Das Ende vom Lied

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 23.7.2020 In London wird nicht mehr viel auf eine Einigung in den Verhandlungen über die künftigen Handelsbeziehungen mit Brüssel gesetzt. Der britische Premierminister Boris Johnson hatte ursprünglich...

Das Ende vom Lied

Von Andreas Hippin, LondonIn London wird nicht mehr viel auf eine Einigung in den Verhandlungen über die künftigen Handelsbeziehungen mit Brüssel gesetzt. Der britische Premierminister Boris Johnson hatte ursprünglich eine Frist bis Ende Juli genannt, bis zu der die Eckpfeiler einer Übereinkunft stehen sollten. Bislang ist davon nichts zu erkennen. Wie der für gewöhnlich gut informierte “Telegraph” berichtet, ist das Basisszenario der Regierung inzwischen, dass Großbritannien ab dem kommenden Jahr auf Grundlage der Regeln der Welthandelsorganisation WTO mit der Europäischen Union Geschäfte machen wird.Am Montag begann eine weitere Verhandlungsrunde. Allerdings zeichnete sich keinerlei Bewegung ab – weder bei den Fischereirechten noch beim sogenannten Level Playing Field oder der Frage, ob der Europäische Gerichtshof eine Rolle spielen soll. Anders als bei den vorangegangenen Gesprächen nahm Johnson nicht am gemeinsamen Dinner von EU-Verhandlungsführer Michel Barnier und seinem britischen Gegenüber David Frost teil. Man gehe davon aus, dass es keinen Deal geben werde, zitiert der “Telegraph” seine Quellen. Allerdings sei es noch möglich, dass man sich im Herbst auf ein abgespecktes Abkommen einige, vorausgesetzt, die andere Seite gebe nach. Am Donnerstag endet die Verhandlungsrunde. Weitere Termine für direkte Gespräche sind diesen Monat nicht angesetzt. Man sei aber zu weiteren Treffen mit Barnier bereit, falls sich die europäische Seite bewegen sollte.Ist das Ende vom Lied also wirklich schon erreicht? Nein, denn viele konservative Abgeordnete machten einen Deal mit Brüssel zur Bedingung ihrer Zustimmung zum EU-Austritt. Johnson steht deshalb unter erheblichem Druck. Der aktuelle Streit mit der Volksrepublik China über deren Vorgehen in der ehemaligen Kronkolonie Hongkong zeigt zudem, dass das Potenzial für attraktive Handelsverträge mit anderen Weltregionen beschränkt ist. Das von Donald Trump versprochene Freihandelsabkommen liegt bislang nicht auf dem Tisch. Es dürfte also weiter gepokert werden – vielleicht auch noch bis kurz vor Jahresschluss. Schließlich sind beide Seiten an einem Deal interessiert. Nur gesichtswahrend müsste er schon sein.Zumindest muss sich Johnson seit der Wahl im Dezember nicht mehr mit einer Vielzahl widerspenstiger Austrittsgegner in der eigenen Fraktion herumschlagen. Ein Versuch von Tory-Hinterbänklern, gemeinsam mit Labour die Handlungsfreiheit der Regierung in Handelsverhandlungen zu beschränken, wurde mit 326 zu 263 Stimmen abgeschmettert. Auch die verzweifelten Versuche mancher Brexit-Gegner, den Ausgang des EU-Referendums 2016 russischer Einflussnahme zuzuschreiben, finden wenig Gehör. Zu dünn ist die Beweislage, zu anmaßend die Unterstellung, das dumme Stimmvieh habe sich von Moskau manipulieren lassen. Russland wird schon versucht haben, die Wähler zu beeinflussen. Aber auch Brüssel hat sich nach Kräften bemüht, die Briten zur Stimmabgabe in ihrem Sinne zu bewegen. Barack Obama empfahl auf Wunsch der damaligen Regierung, gegen den Austritt zu stimmen – verbunden mit der Drohung, sich für ein Abkommen mit den USA ganz hinten anstellen zu müssen. All das befreit aber niemanden von der Verantwortung für seine Wahlentscheidung.——London setzt nicht mehr auf eine Einigung mit Brüssel, hofft aber weiterhin.——