EUROPA HAT DIE WAHL

Der Besonnene

Manfred Weber steht als Spitzenkandidat der Christdemokraten in der Pole-Position im Rennen um die Juncker-Nachfolge

Der Besonnene

Von Andreas Heitker, BrüsselDie Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Yougov in der vergangenen Woche vorgelegt hat, muss für Manfred Weber frustrierend gewesen sein. Mehrere Monate ist der Europaabgeordnete schon auf Wahlkampftour, hat Interview um Interview gegeben, ist mehr als 35 000 Kilometer durch Europa gejettet und hat eigentlich hervorragende Chancen, bald als erster Deutscher seit mehr als einem halben Jahrhundert die Führung der EU-Kommission zu übernehmen – der erste seit Walter Hallstein, dem ersten Vorsitzenden der damaligen Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Und dann sagt trotzdem nur jeder vierte Deutsche (26 %), dass er Weber kennt.In Brüssel hat sich der CSU-Politiker schon längst einen Namen gemacht. Er sitzt seit 2004 im Europaparlament. Seit 2014 führt er dort die Europäische Volkspartei (EVP), die größte Fraktion im Plenum. Die Organisation Vote Watch Europe hat Weber gerade erst wieder auf Platz 2 der einflussreichsten EU-Abgeordnete gewählt. Nur Parlamentspräsident Antonio Tajani hatte noch bessere Werte.Weber gilt als ehrgeizig – aber er ist auch alles andere als ein Lautsprecher. Der 46-Jährige versteht sich eher als ein Mann des Ausgleichs und der stillen Diplomatie. Er ist freundlich im Umgang. Und auch seine politischen Gegner loben seine verlässliche und verbindliche Art der Zusammenarbeit. Kritiker sagen aber, dem Niederbayern fehle ein wenig Machtinstinkt und Charisma, um tatsächlich die Nachfolge von Jean-Claude Juncker anzutreten. In Brüssel können sich viele immer noch nicht recht vorstellen, dass Manfred Weber tatsächlich neuer Präsident der EU-Kommission wird – obwohl die EVP allen Prognosen zufolge erneut die mit Abstand größte Fraktion im neuen EU-Parlament werden wird. Fehlende ErfahrungDie Skepsis rührt auch daher, dass die Chefs der Brüsseler Kommission in den vergangenen mehr als zwei Jahrzehnten immer aus dem Kreise der aktiven oder ehemaligen Staats- und Regierungschefs stammten. Weber kann solche (Regierungs-)Erfahrungen nicht vorweisen. Er ist noch nicht einmal Minister gewesen und hat auch noch nie eine andere größere Behörde oder Organisation geführt. Und jetzt gleich die Europäische Kommission mit ihren rund 30 000 Mitarbeitern?Die berufliche und politische Karriere des Manfred Weber verlief im Wesentlichen innerhalb von Parlamenten: zwei Jahre bayerischer Landtag in München, 15 Jahre Europaparlament in Brüssel und Straßburg. Zuvor war er auch ein paar Jahre als Ingenieur selbständig gewesen, hatte Firmen im Bereich des Umwelt- und Qualitätsmanagements und der Arbeitssicherheit beraten. Mehr steht aber nicht in seinem Lebenslauf. Webers Parteifreunde sagen, die Wahl eines neuen Kommissionschefs aus der Mitte des EU-Parlaments wäre “ein Meilenstein bei der weiteren Demokratisierung Europas”. Aber das Manko der fehlenden Erfahrung ist damit nicht so leicht zu übertünchen.Innerhalb der CSU vertritt Weber einen gemäßigten und überaus europafreundlichen Flügel. Im Wahlkampf präsentierte er sich von Beginn an als “Brückenbauer” – eine Rolle, die er sich von Kanzler Sebastian Kurz in der jüngsten österreichischen EU-Ratspräsidentschaft abgeschaut hat. Sie passt zu Weber. Er wolle, sagt der stellvertretende CSU-Parteichef, die internen Spaltungen innerhalb der EU überwinden.Weber verkauft sich in erster Linie als ein Vertreter des Volkes, als ein Vertreter der “kleinen Leute”. Das Europa von heute müsse wieder ein “Europa der Bürger” werden. Im Wahlkampf lautet nun das Motto der Christdemokraten: “The Power of WE.” Das WE steht für das Verbindende, das Gemeinsame. Und es steht natürlich auch für WEber.Den bisherige Wahlkampf gestaltete der EVP-Spitzenkandidat wenig kontrovers. Auch der “12-Punkte-Plan”, den Weber in der vergangenen Woche in Athen vorgestellt hat, dürfte für eine stärkere Polarisierung in der politischen Auseinandersetzung kaum geeignet sein: Ein besserer Grenzschutz war dort zu finden und ein besserer Kampf gegen Terrorismus. Ein Masterplan gegen Krebs, Wohnungsprogramme für Ältere und für junge Familien, ein Verbot von Kinderarbeit und von Einwegplastik. Die Türkei-Beitrittsgespräche werden gestoppt, und es wird ein “digitaler Übergangsfonds” für Fabrikarbeiter eingeführt. Eine grundsätzliche Reform der EU wird hingegen nicht thematisiert. Kaum kontroverse ThemenDass Weber neben seiner Muttersprache nur annehmbar Englisch spricht, wird in Brüssel ebenfalls diskutiert. Für das Spitzenpersonal in der Kommission gilt Französisch eigentlich als Pflicht. Juncker wechselt in seinen Reden üblicherweise mehrfach zwischen dem Deutschen, Englischen und Französischen hin und her. Und Webers ärgster Widersacher, der Sozialdemokrat Frans Timmermans, spricht neben seiner Muttersprache Niederländisch auch fließend Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch und Italienisch.