ENDE DER ALTEN ORDNUNG

China wittert Morgenluft

Peking sieht Chance auf größere globale Rolle - Handelsstreit stellt multilateralen Elan auf harte Probe

China wittert Morgenluft

Von Norbert Hellmann, SchanghaiZwei Wirtschaftssysteme prallen aufeinander, und die Weltkonjunktur befindet sich in Sippenhaft. Der epochale Handelskonflikt und die wachsende Rivalität zwischen China und den USA gehen über gewohnte geopolitische Scharmützel und Eifersüchteleien der beiden Weltmächte weit hinaus. Dabei haben die zunehmende Abkehr der USA von multilateralen Plattformen wie den G20 und der Rückzug aus internationalen Vereinbarungen und Handelsabkommen wie der Trans-Pacific Partnership (TPP) auch eine Art Vakuum in Sachen “global economic leadership” hinterlassen. Das bedeutet für China eine goldene Gelegenheit, mit der Betonung eigener Initiativen wie dem auf Handelsrouten abstellenden Seidenstraßenprojekt und der Asiatischen Entwicklungsbank AIIB in die Bresche zu springen.Als Gegenentwurf zur “America first”-Politik von US-Präsident Donald Trump hat China eine Chance gewittert, das Bild vom isolationistischen Reich der Mitte mit seinem opaken staatsgeleiteten Wirtschaftssystem aufzulockern: Praktisch zeitgleich mit Trumps Amtsantritt im Januar 2017 trat erstmals ein chinesischer Staatspräsident beim Davoser Weltwirtschaftsforum auf. Xi Jinping gelang es, mit einem flammenden Plädoyer zur Bewahrung einer globalisierten Weltwirtschaft und Warnungen vor protektionistischen Tendenzen die Weltöffentlichkeit angenehm zu überraschen.China als Wahrer internationaler Vereinbarungen, darunter des Pariser Klimaschutzabkommens – eine erfrischende Perspektive. Direkt im Anschluss lancierte China eine Agenda mit Marktöffnungsschritten und der Erleichterung von ausländischen Direktinvestitionen, die bei den Interessenvertretungen ausländischer Unternehmen große – aber inzwischen wieder enttäuschte – Hoffnungen auf einen Zeitplan zum Abbau von Restriktionen weckte. Mangel an ReformenDie Zeit ist aber noch lange nicht reif, um China als einen Taktgeber für internationale Zusammenarbeit in die US-Fußstapfen treten zu lassen. Das Globalisierungsbekenntnis wirkt nur in der Verbindung mit konkreten Reform- und Öffnungsschritten überzeugend. Aber die Vorstellungen über ein angemessenes Umsetzungstempo klaffen weit auseinander. China ist es in den zwei Jahren seit jenem Davoser Treffen im Jahr 2017 keineswegs gelungen, die Vorbehalte gegenüber seinen Handels- und Wirtschaftspraktiken zu entschärfen und offensichtliche Defizite in der Reform- und Öffnungspolitik sowie in der Gleichbehandlung von ausländischen Unternehmen zu beheben. Vielmehr haben die Sorgen um Chinas Ambitionen in Sachen technologischer Führerschaft und geopolitischer Einflussausdehnung weiter zugenommen.Zum Zeitpunkt der Davos-Rede stand Chinas Wirtschaft vor einer unerwarteten Aufschwungsphase. Zugleich strotzte Peking vor Optimismus, mit dem Seidenstraßenprojekt und der industriepolitischen Aufrüstungsoffensive “Made in China 2025” eine globalere Entfaltung von Chinas Wirtschaftsmacht bewirken zu können und gleichzeitig der chinesischen Lieblingsformel einer Win-win-Situation für alle Beteiligten zu huldigen. Im auch nach außen demonstrierten Bewusstsein seiner neuen Stärke hatte sich China darauf verlassen, mit einigen minimalen Konzessionen den aufkommenden bilateralen Handelskonflikt entschärfen zu können.Das Kalkül ging aber nicht auf. Angedrohte und tatsächlich umgesetzte Strafzollmaßnahmen haben das Konsum- und Anlegervertrauen so heftig beschädigt, dass sich Pekings Wirtschaftsplaner seit Jahresmitte 2018 in einem permanenten Krisenmodus befinden. Weder ist es gelungen, die USA vom harten Konfrontationskurs abzubringen, noch haben sich Hoffnungen auf eine spontane Solidarisierung der Weltgemeinschaft mit China erfüllt. Alle starren auf den 1. MärzVielmehr färbt der Handelskonflikt auf den Zusammenhalt in der G20 wie auch der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft Apec negativ ab. Beim jüngsten Apec-Treffen im November spielten Chinas Pläne für ein panasiatisches Bündnis im Rahmen der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) keine Rolle mehr. Erstmals seit Bestehen der Apec endete ein Gipfel nach wütendem Feilschen um gemeinsame Formulierungen sogar ohne Schlusserklärung. Kurz darauf beim G20-Treffen in Buenos Aires überlagerten Trump und Xi mit ihrem Zwiegespräch zum Handelsstreit das Geschehen so sehr, dass die anderen G20-Granden zu Statisten wurden. Es gab einen Waffenstillstand mit vorläufigem Verzicht auf weitere Zollerhöhungen – mehr nicht.Nun starren alle gebannt auf das Datum 1. März. Bis dahin soll eine bilaterale Handelsvereinbarung mit weitreichenden Konzessionen von chinesischer Seite ausgehandelt werden. Einige Weichenstellungen sind bereits sichtbar. China muss bei Reizthemen wie dem Schutz des geistigen Eigentums, dem Technologietransfer und den Markteintrittsbarrieren raschere Lösungen präsentieren. Auch zeichnet sich eine Neuformulierung des ominösen Masterplans “Made in China 2025” ab, um dessen Rivalitätscharakter zu reduzieren.Vielleicht kommt es Anfang März zu einem Arrangement, das den Handelskonflikt als größten Belastungsfaktor für die globale Konjunktur im Jahr 2019 tatsächlich entschärft. Dann wird man Peking lobpreisen und sich im Stillen bei Trump dafür bedanken, trotz niederer Beweggründe und zweifelhafter Methoden Liberalisierungsschritte erzwungen zu haben, die nicht nur US-Unternehmen in China zugutekommen. China wiederum könnte seine Bekenntnisse zu einer konstruktiven Gestaltungsrolle auf multilateraler Ebene wesentlich glaubhafter erfüllen, wenn es den Mut zum stärkeren Verlass auf Marktkräfte findet, um unter fairen Bedingungen in den globalen Wettbewerb zu ziehen.