Bank of England bricht mit Tradition
Die Bank of England bricht mit ihrer Tradition: Die Zinspolitik in Großbritannien richtet sich künftig auch nach der Entwicklung am Arbeitsmarkt. Damit folgt die britische Notenbank zur Ankurbelung der Konjunktur der Strategie der US-Notenbank.ste London – Die Bank of England knüpft ihre Zinspolitik künftig nicht nur an die Entwicklung der Verbraucherpreise, sondern auch des Arbeitsmarktes in Großbritannien. Der seit Anfang Juli amtierende Gouverneur der britischen Notenbank, Mark Carney, ließ am Mittwoch in seiner ersten Pressekonferenz in London durchblicken, dass der seit März 2009 auf dem Rekordtief von 0,5 % verharrende Zinssatz der Bank of England nicht angehoben werde, solange die Erwerbslosenquote auf der Insel nicht auf 7 % gesunken sei.Neue Arbeitsmarkt-Projektionen im gestern präsentierten vierteljährlichen Inflationsbericht deuten an, dass der Zinssatz noch mindestens bis 2016 auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben wird. Bei der Bank of England geht man derzeit davon aus, dass der Erwerbslosen-Schwellenwert frühestens in drei Jahren erreicht sein wird. Im Mai lag die Arbeitslosenquote in Großbritannien gemäß Berechnungsmethode der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bei 7,8 %. Carney betonte, heute seien 1 Million Menschen mehr ohne Arbeit auf der Insel als vor Beginn der Finanzkrise 2007. Zwar gebe es derzeit Anzeichen, dass sich die Konjunktur belebe. Gemessen an historischen Standards bleibe der Aufschwung bislang jedoch schwach ausgeprägt, die nicht ausgeschöpften Kapazitäten in der Wirtschaft seien erheblich. Dies werde besonders deutlich an der hohen Erwerbslosenquote. Die “Fluchtgeschwindigkeit”, um die Konjunkturschwäche zu überwinden, sei noch nicht erreicht. Erfahrungen in Kanada”Für den geldpolitischen Ausschuss (MPC) ist es nun wichtiger denn je, eindeutig und transparent in der Ausrichtung der Zinspolitik zu sein, um einen unerwünschten Anstieg der Zinserwartungen angesichts einer Fahrt aufnehmenden Erholung zu vermeiden”, erklärte der 48-Jährige, der schon als Chef der Bank of Canada im April 2009 mit einer befristeten Prognose (“Forward Guidance”) zur zinspolitischen Haltung der kanadischen Notenbank um mehr Orientierung der Marktteilnehmer bemüht war. Diese Kommunikationsstrategie ließ angesichts der vergleichsweise stabilen kanadischen Wirtschaft die britische Regierung auf Carney aufmerksam werden. Wegen des Abbaus des hohen Haushaltsdefizits baut Großbritanniens Finanzminister George Osborne in besonderer Weise auf Unterstützung durch die Notenbank zur Belebung der Wirtschaft.Bereits nach der ersten von Carney geleiteten Sitzung des MPC Anfang Juli hatte sich die Bank of England mit einer ungewöhnlichen Stellungnahme gegen Erwartungen steigender Zinsen in den Märkten gestemmt. Diese Erwartungen hatte zuvor die US-Notenbank Fed mit der Andeutung befeuert, spätestens Mitte 2014 ihr Wertpapierkaufprogramm zur Ankurbelung der Konjunktur aufzugeben. Wiederholt machte der erste Ausländer an der Spitze der 319 Jahre alten Bank of England gestern deutlich, dass der MPC an der gegenwärtig äußerst lockeren Zinspolitik festhalten werde, bis die Konjunkturflaute überwunden sei. Der Ausschuss stehe bereit, das im März 2009 gestartete und im vorigen November ausgesetzte Programm zum Ankauf britischer Staatsanleihen wieder aufzunehmen, sollte die Konjunktur weitere Anreize benötigen. Zugleich machte Carney klar, dass nach dem Ankauf von Wertpapieren über 375 Mrd. Pfund eine Verringerung des Bestandes erst bei Erreichen der 7-prozentigen Erwerbslosenquote in Frage komme. K.-o.-KriterienIhre Ausrichtung an der Erwerbslosenquote, mit der sie der gegenwärtigen Strategie der US-Notenbank Fed folgt, verbindet die Bank of England jedoch mit drei Bedingungen. Die neue Orientierung für die Märkte bleibt demnach nur gültig, solange die neun MPC-Mitglieder zu der Einschätzung gelangen, dass der Anstieg der Verbraucherpreise innerhalb der nächsten 18 bis 24 Monate wahrscheinlich nicht unter die Marke von 2,5 % rutschen wird. Zudem wird – schwammig – vorausgesetzt, dass die mittelfristigen Inflationserwartungen “ausreichend gut verfestigt” sein müssten. Mit diesen beiden Kriterien werde, so Carney, erreicht, dass die neue “Guidance” vollständig im Einklang stehe mit dem primären Ziel der Sicherung der Preisstabilität. An ihrem bisherigen Inflationsziel von 2 % hält die Bank of England – ungeachtet der neuen mittelfristigen Orientierung – fest. Dritte Bedingung für die Ausrichtung der Geldpolitik an einer Erwerbslosenquote von 7 % sei, dass die geldpolitische Haltung nicht zu einer Gefahr für die Finanzstabilität in Großbritannien werde.Carney stellte klar, dass die K.-o.-Kriterien nicht zwangsläufig eine Zinsanhebung auslösen würden. Zudem sei der Schwellenwert von 7 % kein generelles Ziel für die Lage am Arbeitsmarkt. Der neue Notenbankchef betonte, die “Forward Guidance” sei als eine Klarstellung und nicht als weitere Lockerung der Geldpolitik zu verstehen. An der Londoner Börse drehte der FTSE 100 ins Minus, das Pfund Sterling machte anfängliche Verluste wieder wett. Marktteilnehmer zeigten sich enttäuscht darüber, dass weitere Maßnahmen zur Konjunkturstützung offenbar derzeit kein Thema sind.