Konjunkturampel

Ampelsignal belegt Rezessionssorgen

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und rekordhohe Inflation: Dieser Dreiklang schürt die Rezessionssorgen und zeigt sich auch in der Konjunkturampel der Börsen-Zeitung. Und die steht derzeit ganz klar auf Rot.

Ampelsignal belegt Rezessionssorgen

ba Frankfurt

Die Grundlagen für einen Aufschwung der deutschen Wirtschaft sind da – und dennoch sieht es derzeit eher nach einer Rezession in diesem Jahr aus. Die Konjunktursorgen lassen sich auch am derzeitigen Stand der Konjunkturampel der Börsen-Zeitung und von Kiel Economics ablesen. Sie steht auf Rot. Signalgeber sind mehr als 50 erwartungsbasierte Indikatoren, anhand derer sich die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer ausgeprägten Abschwungphase wie zuletzt 2008/2009 befindet. Die Wahrscheinlichkeit liegt aktuell bei 78%.

Dass die Auftragsbücher der Unternehmen derzeit prall gefüllt sind und der Auftragsbestand laut Ifo-Umfragen seit nunmehr fast einem Jahr auf Rekordniveau ist, wäre eine ideale Situation für einen kräftigen Boom – „das Gegenteil ist aber der Fall“, analysiert Carsten-Patrick Meier, Leiter von Kiel Economics, einer Ausgründung aus dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Viele Unternehmen seien entweder akut von Zahlungsunfähigkeit und Bankrott bedroht oder schätzten zumindest das Risiko, in den nächsten Monaten insolvent zu werden, als außergewöhnlich hoch ein. Entsprechend düster fallen ihre Geschäftserwartungen aus. Die entsprechenden Umfragewerte sind insbesondere wegen der Corona-Lockerungen im April etwas besser ausgefallen als im März „Ihr Niveau ist allerdings weiter so niedrig wie bislang nur während Rezessionsphasen beobachtbar“, konstatierte Meier.

„Die Befürchtungen der Unternehmen sind real“, sagte der Institutsleiter. Der Materialmangel infolge des globalen Lieferkettenstresses, der bereits seit längerem die Produktion erheblich behindert, hat sich durch den russischen Angriff auf die Ukra­ine und die überaus strikte Covid-Bekämpfung der chinesischen Regierung nochmals drastisch verschärft. Der Ukraine-Krieg und die politischen Reaktionen darauf dämpfen die wirtschaftlichen Aussichten an­gebots- und nachfrageseitig über verschiedene Kanäle, wobei Erstere überwiegen. Daher sind die Materialpreise überall drastisch gestiegen. Nicht wenige Unternehmen sehen sich Meier zufolge bei komplett vollen Auftragsbüchern von der Insolvenz bedroht: „Entweder, weil sie schlicht nicht liefern können, ihre Kosten aber weiterlaufen. Oder, weil sie das Liefern zum vor Zeiten vereinbarten Preis angesichts des dramatischen Preisanstiegs bei den Vorprodukten in den Ruin treiben würde.“

Neben diesen existenziellen Sorgen droht immer noch ein Embargo für russisches Erdgas – eine Option für die EU, die bald Realität werden könnte: „Sicherheitspolitisch und moralisch spricht nahezu alles dafür“, sagte Meier. Aber auch ein von Moskau verfügter Lieferstopp nach Deutschland – ähnlich bereits für Polen und Bulgarien erfolgt – ist möglich. Wegen der hohen Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von russischem Erdgas wäre der kurzfristige Dämpfer für die gesamtwirtschaftliche Produktion erheblich. Die Bundesbank und die Gemeinschaftsdiagnose taxieren den resultierenden Einbruch des Bruttoinlandsprodukts auf 5 bis 6,5%. Da sich die Kaskadeneffekte einer kurzfristig linear-limitationalen Produktionstechnologie mit den gegebenen Daten und Modellen nicht erfassen lassen, sind die Schätzungen mit erheblich größerer Unsicherheit verbunden als normale Konjunkturprognosen, mahnt Meier.

Spiegelbildlich haben sich auch die Einkommenserwartungen der privaten Haushalte massiv eingetrübt. Nachdem sie sich schon im Gefolge der Pandemie von den seit Beginn des Beschäftigungsbooms im Jahr 2010 gezeigten (sehr) hohen Ständen verabschiedet haben, sind sie durch den Krieg und den dramatischen Inflationsschub im März und April auf ein Niveau abgesackt, das zuvor nur während einer Rezession vorgelegen hat. Das kurzfristig von der Ampel-Koalition beschlossene Paket zur Entlastung der Haushaltseinkommen scheint sich hier bislang kaum auszuwirken, sagt Meier.

Auch wenn die maßgeblichen Erwartungsdaten im Inland und die durchwachsenen Konjunkturerwartungen im exportrelevanten Ausland für eine Rezession sprechen, könnte sich der statistische Ansatz als zu pessimistisch erweisen: Möglicherweise kommt aus dem Dienstleistungsbereich genug Schub, um die Verluste im industriellen Bereich abzufedern, hofft Meier.

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