöht zudem die Akzeptanz für das Konzept. Der OECD zufolge wird es aber nicht zu Steuererhöhungen kommen, sondern zur Verschiebung von Steuersubstrat. Investment-Drehscheiben mit niedrigen Sätzen werden demnach verlieren. Auf Einbußen können sich Länder wie die Schweiz, Singapur, Luxemburg oder Irland einstellen. Kriterien für Konzerne Mit Blick auf die Bedenken der USA, die ihre Unternehmen aus dem Kreuzfeuer nehmen wollen, sucht die OECD nach klaren Kriterien, die Digitalkonzerne für das geplante Konzept einer Gewinnbesteuerung identifizieren sollen, ohne eine bestimmte Branche anzuprangern. Es sollen besonders große und überdurchschnittlich profitable Firmen sein, von einer im OECD-Entwurf angeregten Umsatzschwelle von 750 Mill. Euro an, die direkt Geschäfte mit dem Endverbraucher betreiben.Die Finanzminister und Notenbankgouverneure stellten sich im Abschlusskommuniqué von Riad ausdrücklich hinter die bisherigen Arbeiten an Säule 1 des Steuerkonzepts und begrüßten die Fortschritte bei Säule 2, also der Mindestbesteuerung – verbunden mit der Aufforderung, bis zum Jahresende 2020 eine konsensuale Lösungen zu erreichen. Anfang Juli ist Deutschland Gastgeber einer internationalen Steuerkonferenz, bei der konkretere Punkte im Konzept festgezurrt werden sollen.Scholz ist zuversichtlich, dass auch hierzulande die Unternehmenssteuereinnahmen durch das neue Konzept steigen werden. Die deutsche Industrie hatte Einbußen in Aussicht gestellt, wenn die Marktstaaten stärker vom Aufkommen profitieren werden. Wie genau das deutsche Steuersystem betroffen ist, untersucht derzeit das Ifo-Institut im Auftrag des Bundesfinanzministeriums. Druck, eine Lösung zu liefern, kommt aber nicht nur von den Schwellenländern, sondern auch von der Bevölkerung. Das Versprechen der Regierungen, die großen Digitalkonzerne nicht mehr durch die Steuermaschen schlüpfen zu lassen, hat Erwartungen geweckt. Die Politik muss nun liefern. Dass sie sich dessen bewusst ist – auch dies wurde in Riad deutlich.——Die G20 macht auf ihrem Ministertreffen in Riad Druck, bei der globalen Digitalsteuer bald zu einer Lösung zu gelangen. ——