Parlamentswahlen

Argentiniens Regierung kämpft um jeden Wähler

Nach dem herben Rückschlag bei den Vorwahlen vor zwei Wochen versucht die Regierung des hoch verschuldeten Argentinien mit einer Serie von ökonomischen Erleichterungen ihre Chancen bei den Parlamentswahlen am 14. November zu verbessern.

Argentiniens Regierung kämpft um jeden Wähler

Von Andreas Fink, Buenos Aires

Nach dem herben Rückschlag bei den Vorwahlen vor zwei Wochen versucht die Regierung des hoch verschuldeten Argentinien mit einer Serie von ökonomischen Erleichterungen ihre Chancen bei den Parlamentswahlen am 14. November zu verbessern. Doch viele Ökonomen halten Wahlgeschenke für riskant, weil sie die Inflation noch höher treiben können. Im August lag die Jahresteuerungsrate bei 51,4%, so das nationale Statistikamt Indec.

Nachdem das Wahlbündnis „Front aus allen“ am 11. September mit etwa 34% der Stimmen das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der peronistischen Bewegung seit 1945 einfuhr, entbrannte innerhalb des Regierungsbündnisses ein harscher, zum Teil öffentlich ausgetragener Konflikt zwischen Präsident Alberto Fernández und Cristina Kirchner. An dessen Ende standen ein Burgfrieden bis zum Wahltag sowie eine Personalrochade, die mehrere Ex-Minister reaktivierte.

Der neue Kabinettschef Juan Manzur, bis dato Gouverneur der nördlichen Provinz Tucumán, begann mit Projekten, die das Konsumklima verbessern sollen. So verkündete der studierte Mediziner, einst Gesundheitsminister unter den Kirchners, praktisch das Ende aller Pandemie-Beschränkungen, obwohl bislang erst 44% der Bevölkerung voll immunisiert ist. Zudem kündigte Manzur an, den Mindestlohn anzuheben. Bis Februar 2022 soll er sukzessive er­höht werden und dann 52,7% über dem Niveau von März 2021 liegen. Zu einem der verfügbaren Parallelkurse umgerechnet entspricht auch der angehobene Mindestlohn weniger als 200 Dollar.

Dem zunehmend verarmten Mittelstand soll die Anhebung von Freigrenzen bei der Einkommensteuer helfen. Klein- und Mittelbetriebe sollen mehr Zeit bekommen, Steuerschulden zurückzuzahlen. Selbständige können wie 2020 staatliche Zusatzzahlungen beantragen. Und Anlegern, die den Mut aufbringen, in Peso zu sparen, winken Steuererleichterungen. Ältere Arbeitslose, die mindestens 30 Jahre Sozialbeiträge geleistet haben, können auf eine Frühverrentung auf Staatskosten hoffen, nach Berechnungen der Regierung könnten etwa 50000 Bürger davon profitieren.

Von zentraler Bedeutung könnte eine Neuauflage des Familien-Notfall-Einkommens (IFE) sein. 2020 wurde es dreimal an 9 Millionen Personen ausgezahlt. In diesem Jahr wurde es aus Haushaltsgründen eingestellt. Es soll nun wohl im Oktober wieder überwiesen werden. Außerdem plant die Regierung Bonuszahlungen an Rentner und Empfänger von Kindergeld. Insgesamt will die Regierung 70 Mrd. Peso unter die Leute bringen, offiziell umgerechnet knapp 700 Mill. Euro.

Finanziert werden soll dieser Segen formell durch die Pandemie-Sonderhilfe, die der Internationale Währungsfonds (IWF) an Schwellen- und Entwicklungsländer auszahlt. Mitte September verbuchte die Zentralbank den Eingang von 4,4 Mrd. Dollar aus Washington. Allerdings muss Argentinien diese verwenden, um das Stand-by-Darlehen beim IWF zu bedienen. Am 22. September flossen daher knapp 1,9 Mrd. Dollar zurück. Und am 22. Dezember soll eine zweite gleich große Tranche folgen. Ehe freilich die erste Rückzahlung an den IWF erfolgte, gab die Zentralbank Schatzbriefe in Peso aus, die gestützt waren auf die IWF-Milliarden. Und diese Zentralbank-Papiere finanzieren nun die Wahlgeschenke der Regierung.

Weil das Angebot an Gütern in 18 Monaten Pandemie nicht gestiegen ist, fürchten viele Ökonomen, dass die 70 Mrd. Peso wenig mehr bewirken werden als einen neuen Preisschub. „Die Emission von heute werden wir Anfang 2022 zahlen müssen“, prognostiziert Carlos Melconian, Gründer der Consultancy Macroview und früherer Direktor des staatlichen Banco Nación. Patricia Bullrich, Präsidentin der größten Oppositionspartei PRO, warnte, dass die neue Regierung „bis an die Grenze einer möglichen Hyperinflation“ Geld drucken und „alle bekannten Praktiken des Klientelismus anwenden“ werde, um das Wahlergebnis umzukehren.

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