Deutsche Wirtschaft steckt im Tief fest
Deutsche Wirtschaft steckt im Tief fest
Konjunkturampel steht auf "Rot" – Straffere Geldpolitik entfaltet Wirkung
ba Frankfurt
Die straffere Geldpolitik beginnt 2024 zu wirken – allerdings dürfte die deutsche Wirtschaft in diesem und im kommenden Jahr schrumpfen. Dies zeigt die Konjunkturampel der Börsen-Zeitung und von Kiel Economics. Sie taxiert die Wahrscheinlichkeit einer Rezession im laufenden Jahr auf 72%, also kaum verändert zur vorherigen Schätzung im Oktober. Signalgeber der Ampel sind mehr als 50 erwartungsbasierte Indikatoren. Anhand derer ergibt sich, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer so ausgeprägten Abschwungphase wie zuletzt zu Zeiten der Weltfinanzkrise 2008/2009 befindet.

Gemessen am gesamtwirtschaftlichen Opferverhältnis wird das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach dem Rückgang um 0,3% im Jahr 2023 auch in diesem und/oder kommenden Jahr schrumpfen. Dieser makroökonomische Indikator sei "bei Konjunkturforschern scheinbar aus der Mode gekommen", wie die zum Jahreswechsel gestellten Prognosen zeigten, erklärt Carsten-Patrick Meier, Leiter von Kiel Economics, einer Ausgründung aus dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Die Kennziffer drückt aus, wie viel Prozent des BIP eines Jahres aufgegeben werden müssen, um die Inflationsrate um 1 Prozentpunkt zu senken. Unter dem US-Notenbankgouverneur Paul Volcker etwa sank die US-Inflationsrate zwischen 1980 und 1983 von 12% um fast 9 Prozentpunkte – allerdings um den Preis einer scharfen Rezession. Im selben Zeitraum betrug der Produktionsverlust im Verhältnis zum Produktionspotenzial je nach Schätzung 15 bis 20 Prozentpunkte, womit sich ein Opferverhältnis von rund 2 ergibt. Laut Meier ein Wert, der am unteren Ende der in der Literatur gängigen Schätzwerte für Opferverhältnisse allgemein gilt.
Produktionsverluste "eingepreist"
Übertragen auf Deutschland würde ausgehend vom Preisauftrieb im Jahr 2023 von 6,8% gemessen am BIP-Deflator eine Rückkehr zum Inflationsziel der EZB von 2% erfordern, dass die Inflation um mindestens 4 Prozentpunkte sinkt. Bei einem Opferverhältnis von 2 wäre dies mit Produktionsverlusten relativ zum Produktionspotenzial in Höhe von 8 Prozentpunkten verbunden. "Unterstellt man, dass die Zinserhöhungen der EZB 2023 bereits Wirkung gezeigt haben, und taxiert das gegenwärtige Potenzialwachstum auf 1%, dann wäre im Jahr 2023 angesichts der Quasi-Stagnation des realen BIP (–0,3%) bereits ein Opfer von rund 1 Prozentpunkt „erbracht“ worden", erklärt Meier. Für 2024 und die Folgejahre verblieben noch 7 Prozentpunkte, die das reale BIP unter sein – weiter mit 1% pro Jahr wachsendes – Potenzial fallen müsste. "Sofern die gesamtwirtschaftliche Produktionslücke im Jahr 2023 nicht stark im positiven Bereich lag, was unplausibel erscheint, ist dies nicht möglich ohne weitere Rückgänge des realen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2024 und/oder im Jahr 2025."
Das Opferverhältnis könnte aber in der laufenden Desinflationsphase geringer sein als in der Vergangenheit. Denn neben den Zinserhöhungen wird der Preisauftrieb zu einem großen Teil auch dadurch gebremst, dass die Unternehmen ihre teilweise beträchtlichen Preisaufschläge, die durch die Corona-Pandemie ausgelöst worden waren, infolge der Normalisierung der internationalen Lieferketten sukzessive wieder zurücknehmen. Die notwendige geldpolitische Straffung hätte daher rückblickend betrachtet wohl weniger stark ausfallen können, vermutet Meier. Da die EZB sich aus der berechtigten Angst vor dem Einsetzen einer Preis-Lohn-Spirale für eine recht kräftige Anhebung der Zinsen entschieden hat, könne dieser Faktor aber nicht geltend gemacht werden.
Jüngst veröffentlichte Prognosen zeichnen noch ein zuversichtlicheres Bild der Wirtschaft: Mehrheitlich wird ein moderater Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) vorausgesagt. Ein Produktionsminus findet sich nur in wenigen Voraussagen und dies auch nur in geringem Ausmaß und nur für 2024. "Und die tatsächliche Entwicklung der Konjunktur gibt den Experten vordergründig recht", analysiert Meier. Denn bislang gab es keinen krassen Produktionseinbruch und auch eine Rezession ist ausgeblieben, obwohl gängige Frühindikatoren diese für Deutschland – aber auch die USA – seit längerem ankündigen. Die Ifo-Geschäftserwartungen etwa stechen heraus, da sie auch im Dezember 2023 auf einem Niveau wie sonst nur vor bzw. in Rezessionsphasen lagen. Aber auch der sehr deutliche Rückgang der preisbereinigten Bestände an Sichteinlagen ist für Meier ein Rezessionssignal. Denn diese werden hauptsächlich zu Transaktionszwecken gehalten und sollten daher dem zukünftigen Transaktionsvolumen und damit der zukünftigen gesamtwirtschaftlichen Produktion vorauslaufen.
Dass die Rezession hierzulande bislang eher milde verlaufen ist, hat für Meier etwas mit den von der Corona-Pandemie ausgelösten Lieferengpässen zu tun. Denn diese seien nicht maßgeblich für den Inflationsschub und die daraufhin notwendige Straffung der Geldpolitik verantwortlich. Sie hätten auch die gesamtwirtschaftliche Produktion stark gebremst und damit die Befriedigung der aufgelaufenen Nachfrage verzögert. Wegen der dadurch historisch hohen Auftragsbestände der Firmen wurden die nachfragebremsenden Impulse vonseiten der Geldpolitik 2023 nicht oder nur in geringem Umfang produktionswirksam.
Im Baugewerbe sind die Auftragsbestände immer noch hoch und dürften trotz der stark gestiegenen Orderstornierungen weiter stabilisierend auf die Produktion wirken. In der Industrie hingegen sind die Auftragsbestände mittlerweile abgearbeitet.