EZB STEHT VOR PERSONELLEM UMBRUCH

Debatte über Draghi-Nachfolge nimmt Fahrt auf

Entscheidung nach der Europawahl im Mai - Weidmann stößt im Süden auf Widerstand - Viele Beobachter setzen auf Liikanen - Villeroy de Galhau im Rennen

Debatte über Draghi-Nachfolge nimmt Fahrt auf

Von Mark Schrörs, FrankfurtDer Abgang von EZB-Chefvolkswirt Peter Praet markiert den Start eines Jahres großer Veränderungen bei der Europäischen Zentralbank (EZB). So scheidet Ende 2019 auch noch Benoît Coeuré aus dem EZB-Direktorium aus. Vor allem aber geht Ende Oktober auch die Amtszeit von EZB-Präsident Mario Draghi zu Ende. Draghi, Coeuré, Praet – die drei gelten als Architekten des Anleihekaufprogramms (Quantitative Easing, QE).Nach der De-facto-Entscheidung für den Iren Philip Lane als Nachfolger von EZB-Chefvolkswirt Praet richten sich nun alle Blicke auf die Draghi-Nachfolge – auch wenn mit einer Entscheidung erst nach der Europawahl Mitte Mai zu rechnen ist. Schließlich ist der Posten Teil eines größeren Pakets von EU-Topjobs, die 2019 neu zu verteilen sind.Mit der Wahl Lanes, der geldpolitisch als “Taube” gilt, also als Verfechter eines eher lockereren Kurses, sehen Beobachter die Chance gestiegen, dass bei der Nachfolge Draghis jemand zum Zuge kommen könnte, der dem Lager der “Falken” im EZB-Rat zugerechnet oder aber zumindest als neutraler als auch Draghi eingeschätzt wird. Das gilt umso mehr, als Vizepräsident Luis de Guindos (Spanien), seit Juni 2018 im Amt, auch den “Tauben” zugeordnet wird.Lange Zeit galt Bundesbankpräsident Jens Weidmann als Top-Kandidat für die Nachfolge des Italieners Draghi. Deutschland war als einziges der drei größten Euro-Länder noch nicht am Zug. Zudem können im EZB-Rat nur wenige mit Weidmanns Expertise mithalten. Mit dem CSU-Europaabgeordneten Manfred Weber greift nun aber ein Deutscher nach dem Posten des EU-Kommissionspräsidenten. Sollte Weber das schaffen, hätte Weidmann keine Chance mehr. Er hat zudem das Problem, dass er im Euro-Süden auf viel Widerstand stößt, nicht zuletzt in Italien. Als QE-Kritiker gilt er als eine Art “Anti-Draghi” und er hat auch zuletzt wiederholt die Finanzpolitik Roms kritisiert. Zwar ließ Italiens Finanzminister Giovanni Tria jüngst mit der Aussage aufhorchen, er stehe einer möglichen Berufung Weidmanns “offen” gegenüber. Aber Tria gilt nicht als der entscheidende Mann in Italiens Regierung, und andere Politiker der populistischen Regierung haben sich schon kritischer und ablehnender geäußert.Laut einer jüngsten Umfrage der Nachrichtenagentur Bloomberg halten EZB-Beobachter inzwischen Erkki Liikanen, bis Juli 2018 Chef der finnischen Zentralbank, für den wahrscheinlichsten Nachfolger. Tatsächlich scheint ein Kompromisskandidat aus einem kleinen Land denkbar, wenn sich die Großen nicht einigen können. Liikanen gilt als geldpolitisch eher neutral und als jemand, der unterschiedliche Lager zusammenführen könnte. Er wäre bei Dienstantritt im November 2019 aber mehr als ein Jahr lang aus dem aktiven Geschäft heraus und bei Antritt des Jobs 69 Jahre. Als Alternative gilt einigen deshalb Liikanens Nachfolger Olli Rehn. Ende Januar war Rehn bereits zu Gast bei der CDU-Finanzmarktklausur.Bei einem Kompromisskandidaten aus einem kleinen Land gäbe es aber eine Schwierigkeit: Italien wäre auf absehbare Zeit, mindestens bis Ende 2020, nicht im Direktorium vertreten, denn in dem Fall dürfte Frankreich kaum auf die Benennung eines Coeuré-Nachfolgers verzichten. Das Gleiche gilt für andere gehandelte Kompromisskandidaten wie die Zentralbankchefs Klaas Knot (Niederlande) und Ardo Hansson (Estland).Auch deshalb setzen in Notenbankkreisen viele auf Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau. Er gilt zwar als geldpolitisch weniger versiert als etwa Weidmann, aber er ist als Notenbanker durchaus respektiert. In der Vergangenheit hat er sich aber stets eng an Draghis Position angelehnt – was zu einem Problem für die Akzeptanz in Deutschland werden könnte. Inzwischen gilt es jedenfalls nicht mehr als ausgeschlossen, dass Frankreich nach Jean-Claude Trichet erneut zum Zug kommt.Zuletzt fiel auch der Name Coeuré häufiger. Der Franzose gehört ohne Frage zu den intellektuellen Schwergewichten im EZB-Rat. Geldpolitisch wird auch er tendenziell als “Taube” eingeschätzt, auch wenn er zuletzt stark auf ein QE-Ende gedrungen hatte. Er hat aber auch das Problem, dass es unterschiedliche juristische Auffassungen darüber gibt, ob ein EZB-Direktoriumsmitglied Präsident werden kann. Wenn am Ende die politische Wahl auf Coeuré fallen sollte, dürfte das aber kaum an dieser Frage scheitern, heißt es in der EZB.