Berlin und Wien rufen nach Tusk

Merkel und Faymann dringen auf EU-Sondergipfel - Gefahr für "Europäische Union als Projekt"

Berlin und Wien rufen nach Tusk

Die EU-Länder steuern angesichts der Flüchtlingskrise in Europa auf einen Sondergipfel zu. Die Ministerpräsidenten der Länder dringen auf mehr Unterstützung vom Bund.wf/fed Berlin/Brüssel – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr österreichischer Amtskollege Werner Faymann (SPÖ) dringen auf einen EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise in der nächsten Woche. Dies sei EU-Ratspräsident Donald Tusk telefonisch übermittelt worden, sagte Merkel in Berlin nach einem Treffen mit Faymann. “Dieses Problem kann nur gesamteuropäisch gelöst werden”, begründet sie diesen Schritt. Aus Brüssel verlautete, über einen Sondergipfel solle am morgigen Donnerstag entschieden werden.Der luxemburgische Ratsvorsitz hatte am frühen Abend bekannt gegeben, dass er für nächsten Dienstag erneut ein Treffen der EU-Innenminister einberufen habe. Denn ein erstes Sondertreffen war vorgestern deutlich hinter den erhofften Ergebnissen zurückgeblieben. Erstens kam es nur zu einer sehr allgemeinen Verständigung über die Verteilung von 160 000 Flüchtlingen – weit entfernt von konkreten Quoten. Zweitens wurde selbst diese politische Vereinbarung nicht einstimmig erreicht. “Einige Staaten fühlen sich offenbar einer solidarischen Verantwortung angesichts dieser großen Herausforderung noch nicht verpflichtet”, bemängelte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sprach gar davon, Europa habe sich “ein weiteres Mal blamiert”.Nun warnte Faymann, das Flüchtlingsproblem habe Potenzial, “die Europäische Union als Projekt zu gefährden”. Der Besuch des österreichischen Kanzlers war nach dem Wochenende, an dem der Flüchtlingsstrom aus dem Süden einen neuen Höhepunkt erreicht hatte, kurzfristig erfolgt. De Maizière hatte die Wiedereinführung von Grenzkontrollen vornehmlich zum Nachbarland Österreich angeordnet. Damit soll eine Registrierung möglich sein. Auch andere EU-Länder ergriffen solche Maßnahmen. Ungarn machte Agenturen zufolge gestern die Grenze nach Serbien dicht und lehnte eine Reihe von Asylanträgen im Schnellverfahren ab. Nachmittags kündigte auch Wien verschärfte Grenzkontrollen an. Die Schweiz erklärte sich derweil zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit. Das Land wolle sich in der Größenordnung beteiligen, die im Einklang mit dem Quotenvorschlag von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker stehe, sagte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga laut Reuters.Merkel und Faymann sehen auf der Gipfelagenda vor allem die Frage, wie die EU die Herkunftsländer der Flüchtlinge besser unterstützen kann. Die Kanzlerin will ihren Worten zufolge auch mit der Türkei “besser ins Gespräch kommen”. Die Flüchtlingsroute führt durch dieses Land. Zudem soll es um den Aufbau von Hotspots zur Erstaufnahme von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen gehen. Sondersitzung des KabinettsAm Nachmittag tagte das Bundeskabinett in Berlin in einer Sondersitzung. Bei dem Treffen, für das die geplante Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg verschoben worden war, wurde das ebenfalls kurzfristig anberaumte Gespräch mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer am Abend vorbereitet. Dieses Gespräch war erst nach Redaktionsschluss beendet. Merkel betonte, dieses Treffen solle nicht den am 24. September geplanten Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern ersetzen. Dort soll es um die Verteilung von Aufgaben und Kosten gehen. Zusatzmittel für die LänderDer Bund hat zusätzliche Mittel von 6 Mrd. Euro für 2016 vorgesehen. Mit der Hälfte will er selbst Aufgaben finanzieren, die aus der Flüchtlingskrise entstehen. Die andere Hälfte soll der direkten finanziellen Unterstützung von Ländern und Kommunen dienen. Beim gestrigen Treffen mit den Ländern habe die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb von Deutschland im Vordergrund gestanden, hieß es vor dem Termin. Dennoch machte eine Reihe von Ländern vorab deutlich, dass der Bund sich stärker engagieren müsse.