Börsianer sorgen sich um Wachstum
Börsianer sorgen sich um Wachstum
ZEW-Barometer sinkt zum dritten Mal in Folge – Mögliche Rezession rückt wieder in den Fokus – US-Schulden beunruhigen
ba Frankfurt
Die Börsianer blicken im Mai erneut deutlich skeptischer auf die deutsche Konjunktur. Die ZEW-Konjunkturerwartungen sind nicht nur den dritten Monat in Folge und kräftiger als erwartet gesunken, sondern liegen erstmals seit Dezember 2022 wieder auf negativem Terrain. Die Rezessionssorgen steigen entsprechend.
Bei den Börsianern kehrt der Konjunkturpessimismus zurück. Im Mai fiel sowohl der Blick auf die deutsche als auch auf die europäische Wirtschaft trüber aus als zuletzt. Eine – wenn auch leichte – Rezession hierzulande rückt immer mehr als wahrscheinlichstes Szenario in den Vordergrund. Nachdem schon die Sentix-Konjunkturerwartungen für Mai eine „signifikante Frühjahrsmüdigkeit“ signalisiert hatten, wird nun ein ähnlich maues Bild vom Ifo-Geschäftsklimaindex erwartet, der kommenden Mittwoch veröffentlicht wird.
EZB-Schritte belasten
So sind die ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland um 14,8 auf –10,7 Punkte gefallen. Damit liegt das Frühbarometer des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) erstmals seit Dezember 2022 wieder im negativen Bereich. Ökonomen hatten mit einem etwas schwächeren Rückgang auf −5,3 Zähler gerechnet. Auch die aktuelle Lage wurde schwächer als im Vormonat eingeschätzt. Der entsprechende Index sank um 2,3 auf −34,8 Punkte.

„Die Finanzmarktexperten rechnen auf Sicht von sechs Monaten mit einer Verschlechterung der ohnehin nicht guten Konjunkturlage“, kommentierte ZEW-Präsident Achim Wambach das Ergebnis der monatlichen Umfrage unter 181 Analysten und institutionellen Anlegern. Die deutsche Wirtschaft könnte dadurch in eine Rezession rutschen. Als einen Grund für den Rückgang benennt Wambach „die Erwartung einer noch stärkeren Anhebung der Zinsen durch die EZB“. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat seit der Zinswende im Sommer 2022 die Leitzinsen in einem beispiellosen Straffungskurs um 375 Basispunkte nach oben geschraubt. Laut einer vorab veröffentlichten Analyse aus dem neuen EZB-Wirtschaftsbericht erwarten die Notenbankökonomen, dass das Wachstum der Euro-Wirtschaft im Durchschnitt in den Jahren 2022 bis 2025 um 2 Prozentpunkte gedämpft wird.
Die Erwartungen der Börsianer an die Konjunkturentwicklung in der Eurozone verschlechterten sich im Mai ebenfalls deutlich. Das Barometer fiel um 15,8 auf –9,4 Punkte. Der Lageindikator hingegen stieg um 2,7 auf nunmehr −27,5 Zähler. Die EU-Kommission zeigte sich in ihrer Frühjahrsprognose etwas optimistischer und erwartet ein Wachstum der Euro-Wirtschaft von 1,1% in diesem Jahr – zuletzt waren es noch 0,9%.
Laut Wambach gibt es einen weiteren Faktor, der die Befragten umtreibt: „Ein möglicher Zahlungsausfall der Vereinigten Staaten in den nächsten Wochen erhöht zudem die Unsicherheit bezüglich der internationalen Konjunkturentwicklung.“ US-Präsident Joe Biden zeigte sich allerdings zuletzt zuversichtlich, dass bei der nächsten Verhandlungsrunde mit den Republikanern eine Einigung auf eine höhere Schuldengrenze möglich sei. Die USA sind wichtigster Abnehmer deutscher Waren. Die Konjunkturerwartungen der Börsianer sind aber nicht nur für die US-Wirtschaft im Mai gesunken – und zwar um 6,3 auf minus 29,6 Punkte –, sondern auch für die chinesische Wirtschaft. Hier fiel der Indikator um 19,3 auf 22,4 Punkte. Die jüngsten Daten aus dem Reich der Mitte zeigen, dass der dortige Aufschwung an Kraft verloren hat.
Optimismus verflogen
Für ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski sind die ZEW-Daten „sowohl rückwärts als auch vorwärts gerichtet“. Sie spiegelten sowohl die schwachen Makrodaten der letzten Zeit wider als auch erneut eine Herabstufung der Wachstumserwartungen. „Der Optimismus zu Beginn des Jahres scheint einem größeren Realitätssinn gewichen zu sein“, so Brzeski. Der ZEW-Index sei zwar „definitiv einer der schlechtesten Frühindikatoren in Deutschland, wenn es um die Vorhersage des Wachstums geht“. Er habe jedoch eine gute Erfolgsbilanz bei der Vorhersage von Wendepunkten. Der dritte Rückgang in Folge sende daher „eine besorgniserregende Botschaft“. Der „Flirt mit der Stagnation“ werde weitergehen. Wobei „in einem Umfeld hoher Inflation und steigender Zinsen eine Rezession aber auch keine Schande“ wäre, wie Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, betonte. Zunächst müssten „die Teuerungsraten runter, damit bei den privaten Haushalten wieder reale positive Einkommenszuwächse zu verbuchen sind“. Erst dann komme es zu einer wirtschaftlichen Erholung.
Dass das ZEW-Barometer im Mai zum dritten Mal in Folge gesunken ist, ist für Christoph Swonke von der DZ Bank nicht verwunderlich: „Wichtige Konjunkturindikatoren zeigten zuletzt in Deutschland in eine Richtung – nämlich nach unten“, sagte er mit Blick auf die Einzelhandelsumsätze und die Kennzahlen aus der Industrie. Gegenwind komme auch von dem schwächer werdenden außenwirtschaftlichen Niveau. „Eine kurzfristige Erholung ist vorerst nicht in Sicht“, sagte Swonke. Der schrittweise Rückgang der Wirtschaftsaktivität sollte allerdings nicht nur die Finanzmarktakteure aufhorchen lassen, mahnt Jörg Zeuner, Chefvolkswirt bei Union Investment. „Vor allem wenn sich die Daten sprunghaft verschlechtern, sollten Anleger wachsam sein. Nur selten rutscht eine Volkswirtschaft schrittweise in die Rezession. Häufiger geschieht das, wenn die volkswirtschaftlichen Daten abrupt einbrechen“, mahnte Zeuner.